27. November 2010, Willkommen in meiner Stadt, 7.04 Uhr

(Kaffee und Zigarette. Ich erwachte mit einem Schmerz, der sich durch den Körper fraß.) Das Netz ist eine Stadt. (Die Seraphe sitzt in der Küche, sie gähnt, räuspert sich, stöhnt auf. Die Seraphe ist krank. Momentan gleicht unsere Wohnung einer Krankenstation.) Das Netz ist die totale Stadt. Diese Stadt hat wie alle Städte des denkbaren Universums ihre Rotlichtbezirke, ihre Parks und Wälder, ihre Leichen im Keller, die von kundiger Hand aber rasch an die Oberfläche gespült werden können. Unterirdische Gänge funktionieren. Andere sind verschüttet. Wenn es eine Poetik gibt, die dieser Stadt gerecht werden will, dann muss es die Poetik eines Luftgeistes sein, eine Poetik, die aus der Wolkensicht eines totalen und totalitären Blickes schreibt; eines Blickes also, der jede Bewegung in der Stadt im Augenblick seiner Ausführung erhascht und in einen Gesamtzusammenhang stellt. (Gestern hat in einer Seitenstraße dieser Stadt ein gewisser BUECHERBLOGGER meine Erzählung „Eine kurze Geschichte der Brandstifterei“ besprochen. Während ich ihm einen Brief durch den Türschlitz schob, betrat die Blutgräfin FACEBOOOK. Sie sah sich dort kurz um, sie reichte zwei oder drei ihr bis dato unbekannten Personen die Hand und erklärte sie gemäß den Sprachregeln dieses Parks zu Freunden. Aber was geschah noch alles in diesem einen Moment in den Labyrinthen der Stadt? Und stehen diese Handlungen in einem Zusammenhang? Natürlich stehen sie in keinem physikalischen Zusammenhang, den die Ordnung wird erst durch den Blick des Luftgeistes erschaffen; es würde sich um eine literarische Ordnung handeln, die alle Handlungen ineinander verfließen lässt, um so ein Bild des Menschen in dieser Stadt zu schaffen.) Eine Sprache, die sich dieser Stadt annimmt, muss sprunghaft und unstet sein. Der Stadtschreiber, der kein Luftgeist ist, kann die Totalität nur ersinnen. Ein Moment der Beschwörung ohne das tatsächliche Wissen. Den Willen zur Totalität sollte er allerdings aufbringen. Er muss ihn sich notfalls einreden. Er muss ihn sich zuschreiben können. (Die Seraphe blättert eine neue Seite ihres Romans um. Mein Kaffee ist im Becher kalt geworden. All diese Erfahrungen haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt, liegen dort abrufbereit auf der Lauer. Stadtschreiber sollten Egomane sein, die aus ihrem Inneren die Welt erwachsen lassen. Wie anders sollte es funktionieren? Mit mir stirbt die Welt!) Versuchen wir uns also an einem Satz, der schlendernd einige Brocken der Stadt aufnimmt, um sie zu einem Mosaik zusammen zu setzen.

Kaffee, Zigarette, der Kerl steckt unter einer Decke, keine Mordlust, so soll er beteuert haben, keine Mordlust, das erkläre man mal den Eltern, die sich dem Gesicht des Mörders ausgesetzt sehen, er strahlt vom BLATT auf sie hinab, sie begegnen ihm bei Spiegelonline, er verfolgt sie beim Einloggen in den Mailbereich, gesegnet sei der OUTLOOK-USER, die Seraphe hat den Käfig entDECKT, jetzt kann der Vogel, der ein Adler ist, mich beim Schreiben beobachten, rasch ein wenig flanieren, was bedeutet noch einmal JENES oder DIES, wir wikipediasieren uns die Dummheit aus den Augen, raus damit, da fällt mir ein, ich muss noch Dietmar Hillebrandt antworten, der schrieb einen langen und durchdachten Brief, eine Mail, in meiner Stadt gibt es keine Mails, das sind mir Briefe, schnelle, schnöde Briefe, man steckt sie dem elektronischen Reiter in die Satteltasche, auf, auf, bring meine Nachricht rasch ans Ziel, Kaffee, Zigarette, die Prinzen kommen heute zu uns, ich muss hier enden, ich bremse meinen Wort-Zug, es quietscht, da steht das Ungetüm, ich greife nach dem Koffer, springe auf den Bahnsteig, dieser Zug wird warten, denke ich, denn dieser Zug wurde von meinem Hirn ersonnen, da schreit die Berliner Göre, vielleicht, aber ich, sie bekommt von mir eine Ohrfeige, der Satz blieb ihr im Halse stecken, ich winke Ihnen noch einmal zu, bin schon fort, bin auf Landgang, wir sehen uns in diesem WeltBrandTheater!, bis morgen also, liebe Leserinnen und Leser.



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