2008 ist nicht 1929

Von Stefan Sasse

2008 ist nicht 1929

Massenauflauf auf Wall Street 1929

Auf Youtube findet sich ein Video, in dem die politische Entwicklung von 1929-1932 der von 2008 bis 2010 entgegengestellt und erschreckende Parallelen festgestellt werden. Sozialabbau, Arbeitslosigkeit, Bankencrashs, Minderheitenhass, allgemeine Angst, Inflationsbefürchtung, Sparpolitik - die Ähnlichkeiten scheinen frappant. Sie sind es allerdings nur, wenn man sie so plakativ herausstellt, wie es dieses Video tut. 2008 ist nicht 1929, und 2010 ist nicht 1932. Es gibt Rahmenparameter, die sich drastisch unterscheiden und für die Einordnung der Situation wichtig sind, Rahmenparameter, die in dem Video nicht vorkommen. Vermutlich, weil sie das schöne Vergleichsbild zerstören würden. Nichts destotrotz sollten wir einen Blick wagen. Das Verständnis der Weltwirtschaftskrise, die nicht zu Unrecht als einer der Gründe, wenn nicht sogar der Grund für Hitlers Machtaufstieg gilt, ist elementar, um solche Geschehnisse in Zukunft zu vermeiden. Jedoch sollte man sich darüber bewusst sein, welche Unterschiede es gibt, und diese Unterschiede lassen hoffen. 
Als im Oktober 1929 die Börsenkurse in New York zusammenbrachen, war dem eine beispiellose Hausse auf den Aktienmärkten vorausgegangen. Für mehrere Jahre waren die Kurse praktisch nicht mehr gefallen. Die Aktienspekulation schien das Spekulative aufgegeben zu haben, das Allheilmittel für den sonst so krisengeschüttelten Kapitalismus gefunden. Der Anteil von Aktienbesitzern, besonders des kleinen Streubesitzes, war nie zuvor oder danach so hoch wie in den Jahren vor 1929. Selbst einfache Arbeiter legten in Aktien ihrer Firma (oder, wenn sie richtig einstiegen, sogar in die anderer Firmen) an. Das generierte neuen Wohlstand, und es schien, als würde man geradewegs in ein goldenes Zeitalter fahren. Die Industrie lief heiß in jenen Tagen, Produkte wurden im Überfluss geschaffen und in alle Welt exportiert. Bereits hier findet sich der erste Unterschied zur Finanzkrise, die 2007 in den USA begann und 2009 auch Deutschland ergriff. Der Weltwirtschaftskrise ging ein Boom der Industrie, des produzierenden Gewerbes voraus, das ein Übermaß an Angebot und damit die Grundlagen für die Deflation der Weltwirtschaftskrise schuf. Die Finanzkrise ist Folge eines Überangebots an Kapital an den Finanzmärkten. Die Realwirtschaft kam aus einer langen Phase der Stagnation, teilweise sogar Rezession, hinein, nicht aus einer Phase des Booms. Allein diese Ausgangsstellung ist also vollkommen unterschiedlich. 

2008 ist nicht 1929

"Bank Run" auf die Union Bank

Das Finanzgefüge der Welt war 1929 noch mehrheitlich vom Goldstandard geprägt. Zwischen den USA und Europa existierte ein Kreditdreieck, das Geld beständig hin- und herfließen ließ: Deutschland bezahlte Reparationen an England und Frankreich, die ihrerseits ihre Kriegsschulden bei den USA abbezahlten. Die USA wiederum vergaben Kredite an Deutschland, das damit seine Reparationen bezahlen konnte. Dieser Geldfluss funktionierte für alle Beteiligten außerordentlich gut. Würde einer der Partner ausfallen, hätte dies allerdings dramatische Konsequenzen. Im Jahr 2007 findet sich keine solche Struktur. Stattdessen sind alle Schulden von einer Staatsverschuldung gekennzeichnet, gegen die Defizite von 1929 wie ein Traum erscheinen. Das Kreditgeflecht ist globaler; Deutschland ist vom Netto-Schuldner, der es 1929 war, zum Netto-Gläubiger geworden, mit hohen Forderungen an Länder wie Griechenland, Spanien und Irland. 
Die Natur des Crashs ist somit auch 2007/09 eine völlig andere, als sie es 1929 war. 1929 und dann besonders 1930 crashte die Realwirtschaft, die ein Überangebot an Waren geschaffen hatte, für das es keine Abnehmer mehr gab. Die Aktienkurse begannen drastisch zu sinken, so dass die Firmen Arbeiter entließen um Kosten zu sparen und die Kurse zu stabilisieren. Dies führte in Zeiten ohne soziale Sicherung natürlich zu dramatischen Einbußen an Massenkaufkraft, wodurch die Situation der Wirtschaft noch weiter verschlimmert wurde. Als die Firmen ihre Kredite nicht mehr bedienen konnten - von den einfachen Leuten ganz zu schweigen -, die alle in besseren Zeiten aufgenommen worden waren, begannen 1931 auch die ersten Banken zu crashen. Das ist ein fundamentaler Unterschied zur Krise von 2007/9, die mit Bankencrashs begann und dann wegen eines fehlenden Kreditangebots begann, die Realwirtschaft in Mitleidenschaft zu ziehen. Da die Regierungen jedoch die Erfahrung von 1929/31 verinnerlicht hatten, kam es 2007/9 zu deutlich geringeren Kaufkrafteinbußen, da zum einen bessere soziale Sicherungen zur Verfügung standen und die Regierungen zum anderen mit expansiven Maßnahmen gegensteuerten. Die sozialen Verwerfungen hielten sich dadurch in Grenzen, ein Effekt, der dadurch verstärkt wurde, dass die Krise von 2007/9 in eine Phase der Rezession und nicht des Booms wie 1929/31 fiel. Dadurch war die Fallhöhe geringer. 

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Migranten-Mutter im Elendsquartier

Tatsächlich bestehen die größten Unterschiede zwischen den beiden Krisen aber auf dem politischen Sektor. Die Lektion der Weltwirtschaftskrise wurde auf allen Seiten gelernt; von Anfang an steuerten die Regierung gegen. Streit bestand nur über die Frage, wann, wie und mit wie viel man gegensteuern sollte, nicht aber über die grundsätzliche Notwendigkeit. Sowohl in den USA als auch in Deutschland waren die Umstände 2008/9 unglücklich, weil in den USA durch die Wahlen ein Vierteljahr des Nichtstun verging, während sich in Deutschland Peer Steinbrück beharrlich weigerte, die Finanzkrise als Realität anzuerkennen. Niemand jedoch kam auf die Idee, wie Herbert Hoover und Heinrich Brüning das Nichtstun und Gesundschrumpfen der Wirtschaft als Heilmittel aus der Krise zu sehen. Entsprechend wurden expansive Maßnahmen ergriffen, sobald das Ausmaß der Krise erst verstanden war, sei es in der Rettung von General Motors, sei es in den Bankenrettungen. Nur eine einzige Bank ging Pleite - Lehmann Brothers 2008 - und die Schockwellen dieses Ereignisses lassen erahnen, was geschehen wäre, wenn man wie 1931 einen unkontrollierten Bankencrash zugelassen hätte. Zwar gibt es Stimmen die besagen, dass es besser gewesen wäre, die Banken pleite gehen zu lassen und stattdessen lediglich die Spareinlagen der Bürger zu garantieren; dies jedoch wäre ein ziemliches Hasardeursspiel gewesen. Angebrachter wäre es wohl, die Kosten der Bankenrettung von den Geretteten zurückzuverlangen. Dass dies nicht passiert, wird wohl politische Langzeitwirkung entfalten, die deutlich über die Jahre 2007 bis 2010 hinausgeht.
In den USA führte die Schockwirkung der Weltwirtschaftskrise bekanntlich zur Abwahl von Herbert Hoover 1932 und damit auch zur Abwahl der neoklassischen Wirtschaftspolitik, in der die Hände in den Schoß zu legen als größte Tugend angesehen wurde. Der neue Präsident Franklin D. Roosevelt verkündete den "New Deal" und begann zum ersten Mal nach keynesianischen Prinzipien (wenngleich zaghaft) Wirtschaftspolitik zu betreiben. In Deutschland hingegen zerbrach 1930 die letzte demokratisch legitimierte Regierung der Weimarer Republik, ironischerweise über die Frage, ob man den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um ein halbes Prozent erhöhen solle. Während die USA von einem beispiellosen Bankencrash erfasst wurden, der erst dazu führte, dass auch Deutschland voll von der Krise erfasst wurde - rief man doch alle Kredite zurück, um das knappe Kapital zurück ins Heimatland zu holen - vernichtete die einsetzende Wirtschaftskrise in Deutschland einen tödlich hohen Anteil an Legitimation, den die Weimarer Republik besaß. 

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Heinrich Brüning

Von diesem Punkt aus unterscheidet sich nicht nur die weitere Entwicklung in USA und Deutschland der 1930er Jahre entscheidend. Auch der Unterschied zu 2007/9 ist frappant. Denn in Deutschland kam 1930 mit Heinrich Brüning ein Mann an die Macht, der wohl so schlecht wie nur wenige dafür geeignet war und der fundamentalste Grund für den Niedergang des Landes bis 1932 und den Aufstieg der NSDAP darstellte. Der fundamentalste Unterschied zwischen 1930 und 2009 ist es, dass zwar zu beiden Zeiten eine unfähige Regierung der Krise entgegenschlitterte. 1930 jedoch war in Deutschland ein Kanzler an der Macht, dessen erklärtes Ziel es war, die Republik zu zerstören und innerhalb von sechs Monaten den Übergang zu einem autoritären Regime zu vollziehen, am besten zu einer Monarchie im Stil des Kaiserreichs. Gedeckt wurde Brüning bei diesem Staatsstreich - denn um nichts anderes handelte es sich - von Reichspräsident Hindenburg, der selbst den Untergang des Kaiserreichs nie überwunden hat. Gegen diesen expliziten Zerstörungswillen sieht die hilflose Inkompetenz, die Steinbrück, Merkel und Köhler 2009 an den Tag legten, geradezu harmlos aus.
Das Massenelend der Bevölkerung, die Bankencrashs, der anhaltende Niedergang der Realwirtschaft - all das waren Auswirkungen seiner Wirtschaftspolitik, deren sich Heinrich Brüning zu 100% bewusst war. Er führte sie absichtlich herbei. Seine Politik der eisernen Haushaltskonsolidierung führte zu einer deutlichen Verschärfung der Krise, und er wusste es. Dahinter stand eine explizite außenpolitische Zielsetzung, die sich gleichzeitig mit seinen innenpolitischen Zielen verknüpfte. Brüning wollte endgültig den Versailler Vertrag, zumindest den Teil der Reparationen, sprengen. Er verfolgte dieses Ziel mit der Prämisse, den Alliierten die Zahlungsunfähigkeit Deutschlands drastisch vor Augen zu führen, indem er das Land soweit ruinierte, dass es zahlungsunfähig war. Es ist eine Tragik der Geschichte, dass dieser Plan aufging; Deutschland stellte die Zahlungen ein, und die Reparationen wurden Mitte der 1930er Jahre endgültig gestrichen - unter Reichskanzler Adolf Hitler, der die Lorbeeren dafür erntete. Innenpolitisch delegitimierte Brüning die Weimarer Republik weiter, um den Übergang zur Diktatur zu erleichtern. Den Aufstieg der NSDAP nahm er dabei willig in Kauf. 

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WPA Arbeitsprogramm; Teil der Maßnahmen Roosevelts

Auch die Bevölkerung war 1931 in ihren Überzeugungen eine andere als die von 2009. Dieser Tage wurden weder Demokratie noch Marktwirtschaft grundlegend in Frage gestellt. Die Horrorzahlen aus Umfragen, nach denen Kapitalismus und Marktwirtschaft als gescheitert betrachtet und der Sozialismus als nicht ganz schlechte Idee gesehen werden, führen in die Irre. Am Ende der Weimarer Republik wünschten sich signifkante Teile der Bevölkerung ein Ende der Demokratie und der Marktwirtschaft zugunsten einer autoritären Regierung, die mit harter Hand alles zum besseren wende. Davon sind wir 2009/10 weit entfernt. Der Ruf nach besserer sozialer Sicherung und Regulierung der Banken ist kaum mit dem Ruf nach einem Diktator zu vergleichen. 
So plakativ die Vergleiche beider Wirtschaftskrisen auch sein mögen, sie führen insofern in die Irre, als dass eine ähnliche Entwicklung zu befürchten ist. Die Regierenden haben ihre Lektion gelernt. Die Garantie der Sparereinlagen hat einen Bank-Run verhindert, expansive Wirtschaftspolitik die Einbrüche der Kaufkraft und Realwirtschaft in Grenzen gehalten. Hätte mehr und besseres getan werden können? Sicherlich. Hätte man früher und entschlossener handeln müssen? Auf jeden Fall. Aber es wurde gehandelt, und das ist etwa, das man für 1929-1933 nicht sagen kann. Die schleichende Deligitimierung von Staat, Demokratie und Marktwirtschaft ist etwas, das nicht den Linien der Dreißiger Jahre folgt. Es ist ein Problem, das andere Ursachen hat und andere Lösungsansätze braucht. Wir haben die Fehler von damals verhindert. Die Entwicklung ging, glücklicherweise, in eine andere Richtung. Handlungsanweisungen können deshalb nicht von Roosevelt, Hoover, Brüning und sicherlich nicht von Hitler erwartet werden. Die müssen wir schon selber finden.
Bildnachweise: Wallstreet - SSA (gemeinfrei)Bank Run - SSA (gemeinfrei)Mutter - Dorothea Lange (gemeinfrei)Brüning - unbekannt (gemeinfrei)WPA - WPA (gemeinfrei)

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