Ich meinerseits wollte nicht Intimitäten aufdecken zwischen Ingeborg Bachmann und ihrem ersten literarischen Förderer und Liebhaber Hans Weigel meinetwegen, zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, denen es offenbar das ein und andere Mal ziemlich gut ging miteinander (man stelle sich den 27jährigen Paul Antschel-Celan vor, der 1948, im dritten Frühling des Überlebens und, nachdem er dem stalinistischen Bukarest entronnen ist, das Zimmer der 21jährigen Studentin Ingeborg Bachmann mit Blüten füllt, es in „ein Mohnfeld“ verwandelt), und die es sich erst danach, sichtbar in den Briefen, schwer machten, aber in den Gedichten zum Glück nur auf die fruchtbringende Weise. Ich wollte nicht Intimitäten wissen zwischen Ingeborg Bachmann und einigen X, Y und Z, zwischen Bachmann und Frisch schon gar nicht. Es reicht, was wir wissen, was in dem Brief an Hans Werner Henze vom 4. Januar 1963 steht, „dass das Leben der letzten Jahre zuende ist“. Das haben andere getan, offensichtlich, sie haben davon zu reden begonnen, die Erben haben die Briefe peu à peu freigegeben. Sonst wüsste ich nichts davon. So aber, ein Geständnis: Ich weiß wirklich nichts, das sind nicht meine Forschungen, und: Ich brauche es auch nicht. Ich lese ja alles in den Gedichten zwischen dem Ich und dem Du, nicht minder in dem Wir, dem Uns, dem Unser, das unermüdlich aufgerufen wird, das immer wieder spricht: „O Leiden, die unsre Liebe austraten, / ihr feuchtes Feuer in den fühlenden Teilen.“ Wie gesagt, ich brauche die Taschenlampe nicht, welche Licht in das verbleibende Dunkel dieses Lebens bringt, die in diesen Schoß leuchtet, selbst gegen meine eigene voyeuristische Anlage brauche ich sie nicht. Denn: Es steht, wie wir hören, alles in den Gedichten. Das Leben steht in ihnen, soweit es wert ist, etwas davon zu wissen, soweit es umzuwandeln ist in Poesie, mit dem Handwerk des Schreibens zu übermitteln dem Anderen, Ihnen, mir, uns. Es steht alles ganz genau in Bachmanns wie in Sapphos wie in Hölderlins wie in Trakls Gedichten. In Celans Gedichten steht es sowieso, dass er sie liebte, dass sie sein Schreibgrund war von der ersten Begegnung an: „Du sollst zu Ruth und Mirjam und Noemi sagen: /Seht, ich schlaf bei ihr! Du sollst die Fremde neben dir am schönsten schmücken.“ Das Gedicht ist berühmt, weil er es ihr als erstes widmete und, weil es die Welt der Todesfuge für immer verbindet mit der Liebe zu der Tochter eines Mannes, der schon 1932 in Kärnten in die Nazipartei eintrat. Viel interessanter aber ist nicht dieser Umstand, sondern das Direkte, dieses „ich schlaf bei ihr“, das so natürlich ist und so biblisch, dass es einen nur freut, diese Sprache des Menschen.
Uwe Kolbe: Über den Nachteil. Dichtung, Liebe, Größenwahn und die „Lieder auf der Flucht“. Eine Art Rede für Ingeborg Bachmann Mehr
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