31. Wider die Abschaffung der Schreibschrift

Auch in der Schulpolitik: Leute, die nicht wissen, was sie tun, treffen Entscheidungen mit Folgen, die sie nicht abschätzen können und nicht verantworten werden. In der Welt streiten Sibylle Lewitscharoff, Jan Koneffke und Burkhard Spinnen wider die Abschaffung der Schreibschrift. Koneffke schreibt:

„Verschiedenes ist gut“, wusste Hölderlin, und in meiner Erinnerung ist genau dies die Erfahrung, die ich als Kind bei Verwendung von Druck- und Schreibschrift machte. Der Vorzug, beide Schriften erlernt zu haben, bestand nämlich darin, auf spielerische Weise von der einen zur anderen wechseln zu können. Die eine, die Druckschrift, war die offizielle Schrift, die Schrift der Bücher in der elterlichen Bibliothek, der verstreuten Zeitungsseiten auf dem Sofa, der Haltestellen- und Bahnhofsschilder, des weißen Schriftzugs auf grünem Grund: Polizei. In meinen Augen gehörte diese Schrift zur Welt der Erwachsenen. Folglich nutzte ich sie bei „offiziellen“ Anlässen. In Druckschrift trug ich, mit knappen neun Jahren, in meinen Kalender ein: „Hajo Drees als Vorarbeiter abgesetzt“, denn dieser Kalender gehörte „in Wirklichkeit“ einem Baustellenleiter meines Namens (selbstredend betrachtete ich mich als Chef). Zwei Wochen später und wiederum in Druckschrift schrieb ich in den Kalender: „Hajo Drees als Vorarbeiter wieder angesetzt.“ Anscheinend hatte ich mich mit dem Nachbarskind in der Zwischenzeit ausgesöhnt.

Die Schreibschrift hingegen war die individuelle, private Schrift. Sie gehörte unmittelbar zu mir. Ich benutzte sie, wenn ich Briefe an Großeltern oder Tanten schrieb, Wunschzettel oder ein Geburtstagsgedicht für meine Mutter.

In der Frühzeit der Pubertät, in der ich nun beinahe täglich Gedichte schrieb (allerdings an andere weibliche Wesen als die Mutter), entwickelte ich eine Kunstschrift aus der Kombination beider Schriftarten. Diese Kunstschrift sah wahrlich erwachsen aus und war dermaßen krakelig, dass sie nur einem echten Dichter gehören konnte. Gleichzeitig verbarg sie den Inhalt, für den ich mich irgendwie schämte, vor allen fremden Augen. Ihr Nachteil, unleserlich zu sein, wurde so zu ihrem größten Vorzug – ich kannte meine Gedichte ohnehin auswendig.

Nein, ich fürchte die Hamburger Schulpolitik macht es den Kindern keineswegs leichter. Sie verhindert nicht nur den spielerischen Wechsel von einer Schriftart zur anderen, der umso interessanter ist, als beide „weit voneinander“ liegen. Sie verhindert auch die bessere Vorbereitung auf eine Gesellschaft, die komplex und vielgestaltig ist, und ihren Mitgliedern Neugier, Phantasie und intellektuelle Flexibilität abverlangt.



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