Hans ist ein fein erzogener und irgendwie immer trauriger Junge, der Gedichte schreibt und an Gedichte glaubt, und die Lasker-Schüler schlägt ihn bald zum Ritter der Traurigkeit. „Tristan“ nennt sie ihn und “meinen reinen Liebesfreund“. Dessen Studienfreund Friedrich ist schwul und Hans schwimmt, ist schwul und auch wieder nicht und letzten Endes doch. Die Lasker-Schüler liebt das, liebt Männer, die schwimmen oder homosexuelle Männer (im hohen Alter wird man sie für verwirrt halten, als sie einmal unvermittelt auffährt und losplappert: »Ich glaube, wenn ich ein Mann wäre, wäre ich homosexuell.«). Solche Männer kann sie lieben, gefahrlos und völlig aufgelöst.
Man lacht am Tisch im Café und amüsiert sich und ist trotzdem im Verborgenen traurig, ein jeder für sich. Da geht die Tür auf und Franz Marc betritt die Szene. Er ist aus München angereist, um die Lasker-Schüler zu retten.
Friedrich Wilhelm Plumpe hat seit 1909 zusammen mit Hans Ehrenbaum-Degele zunächst in Berlin, dann in Heidelberg Kunstgeschichte und Philosophie studiert. Als er eines Abends auf der traditionsreichen Heidelberger Studentenbühne spielt, ist Max Reinhardt zugegen und spricht den jungen Mann an – er suche noch genau solche Schüler. Hans und Friedrich reisen Reinhardt nach ins oberbayerische Murnau, um ein Gastspiel der Max Reinhardt Truppe anzuschaun. Plumpe ist hin und weg, ein rauschender Abend im Park in den Armen von Hans, und so nennt er sich fortan Murnau. Friedrich eilt gleich nach Berlin und will Schauspieler werden. Hans kommt ihm nach, im Sommersemester 1911 verläßt er Heidelberg und folgt seinem Freund.
Ob Ehrenbaum-Degele schwul war? Er und Murnau waren nachweislich Abonnenten der ersten Homosexuellen-Zeitschrift der Welt: „Der Eigene“. Die Zeitschrift erschien monatlich und brachte Gedichte, Prosa und männliche Aktfotos. Namhafte Schriftsteller veröffentlichten dort, u.a. auch Klaus und Thomas Mann, auch der Bohèmien und Anarchist Erich Mühsam, der mit dem selbsternannten Psychoanalytiker Johannes Nohl auf einer Reise nach Italien selbst einmal homoerotische Abenteuer einging. Der Eigene, das war der, der seinen Weg ging, angelehnt an Max Stirner. Der Eigene, das war der freie Mensch.
Die empfindsame Lasker-Schüler schrieb: “Er sang den Frauen Lieder / In süßerlei Abendfarben.“ – aber das stimmt eigentlich gar nicht. Seit 1911 veröffentlichte Ehrenbaum-Degele Gedichte und manchmal gab es Frauen darin, aber sie stehen nirgends im Zentrum und in seinem eigenen Leben finden sie nicht statt. Es gibt überall nur Murnau.
/ Aus einem Essay von Frank Milautzcki über Hans Ehrenbaum-Degele, vollständig im Füllhorn der fixpoetry.