29. Dichterreisen mit Fleming

Von Bertram Reinecke

Seit einiger Zeit erscheint in der Edition Cornelius des Projekteverlages ein Programm, in dem immer wieder Lyrik und Lyriker zu Wort kommen. Unbeachtet von einer größeren Öffentlichkeit erschien dort auch der von Richard Pietraß und Peter Gosse herausgegebene Band „Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. Die Lebensreise des Paul Fleming in seinen schönsten Gedichten“.

Wer sich aus Anlass 400. Geburtstages einem spannenden aber kaum präsenten Dichter widmet, kann verschiedene Dinge tun: Die Höflichkeit gebietet, ihn in einem Prachtband zu ehren. Dem durch den Anlass neugierig Gewordenen wäre eine Leseausgabe nach aktuellen Gesichtspunkten in die Hand zu geben. Zum Dritten wäre es interessant, der Wirkung des Dichters in der Gegenwart nachzugehen und den heutigen Stand der poetologischen Auseinandersetzung anhand seines Werkes ebenso aufzuzeigen wie zu befruchten.

Wenn die Herausgeber versuchen, alle diese Dinge zugleich zu tun, müssen sie ein partielles Scheitern billigend in Kauf nehmen.

Sorgfältig gestaltet ist der Band (großformatige Hardcover mit Lesebändchen) von sächsischen Bildkünstlern in der Tat. (Gerade dies mag dazu geführt haben, dass das Buch bisher wenig diskutiert wurde, eilt solch prachtvollen Festschriften doch der Ruf voraus, im Gegenzug langweilig zu sein.)

Wer ein Lesebuch sucht, um einen ersten Einblick in das Werk des Dichters zu gewinnen, wird sicher eher zu einer wohlfeileren Ausgabe Zuflucht nehmen, auch wenn der Band einen zuverlässigen Text bietet, über dessen Editionsweise Richard Pietraß im Nachwort Rechenschaft gibt. (Dass der Anspruch, den Dichter „in seinen schönsten Gedichten“ vorzustellen, nicht sehr zeitgemäß ist, weil er reichlich subjektiv verschweigt, nach welchen Gesichtspunkten die Auswahl zu Stande kam, wird einen solchen Leser sicherlich weniger interessieren.) Immerhin kann die Rekontextualisierung durch den Versuch, abweichend von anderen Ausgaben eine chronologischen Anordnung zu bieten, für den Kenner reizvoll sein.

Bleibt das dritte und vielleicht spannendste Ansinnen, die Beantwortung der Frage, welche Impulse Fleming heutiger Dichtung zu geben weiß. Dies Anliegen wurde verfolgt, indem die Dichter (Erzähler und Literaturwissenschaftler) der sächsischen Akademie gebeten wurden, sich mit je einem Gedicht Flemings essayistisch auseinanderzusetzen. Während der Fokus auf Sachsen als weise Beschränkung ausgelegt werden kann, ergibt eine solche Vorgehensweise vor allem eins: Eine silberne Auslese, Honoratioren sind nun mal älter. So sind die vertretenen Lyriker abgesehen von Kerstin Hensel den 60 nahe oder darüber hinaus (während man als Literaturwissenschaftler augenscheinlich auch schon jünger zu Ehren kommen kann). Das ist etwas schade, sieht es doch so aus, als habe die Beschäftigung mit Fleming bzw. barocker Dichtung in Sachsen aus irgend einem Grunde aufgehört. Unbeschadet dessen sind mit Volker Braun, Elke Erb, Thomas Rosenlöcher, Róža Domašcyna, Kito Lorenc, Wilhelm Bartsch und Reiner Kunze gewichtige und interessante Stimmen vertreten. Die meisten Beiträge heben vom Vorlagegedicht sehr bald ab und nehmen Blick auf die bewegten Weltverhältnisse oder auf die Biografie Flemings. Das liegt bei diesem Autor nahe, der in bewegten Zeiten (Dreißigjähriger Krieg) ein bewegtes Leben führte (immerhin verschlug es ihn nach Russland und Persien).  Andererseits besteht dabei die Gefahr, die Gedichte selbst aus den Augen zu verlieren. Wenn man dann die Wahrhaftigkeit, Subjektivität oder Weltzugewandtheit des Dichters vielfach beschworen findet und nach der Vielzahl derartiger Beteuerungen Fleming einem wie eine Art Dichter mit protogoetheschem Weltbild vorkommen will, bleibt am Ende aber doch die Frage zurück: War da nicht noch etwas anderes?

Einem bürgerlichen Publikum (auf den die Ausstattung des Bandes ja abzielt), dem die ewigen Werte abhanden gekommen sind, mag man den Dichter angenehm machen, indem man versichert, dass diese Werte immerhin doch wenigstens 150 Jahre älter sind als der Schulkanon nahelegt, an der poetischen Leistung eines Fleming, die mit Nachahmung, Ingenium und Objektivitätsanspruch viel eher zu fassen wäre, geht man ein wenig vorbei.

Immerhin sind Könner am Werk und die Essays sind zumeist bildend, unterhaltsam: Gute Gelegenheitsarbeiten, die darüber hinaus oft, neben manchem wissenswerten Detail, den Vorteil haben, einem etwas über die jeweiligen Autoren und deren Blick auf die Gegenwart zu erzählen.

Bei Kito Lorenc kann man lernen, welchen assoziationsreich gewundenen Weg eine Vorlage nehmen kann, bis sie zum eigenen Schreiben führt, Kerstin Hensel berichtet, wie heutige Schauspielstudenten auf ein Fleminggedicht reagieren, wer sich für die Lyrik Ostdeutschlands interessiert, lernt, welch überraschend große Bedeutung Bechers Barockanthologie für den Lyrikdiskurs der DDR hatte …

So weit so gut, sechs Ausnahmen seien benannt.

Zunächst zwei nach unten: Angela Krauß weiß lediglich zu berichten, dass sie in ihrer Kinheit mit der Großmutter durch dieselben Gegenden wandelte wie der Dichter. Alain Lance berichtet lediglich von einem eigenen Persienaufenthalt. Vielleicht, aber auch nur vielleicht, der Autor weiß es selber nicht, sei dabei einmal der Name Fleming von seinen Gastgebern erwähnt worden. Hier erfährt man weder etwas über Fleming, noch lernt man im Spiegel Flemings etwas über diese beiden Autoren, sondern findet einzig die kritisierte Grundtendenz zugespitzt: Quasi auf magische Weise scheinen die geschichtsträchtigen Gegenden ihre Geschichte auf die beiden Autoren zu vererben, sodass sie nun die kulturellen Weihen erworben haben, sich über den Dichter äußern zu dürfen.

Thomas Rosenlöcher ist sich im Gegensatz dazu der Tatsache bewusst, das er tief in der klassisch romantischen Tradition verwurzelt ist und geht geschickt damit um, wenn er etwa mit seinem unnachahmlichen Charme formuliert,  „… trotz jahrzehntelanger Versuche, ein Intellektueller zu werden, bin ich bei Gedichten auch nur auf Einfühlung aus“, um diese Selbstbezichtigung dann zu unterlaufen und seltenen Wörtern (z.B. Schiedemann, Borgelicht) und lateinischen Quellen nachzuspüren.

Elke Erb und Volker Braun versuchen den Dichter der beschriebenen problematischen Deutungsgeschichte zu entreißen, indem sie subtil den Brüchen im Text nachspüren. Das ist lehrreich, das ist erfrischend. Die Tatsache jedoch, dass sie sich beide auf frühe Gedichte verwiesen fühlen, wird mehr als ein Zufall sein. Das Interesse an Verwerfungen der rhetorischen Geste gehört sicher eher zum Habitus dieser beiden Autoren als zu der des reifen Fleming.

Zugegeben in der Analyse eines (oder weniger Gedichte) die Physiognomie eines uns so fremden Dichters pars pro toto aufzuweisen, ohne den Bezug auf die Gegenwart aus den Augen zu verlieren ist eine Aufgabe, die kaum zu leisten ist.

Wie so etwas dennoch funktionieren könnte, zeigt Wilhelm Bartsch.  Er treibt „Nymphologie“, sucht sich also eine Gruppe von Wörtern und untersucht die Verfahren ihrer Verwendung bei Fleming. Durch diese Beschränkung kann er die Kenntnisse eines historischen Lesers ausbreiten, ohne weitschweifig zu werden. Von diesem impliziten Leser grenzt er einen zweiten impliziten Adressaten ab, dem geschickt eine Art Geheimbotschaft zugespielt wird.  (Wie es sich für ein gutes „Liebesgedicht“ gehört!)  Er zeigt, wie Fleming ein Akrostichon umfunktioniert von einem artifiziellen Schmuck zu einem Mittel, den allegorischen Diskurs seines Textes zu unterlaufen und zu verschieben, überhaupt, aus welchem Jenseitsreich losgelöst von der eigentlichen „Aussage“ eines Textes dessen konstitutive Einfälle oft stammen können.  Er zeigt uns einen, der machte nach … (Petrarca, Opitz) und machte nicht unbedingt anders aber geschickter als … (Petrarca, Opitz) und machte, was wir nicht tun. (Aber man ahnt: Mickel oder Kirsch z.B. haben eigentlich manchmal ähnlich gearbeitet!)  Er behandelt Fleming als Dichter der Moderne seiner Zeit (mit ihrem Börsenkrach und ihrer Ölhausse).

Wer sich vor allem für die Lebensgeschichte einer so beeindruckenden wie exemplarischen barocken Gestalt wie Paul Fleming und deren autobiografischen Niederschlag in Gedichten interessiert, findet in dem Band eine anregende und unterhaltsame Lektüre. Wem es um die dichterische Physiognomie und (zeitgenössiche) Poetik zu tun ist, wird auch die eine oder andere vergebene Chance bedauern.

 

„Ich bin ein schwaches Both ans große Schiff gehangen. Die Lebensreise des Paul Fleming in seinen schönsten Gedichten“. edition Cornelius im Projekteverlag Umfang: 164 Seiten, Hardcover, 25,5 cm x 17 cm, 25.00 Euro

 



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