23. April, Freund Remus über Kleinverlage, 19.04 Uhr

Remus war den Nachmittag über bei mir, er saß tief versunken in seinen Gedanken und im Sesselgrund, der ihn nachgiebiger und nachgiebiger aufnahm, der ihn förmlich gegen Abend verschluckte, bis ich nach ihm rufen musste und er sich endlich mit einem gequälten Lächeln an den Lehnen nach oben und ins Abendlich zog, das ihn mit einem Goldglanz überzog, der ihm nicht gerecht wurde, der ihn ihm Gegenteil falsch darstellte, denn wenn Remus etwas ist, dann kein Goldjunge; er kann es noch so sehr behaupten und vom Leben verlangen, es wird nicht wahr werden. Wir sprachen über die Verlagswelt, in der wir nicht leben, von den Kleinverlagen, die sich ducken, obwohl sie eh schon klein wie Kirchenmäuse sind, und Remus stöhnte ein ums andere Mal auf, er könne nicht mehr, alles müsse man selbst erledigen. Rufe man bei ihnen an, dann würden man ihren Stimmen das Entsetzen anhören, sich schon wieder mit dem Autor von diesem oder jenem Werk auseinandersetzen zu müssen. “Du bittest sie”, sagt Remus, “sagst, sie möchten sich doch an diesen Buchladen wenden, die würden das Buch auslegen, aber sie tun nichts, sie schieben die Verantwortung an eine Praktikantin ab, die nicht will, die keine Lust hat, jetzt auch noch einen Kriminalroman zu bejubeln, und dann sitzt du da und weißt, es wird nichts werden, weil sie deinen Roman nie so bis aufs Blut verteidigen würden, wie du es tun würdest.” Ganz erschöpft war Remus nach dieser Rede, die Worte waren aus ihm geströmt, rasch und schnell und pfeifend wie Wasserdampf aus dem Druckventil eines Schnellkochtopfes, den ich vom Herd hätte nehmen müssen, den ich aber ließ, wo er war, weil ich mir nicht die Hände verbrennen wollte.
Irgendwann später, ich kann mich nicht erinnern, wann genau, weil ich mich in einen Roman von Kleiber vertieft hatte, der mich in einen Sog aus Gewalt und Sex zog, muss Remus gegangen sein, still und leise, wie es gar nicht seine Art ist. Ich war ganz erstaunt, ihn nicht mehr zu sehen, als ich von meinem Buch aufblickte und bemerkte, dass es ihn auf die Straßen hinausgetrieben hatte, fort von hier und seinen eigenen Reden über Kleinverlage und Mühen, die sich nicht lohnen, weil am Ende nur ungelesene Werke bleiben werden, für die sich niemand interessiert, höchstens die eigenen Kinder, um herauszufinden, wer das denn war, den sie all die Jahre Vater nennen sollten, obwohl er sich nur so selten blicken ließ. Er wird wieder zurückkommen, weil es ihn bisher stets in den Sessel in meinem Zimmer trieb, der nur darauf zu warten scheint, dass einer wie Remus in ihm versinkt, um irgendwann ganz darin unterzugehen. An diesem Tag, fürchte ich, wird der Sessel jubilieren, und ich werde meinen besten Freund an seine Bequemlichkeit verloren haben.



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