17. Juni 1953 bis 2013: Ein Arbeiteraufstand wird missbraucht

Inzwischen ist es wieder in, an den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 zu erinnern. Natürlich wird heute behauptet, die Leute wäre damals für die Freiheit und die Wiedervereinigung auf die Straße gegangen. Tatsächlich gingen die Leute gegen eine SED-Regierung auf die Straße, die an den Bedürfnissen der Menschen vorbei regierte.

Mit ihrem Programm zum beschleunigten Aufbau des Sozialismus förderte die SED damals vor allem die Schwerindustrie, weshalb es zu Engpässen in der Versorgung mit Lebensmitteln und Konsumgütern kam. Die Kollektivierung der Landwirtschaft, mit der eigentlich eine effektivere Nutzung der Flächen und damit eine Steigerung der Erträge erreicht werden sollte, hatte aber erstmal dazu geführt, dass viele Bauern ihre Höfe einfach verließen. Die Neubauern dagegen konnten oft nicht vernünftig arbeiten, weil ihnen die benötigten Landwirtschaftsgeräte fehlten. Anfang der 50er Jahre führte diese Situation zu einer ernsthaften Ernährungskrise in der DDR. Insbesondere im Vergleich zu BRD, die dank der freundlichen Unterstützung durch den Marshallplan inzwischen ein so genanntes Wirtschaftswunder hinlegte, waren die Lebensverhältnisse im Osten vergleichsweise ärmlich. Als die Regierung in dieser ohnehin schon angespannten Lage dann auch noch die Arbeitsnormen erhöhte, die Leute also für den gleichen Lohn mehr leisten sollten, lief das Fass endgültig über: Die Arbeiter begannen zu streiken.

Am Dienstag, dem 16. Juni legten die Arbeiter auf zwei Großbaustellen für prestigeträchtige Neubauten in der Stalinallee und dem Krankenhaus in Berlin-Friedrichshain die Arbeit nieder und zogen statt dessen zum Haus der Gewerkschaften. Dem Protestzug der Bauarbeiter schlossen sich immer mehr Menschen an. Die Gewerkschaftsführer weigerten sich, die Arbeiter anzuhören. Also marschierten sie weiter zum Sitz der DDR-Regierung in der Leipziger Straße. Zwar beschloss das Politbüro, die Normerhöhung zurück zunehmen und ließ den Beschluss vor den Arbeitern verkünden, aber inzwischen forderte die Menge ganz andere Zugeständnisse, unter anderem den Rücktritt der Regierung und freie Wahlen.

Die Berichterstattung des RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) über die Streiks in Ostberlin dürfte dazu beigetragen haben, dass sich die Nachrichten über die Streiks und Proteste in Ostberlin rasend schnell in Ost und West verbreiteten. Am nächsten Tag kam es im gesamten Gebiet der DDR zu Streiks und Demonstrationen.

Wie weit tatsächlich westliche Agenten und Provokateure an der Organisation der Aufstände beteiligt waren, ist umstritten. Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass einiges dafür spricht, dass flächendeckende Proteste, die – ganz ohne Internet, Facebook und Twitter, selbst das Fernsehen gab es damals noch nicht – dermaßen zeitnah erfolgten, nicht völlig unkoordiniert und unvorbereitet gewesen sein konnten. Den Westmächten war die DDR von Anfang an ein Dorn im Auge, und sie haben auch später keine Kosten und Mühen gescheut, den sozialistischen Teil Deutschlands zu sabotieren.

Die SED-Regierung war mit der Situation völlig überfordert und flüchtete nach Karlshorst zum Sitz der Sowjets. Die sowjetischen Behörden verhängten den Ausnahmezustand und übernahmen damit das Ruder. Sie ließen ihre Truppen aufmarschieren und brachten die Lage schnell wieder unter Kontrolle: Angesichts der sowjetischen Panzer brach der Aufstand schnell zusammen. Für den Westen war das einmal mehr ein Beweis für die Unmenschlichkeit des Sozialismus.

Der Senat von Westberlin benannte die Charlottenburger Chaussee bereits fünf Tage später in “Straße des 17. Juni” um und der westdeutsche Bundestag beschloss im August 1953, dass der 17. Juni als “Tag der deutschen Einheit” fortan ein gesetzlicher Feiertag sein sollte, obwohl die ostdeutschen Arbeiter die deutsche Einheit gar nicht gefordert hatten. Insofern ist es nur folgerichtig, dass der 17. Juni als Feiertag mittlerweile wieder gestrichen wurde – durch den Anschluss der DDR an die BRD wurde die Einheit Deutschlands ja wieder hergestellt. Deshalb denkt man heute lieber an den 3. Oktober 1990, an dem sich die DDR mit dem Beitritt zur Bundesrepublik aufgelöst hat.

Warum sollte man angesichts der aktuellen Krisen des siegreichen kapitalistischen Systems ausgerechnet an einen Arbeiteraufstand erinnern?! Heute werden die Massen der arbeitenden Menschen nicht mehr mit Panzern und Maschinengewehren von der Straße zurück an die Arbeit getrieben – heute kommen sie gar nicht mehr auf die Idee, auf die Straße zu gehen und gegen die ständigen Verschlechterungen ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen zu protestieren. Sie haben ja freie Wahlen und die Wiedervereinigung. Da muss der beschissene Rest wohl auch in Ordnung gehen.

Millionen Menschen haben seit der so genannten Wende von 1989/90 ihre Arbeit verloren. Für viele hat sich das Leben zum Schlechteren gewendet – Freiheit ist neben Ballermann und freien Wahlen eben auch, wenn sich der Staat nicht dafür zuständig fühlt, dass es genug für alle gibt. Arbeitslosigkeit ist etwas, das es nur im Kapitalismus gibt, und gerade hier ist sie ein Fluch: In einer vernünftigen Welt würden sich die Leute darüber freuen, wenn sie weniger arbeiten müssten. Aber ohne die Möglichkeit, sich selbst, also die eigene Arbeitskraft zu verkaufen, ist der Mensch zwar frei, aber mittellos. Und so macht mensch heute jeden Scheiß mit: Lohnverzicht, flexible Arbeitszeiten, weniger Urlaubstage, überhaupt Niedriglohn, befristete Arbeitsverträge, Praktika, Zweit- und Drittjob, Selbstausbeutung bis zum Abwinken.

Es ist an der Zeit für einen neuen 17. Juni! Es war nicht der Sozialismus, der die Arbeiter damals zusammengeschossen hat. Auch wenn die Kapitalisten das heute noch immer behaupten. Es war ein autoritäres System, das sich auf den Systemvergleich, also die Konkurrenz, den Wettbewerb mit den Kapitalisten eingelassen hat und sich genau deshalb ihrer Mittel bediente: Gewalt und Unterdrückung. Es ist höchste Zeit, es einmal anders zu versuchen.

P:S: Lieber Bundespräsident, wie wäre es, wenn Sie in einer Ihrer nächsten Reden auch einmal den Mut und die Entschlossenheit der Demonstranten würdigen würden, trotz massiver Repressalien in Dresden gegen Nazis auf die Straße gehen oder in Frankfurt Banken blockieren? Die sich in Stuttgart die Augen herausschießen oder sich im Wendland die Knochen brechen lassen, weil sie gegen eine Politik aufstehen, die sie für falsch halten? Wären die Regierenden in der DDR im Jahr 1989 mit den Demonstranten so umgesprungen, wie das heute in Deutschland üblich ist, hätte es keine Wende gegeben.

http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2013/06/130614-17-Juni-BT.html



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