21 Kugeln. Der Tot eines verdächtigen Kindes

DIE GESCHICHTE DER MENSCHHEIT WURDE SCHON IMMER AUCH MIT EINER IN BLUT GETAUCHTEN FEDER GESCHRIEBEN. FÜR DIE GESCHICHTE DER SED JEDOCH HAT MAN EINEN DICKEN PINSEL GENOMMEN.
(Vincent Deeg)
„Wer zu letzt im Wasser ist“ rief der gerade erst fünfzehn Jahre alt gewordene Wolfgang, kaum dass er sich ausgezogen und seine Sachen auf den Boden geworfen hatte seinen Freunden lachend zu. Sie und Wolfgang waren, wie schon so viele Male zuvor, an ihre Lieblingsstelle am Spandauer Schifffahrtskanal gekommen um in diesem, wie in jedem Sommer baden zu gehen.
Doch dieser Sommer ist nicht wie die anderen. Denn es ist der Sommer 1953. Das Jahr, in dem sich die Arbeiter der noch jungen DDR gegen deren Regierung auflehnten. Das Jahr, in dem man auf den Straßen der gesamten Republik gegen die unmenschlichen und ausbeuterischen Forderungen und gegen die Ignoranz der DDR Führung, die sich für die Bedürfnisse der Arbeiterklasse nicht interessierte protestierte. Es ist der Sommer, in dem man in den tiefen Häuserschluchten Berlins, wie gerade mal acht Jahre zuvor wieder das laute Dröhnen und Kettenrasseln schwerer Russische Panzer hören konnte. Panzer, die jedoch nicht, wie zum Kriegsende 1945 in die Stadt gekommen waren um den Faschismus an seiner Wurzel zu zerstören, sondern um den, bis dahin friedlichen Arbeiteraufstand im Keime, vor allem aber mit brutaler Waffengewalt zu ersticken.
Ereignisse, von denen Wolfgang und seine Freunde zwar erfahren hatten, die aber, da sie in West-Berlin lebten weit weg waren. Genauso weit weg, die die politische Spannung, die zwischen dem West- und dem Ostteil ihrer Stadt seit diesem 17.Juni, seit dem inzwischen fünft Tage vergangen waren herrschte.
Und so dachten sie sich nichts dabei, wie immer an den Spandauer Schifffahrtskanal zu gehen, um dort, nur achtzig Meter vom Ostufer entfernt ins kühlende Nass zu springen.
*
„Wer zu letzt im Wasser ist.“ Rief Wolfgang, kurz bevor er das Ufer erreicht hatte erneut. Doch gerade, als er sich, von seinen Freunden dicht gefolgt in die Fluten stürzen wollte, blieb er plötzlich stehen. Der Grund war der Volkspolizist, der sich auf der anderen Seite, also auf der Ostseite des Kanals aufgebaut hatte und den Jungs mit unmissverständlichen Worten und eindeutigen Handbewegungen zu verstehen zu geben versuchte, dass sie dort nichts zu suchen hätten und dass sie sofort verschwinden sollten.
Eine Aufforderung, der man im Ostteil dieser Stadt sicher nachgekommen wäre. Aber auch im Westteil? Nein. Denn dort und das war auch bei Wolfgang und seinen Freunden nicht anders, fühlte man sich, auch auf Grund der Tatsache, dass es noch nie vorgekommen war, dass jemand vom Osten aus in den Westen geschossen hatte, vor dem Machtapparat der SED und deren Büttel sicher.
Ja. Die Jungs fühlten sich tatsächlich absolut sicher. Und so kam es, dass sie, statt, wie von ihnen verlangt das Weite zu suchen, damit begannen, den Polizisten, der sie ihrer Ansicht nach nicht erreichen konnte zu beschimpfen und mit Steinen zu bewerfen.
*
Es dauerte nur wenige Minuten, bis die übermütigen Jungs merkten, dass diese Sache, über die sie gerade noch gelacht hatten kein Spaß, dass diese Situation, die ihnen eben noch als harmlos erschien, mehr als gefährlich war. Denn kaum, dass sie mit ihren lauten Schimpf- und gezielten Steinkanonaden begonnen hatten, als der Polizist am anderen Ufer seine Waffe zog und auf sie zielte.
Der Zeitpunkt, an dem die Jugendlichen endlich beschlossen, ihre Attacken einzustellen und besser das Weite zu suchen. Ein Entschluss jedoch, der viel zu spät kam. Denn der Mann am anderen Ufer eröffnete, während sich seine minderjährigen Gegner bereits entfernten das gezielte Feuer.
*
„Steh auf, Wolfgang. Wir müssen weg hier“ Schrie einer der Jungs panisch, während ein anderer, vor den, von der Ostseite in schneller Folge herüber fliegenden Kugeln immer wieder in Deckung gehend, zu seinem regungslos am Boden liegenden Freund lief, von dem er annahm, dass er nur gestolpert und gestürzt war um diesen zum Aufstehen und zum Weiterlaufen zu bewegen. Doch Wolfgang konnte weder aufstehen, weiter laufen, noch seine laut nach ihm rufenden Freunde hören. Denn Wolfgang war tot.
Es war eine der einundzwanzig Kugeln, die der Polizist neben den anderen herbei geeilten Kasernierten Volkspolizisten auf die bereits fliehenden Halbwüchsigen abgefeuert hatte. Eine Kugel, die Wolfgang, als er und seine Freunde schon fast hundert Meter weit von der Grenze entfernt waren in den Hinterkopf traf und tötete.
**
Wolfgang Röhling wird am 30. Juni 1953 im Beisein des Bürgermeisters, der ihm zu Ehren eine Rede hält und im Beisein hunderter, im langen Spalier stehender Menschen in einem weiße, mit Rosen bedeckten Sarg zu Grabe getragen.
Auf dem Friedhof Seestraße wurde dem am 22. Juni ermordeten Jungen in der Reihe der Opfer des 17. Juni zur Erinnerung eine Gedenkplatte gesetzt.
Ein Mord, der er auf West-Berliner Seite für einen lauten Aufschrei sorgte. Ein Aufschrei, der jedoch auf der Ostseite der Stadt ungehört verhallte. Denn keiner der Polizisten wurde für diese Tat in irgendeiner Weise zur Rechenschaft gezogen.
Nach einem Lagebericht der Volkspolizei hatten die Einsatzkräfte korrekt gehandelt und auf die „Annäherung verdächtiger Personen an die Sektorengrenze reagiert".
21 Kugeln. Der Tot eines verdächtigen KindesWolfgang Röhling. geb. 22.5.1938
21 Kugeln. Der Tot eines verdächtigen Kindesgest.22.6.1953 um 14.15 Uhr am Spandauer Schifffahrtskanal

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