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Nicht lesen und schreiben können? Für mich eine schwierige Vorstellung. Ich habe einen sechsjährigen Neffen, der gerade das Lesen gelernt hat, und eine neue Welt für sich entdeckt hat. Etwas, dass für mich alltäglich ist.Eine Sms lesen, den Fahrplan, einen Einkaufszettel schreiben, oder diesen Blogeintrag. Das alles wäre nicht möglich, wäre ich Analphabetin.
Im zweiten Teil der Serie 'Lesen' möchte mich deswegen mit dem Problem des Analphabetismus beschäftigen.
Allein in Deutschland gibt es rund 4 Millionen Menschen die nicht Lesen und Schreiben können. Doch, was ist Analphabetismus überhaupt?
Ganz grundsätzlich heißt Analphabetismus: "Unzureichende oder fehlende Beherrschung des Lesens und Schreibens bei Erwachsenen". (wissen.de)
Aber es gibt eben auch verschiedene Formen des Analphabetismus. Der Bundesverband für Analphabetismus hat die verschiedenen Formen vorgestellt:
Primärer Analphabetismusliegt vor, wenn eine Person keinerlei Lese- und Schreibkenntnisse erworben hat. Eine andere Bezeichnung ist natürlicher Analphabetismus. Davon betroffen sind vor allem Menschen in Staaten mit einem wenig ausgebauten Schulsystem, die keine Gelegenheit zum (regelmäßigen) Schulbesuch hatten.
Von sekundärem Analphabetismusspricht man, wenn nach mehr oder minder erfolgreichem Schulbesuch ein Prozess des Vergessens einsetzt, bei dem einmal erworbene Schriftkenntnisse wieder verloren gehen. Die Kinder haben während der Schulzeit lesen und schreiben gelernt, als Jugendliche oder Erwachsene haben sie dies wieder verlernt.
Aber, ab wann ist man denn ein Analphabet? Das Problem ist eben, dass der Begriff relativ ist. Das heißt, es kommt auch immer darauf an, wie hoch der Grad Schriftsprachenbeherrschung in der jeweiligen Gesellschaft ist. Das heißt, in unterschiedlichen Gesellschaften, gibt es unterschiedlich vorausgesetzte Kenntnisse, und gemessen an denen wird man als Analaphabet eingestuft.
Und wie entsteht Analphabetismus? Es gibt eine Grafik, die zeigt, welche Ursachen mit Schuld an Analphabetismus sind. Klick für die Grafik!
Wenn die individuellen Kenntnisse geringer sind, als die er einen umgebenden Gesellschaft, spricht man auch von funktionalem Analphabetismus:
Der Begriff des funktionalen Analphabetismusträgt der Relation zwischen dem vorhandenen und dem notwendigen bzw. erwarteten Grad von Schriftsprachbeherrschung in seinem historisch-gesellschaftlichen Bezug Rechnung. Vor hundert Jahren waren geringere Kenntnisse erforderlich als heute. In einer westeuropäischen Gesellschaft werden weitergehende Kenntnisse erwartet als in sog. Entwicklungsländern, allerdings in Abhängigkeit von der sozialen Schicht, dem Beruf usw. Innerhalb der entwickelten Industriestaaten mit ihren hohen Anforderungen an die Beherrschung der Schriftsprache müssen auch jene Personen als funktionale Analphabeten gelten, die über begrenzte Lese- und Schreibkenntnisse verfügen.
Im März gab es eine Tagung in Jena, die sich genau mit diesem Problem, und vor allem den vielen Jugendlichen funktionalen Analphabeten beschäftigt hat. Zugegen war auch der Experte Timm Helten. Er sieht, dass die Zahl der Jugendlichen, die nicht richtig Lesen und Schreiben können nicht sinkt, obwohl in den letzten Jahren immer mehr Hilfsprojekte ins Leben gerufen wurden. Er kennt auch die vermeindlichen Gründe dafür: Immer größer werdende Klassen, nachlassende individuelle Hilfe, wenig Förderung der Lesekompetenz, zu hause werden keine Bücher gelesen. Er sagt:
"So können sich Kinder durchschummeln, oft durch die ganze Grundschule", sagt der Pädagoge. Doch wer nach der vierten Klasse nicht lesen kann, "wird diesen Rückstand kaum noch aufholen".
Eine besondere Risikogruppe sind die rund 70.000 Jugendlichen die jährlich die Schule abbrechen. Sie haben kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Denn auch auf dem Arbeitsmarkt wird immer mehr auf Information und Wissen gesetzt. Oft muss man einen Computer bedienen, und da ist die Gefahr groß aufzufliegen, wenn man Analaphabet ist.
"Sie entwickeln Mechanismen, um ihre Schwäche zu verstecken", sagt Kreikenbom, zum Beispiel täuschen sie vor, ihre Brille vergessen zu haben oder nehmen Formulare zum Ausfüllen mit nach Hause. In Bernhard Schlinks Roman "Der Vorleser" geht die Protagonistin sogar lieber ins Gefängnis, als ihren Analphabetismus zuzugeben. "Analphabetismus ist Unmündigkeit", schreibt Schlink.
Doch, es gibt Stellen, bei denen man sich helfen lassen kann. Volkshochschulen bieten Kurse an, in denen man seine Schwächen ausgleichen kann - mit Menschen, die die gleichen Probleme haben. Außerdem findet man im Internet zahlreiche Seiten, die Hilfe anbieten. Dazu muss man allerdings ein bisschen lesen können, um sie überhaupt zu erreichen, wenn man keine Hilfe hat! http://www.ich-will-lernen.de/
Im Roman 'Der Vorleser' ist er Analphabetismus das Hauptthema, auch wenn man es zu Beginn gar nicht weiß. Ich habe das Buch in der Schule gelesen und es hat mich tief beeindruckt. Auch der Film ist sehr zu empfehlen! Doch, welche Rolle spielt er in dem Buch?
Im Roman "der Vorleser" ist Hanna vom Analphabetismus betroffen. Aus ihrem Verhalten geht sogar hervor, dass sie keinerlei Lese- und Schreibkenntnisse besitzt - und diese nicht nur eingeschränkt sind.
Daraus folgen für Hanna die oben erwähnten typischen Symptome:
- Sie ist deutlich in ihren eigenen Möglichkeiten der Lebensführung eingeschränkt.
Beispielsweise kann sie vor dem Ausflug mit Michael über Ostern hinweg keinen Einfluss auf den geplanten Weg nehmen, da sie keine Karten lesen kann. Außerdem ist sie selbst während der Reise orientierungslos (Straßenschilder helfen ihr nicht weiter), was an einer Stelle zu einer offensichtlich panischen Reaktion führt, als sie kurzfristig glaubt, Michael habe sie alleine in einem Hotel zurückgelassen.
Im Bereich der Lebensführung ist auch sehr wichtig, dass sie mehrere Aufstiegschancen in verschiedenen Berufen fallen lässt, da sie diese als Analphabetin nicht wahrnehmen konnte.
- Hanna empfindet große Angst davor, dass jemand von ihrem Analphabetismus erfahren könnte.
Die Angst ist bei ihr so groß, dass sie sogar beim Gerichtsprozess zu ihren Ungunsten Schuld auf sich lädt, nur um zu verhindern, dass die Beweise genauer geprüft werden. Bei solch einer Überprüfung der Beweise wäre nämlich ihr Analphabetismus aufgeflogen.
- Hanna hat Strategien entwickelt, um ihren Analphabetismus zu verheimlichen.
So lässt sie z.B. beim Besuch eines Lokals Michael für sie das Essen auswählen, da sie sich angeblich einmal um nichts kümmern wolle. In Wirklichkeit war es ihr schlicht nicht möglich, die Speisekarte zu verstehen.
- Hanna grenzt sich selbst aus.
So gibt Michael an einer Stelle an, dass er Hanna nie beim Einkaufen, bei einem Kinobesuch oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt außerhalb ihrer Wohnung angetroffen habe (während Teil 1 des Buches) - und das, obwohl sein Haus und das von Hanna nur in geringer Entfernung zueinander lagen (nur wenige hundert Meter Abstand). (via rither.de)
Genau das ist doch das Problem, dass auch viele Analphabeten in unserer Gesellschaft haben. Sie können sich nicht richtig einbringen. Se werden irgendwie ausgeschlossen. Analphabetismus ist ein Problem, es fängt in der Schule an! Und, wahrscheinlich leben wir neben ganz vielen von ihnen, ohne es zu merken. Doch viele von uns könnten helfen. Analphabeten muss Mut gemacht werden, so dass sie die Möglichkeit haben, sich nicht zu schämen, sondern sich Hilfe zu holen!
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