31. März 2012, Über meine Mutter, über die herrlichen Tage der Kindheit, über Leben, die noch beschrieben werden müssen, 8.02 Uhr

Meine Mutter hatte Geburtstag, gestern am 30. März, meine Mutter, die mir als Kind erzählte, wie ihre Kindheit sich zwischen den Steinen der Felder und hinter den Ärschen von Kühen verlor, die sie über unebene Wege trieb, die Kindheit, die nicht ihre hätte sein müssen, aber weil sich der Große Krieg zwischen sie und ihre Mutter schob, blitzartig und weil es den Männern so gefiel, wurde sie von meiner Großmutter aufs Land verbracht, auf einen Hof, der müde zerschlissene Gesichter und Essen gab, packte man nur recht mit an. Diese Leben waren schon gelebt, bevor sie überhaupt angefangen hatten. Keine Zeit zum Lernen, dafür aber Zeit zum Hüten und in die Sonne starren. (“Herrliche Tage.”)
Meine Mutter sprach, ich meine mich erinnern zu können, von einem Onkel, der auch dort lebte, unter dem Dach vielleicht, weit oben im Haus zumindest, wo sich die Vögel Nester bauen. Alt sei der geworden, berichtete sie, und dies, obwohl oder gerade, weil er täglich eine Zigarre rauchte und einen Schnaps trank. Ein lieber Mann, so meine Mutter weiter, ein anderer Mann wie mein Vater, dein Großvater, der sie, war er einmal nicht auf einer seiner erotischen Ausflüge, mit Schlägen erzog. Liebe konnte mein Großvater, der mit einem regen Schwanz gesegnet war, nur für seine zahlreichen Gespielinnen aufbringen.
Meine Mutter und ihre Geschwister nannte man Versöhnungskinder.
Später kehrte ich oft heim ins Dorf meiner Mutter, um dort die Ferien zu verleben, um in dem Bett zu liegen, das sie, so stellte ich es mir vor, in den Nächten mit Tränen gegossen hatte.
Nein!, so sagte meine Mutter, ich hatte eine glückliche Kindheit. Es ging mir gut.
Gestern hatte sie Geburtstag, bald schon wird sie Siebzig. Ich müsste mehr über sie schreiben, damit ich ihr Leben festhalten, damit ich es vertauen kann, damit sie mir nicht verloren geht, ihre Geschichte, die sie früh (war sie Vierzehn?) als Zimmermädchen entsandte, die sie sich in einen Musiker, den alle nur Charlie riefen und der einen Sportwagen fuhr und Pfeife rauchte, und Augen für alle hatte, nur für meine Mutter nicht, verlieben ließ, ihre Geschichte, die sie in einem Saal tanzen lässt, wo sie angesprochen wird, von einem jungen unsicheren Mann, der die blonden Haare gescheitelt, ihr wie der vorkommt, den sie einst heiraten wird. Unsicher hält sie seine Hand und wir sie nicht mehr loslassen.
Das Leben meiner Mutter zerrieb sich zwischen Arbeit und Mann und Kind, und blieb auf der Strecke, die wir so beiläufig Lebensweg nennen.
Jetzt ist mein Vater tot. Mein Mutter lebt fernab meines Lebens, ich hoffe, dass sie glücklich ist, aber auch diese, ihre letzte Geschichte, wird dereinst von mir erzählt werden müssen.
Eine Cousine meiner Mutter starb unter dem Schutt eines Bunkers, den eine Bombe zufällig traf. Auch dies müsste erzählt werden, mit Parallelgeschichten, die sich um das Leben mühen, das sie nicht führen konnte (dank des Todesführers aus Braunau), aus dem sie einfach so gerissen wurde, nicht einfach, sondern mit einem lauten Knall, der Hunderte in Stücke riss.
Man schreibe am eigenen Roman, man schreibe an der Familiengeschichte, man forsche und erinnere sich, man fülle sie mit Träumen und Geheimnissen auf. Jedes Leben ist so unendlich tief, das man sich schämen müsste, wenn man behauptet, man würde kein Thema finden.
Meine Mutter hatte gestern Geburtstag, bald schon wird sie Siebzig sein.



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