Sie wollten uns in Bürgerarbeit quetschen. Seit Wochen waren sie in der städtischen Behörde aus dem Häuschen. Bürgerarbeit war ein neues Modell. Bestimmte Kommunen durften sich Hoffnungen machen, dieses neue Konzept als Standort zu erproben. Das gab natürlich Sondergelder vom Bund. Geld erfreut die Herzen. Selbst in Behörden. Also überschlugen sie sich mit Lob, Zuversicht und Aufbruchsstimmung. Die örtliche Tageszeitung machte eifrig mit, druckte ab, was aus den Behördengängen hallte. Mir wurde es indes ganz mulmig, denn ich wusste, das würde nichts Gutes für mich bedeuten. Immer wenn sie einem sagen, dass etwas ganz ausgezeichnet modern und fabelhaft sein wird, und sie nicht selbst davon betroffen sind, dann muss man sich fürchten. Besonders wenn man in die engere Auswahl für diese Wunderbarkeiten kommen könnte. Und genau das war mein Problem. Ich gehörte zum engeren Kreis.
Also ging es auch für mich zur Informationsveranstaltung. Ich wurde dazu eingeladen. Erscheinen war Pflicht, sonst … man weiß es ja. Die Cafeteria des Jobcenters sollte an diesem Abend als Versammlungsort herhalten. Kaffee gab es natürlich keinen für Leute wie mich. Und da waren einige wie ich. Mehr oder weniger. Zwei Referenten nahmen uns in Empfang. Sie sahen weder freundlich aus noch waren sie es. Mit arroganter Miene wiesen sie uns auf die Plätze, nachdem sie die Anwesenheitslisten durchforstet hatten. Dann sollten die Fakten auf den Tisch. Bürgerarbeit halt. Der neuste Coup aus dem Hause »Sozialstaat«. In den Medien las man, dass sie etwas Gutes sei. Eine neue Chance. Der Aufbruch. Die faire Eingliederung und Integration. Die Referenten wussten es besser. Bürgerarbeit hieß etwas ganz anderes.
Im Vorfeld zur Bürgerarbeit, während der so genannten Aktivierungsphase, erklärten sie ruppig ihrem Publikum, müsse sich der Erwerblose rege bewerben. Das war schon mal kein neuer Erkenntnisgewinn. Diverse Eingliederungsvereinbarungen, die ja nicht weniger als der Gegenstand des SGB II sind, regelten das ja bereits.
»Kunden, die schon seit Jahren nur auf der Couch sitzen und in den Fernseher starren, werden nun also aktiviert werden«, sagte der eine der zwei Typen. Er betonte das Wort »Kunden« schon so zynisch. Der Rest war freilich nicht nur zynisch – es war die klischeebehaftete Sprache der Sozialdarwinisten.
»Außerdem bieten wir unentgeltliche Praktika an, damit solche Kunden wieder Elan in die müden Knochen bekämen«, erklärte er weiter. Der andere nickte dazu und ergriff dann das Wort:
»Alleinstehende Erwerbslose haben sich überdies, ganz gleich wie alt sie sind und welchen Familienstand sie aufweisen, fortan bundesweit zu bewerben. Die Region als Arbeitsmarkt alleine reicht nicht mehr aus.«
Währenddessen deutete der andere auf eine Schautafel, die irgendwas von Flexibilität beschrieb.
Wir saßen indes da und waren stutzig, waren sprachlos. Was genau war so neu? Oder anders gefragt: War Bürgerarbeit also genau das, was die ganzen Hardliner eh schon immer forderten? Aber wir hatten es falsch verstanden. Es ging bis dato gar nicht um dieses neue Projekt, sondern um Maßnahmen, die geschehen müssen, bevor man überhaupt die Segnungen dieses neuartigen Konzepts erfahren dürfe.
»Die allerletzte Option ist dann die Bürgerarbeit, die nur denen zugeteilt werden kann, die nicht im regulären Arbeitsmarkt eingegliedert werden können.«
Ein Murmeln ging durch die Anwesenden. Wir hatten begriffen, dass Bürgerarbeit bedeutete, den Druck so stark zu erhöhen, dass im Grunde keiner für die Bürgerarbeit in Frage käme.
»Erstmal in Bürgerarbeit«, sprach einer der beiden Figuren vorne weiter, »werden Sie einer stetigen Begutachtung ausgesetzt sein. Sie erhalten eine für den Arbeitgeber bezuschusste Arbeitsstelle. Es gibt einige Stellen in verschiedenen Branchen. Ihr Arbeitgeber wird aber mit uns rege im Kontakt stehen und Sie begutachten. Wenn Sie sich engagieren, wenn Sie mitwirken, ist es für alle Beteiligten die beste Situation. Fehlt diese Bereitschaft, sollte dem persönlichen Arbeitsvermittler Mitteilungen gemacht werden, drohen selbstverständlich Sanktionen.«
Er blickte zu seinem Kollegen und nickte ihm zu. Jetzt war er an der Reihe:
»Überhaupt stehen Sie in dieser Zeit in einem engen Verhältnis zu Ihrem Vermittler. Sie haben sicher in den Zeitungen von Motivationstrainern gelesen. Die gibt es so nicht. Ihr Arbeitsvermittler wird Sie zu motivieren wissen, glauben Sie uns. Sie werden auch weiterhin. Eingliederungsvereinbarungen abschließen, denn auch ein Bürgerarbeiter muss regelmäßig seine Bemühungen vorweisen. Er soll ja einen Job finden, der nicht subventioniert ist.«
»Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt übrigens zwischen 30 und 40 Stunden wöchentlich«, fuhr nun der andere wieder fort. »Man ist da noch nicht ganz sicher. Vermutlich wird das von Einzelfall zu Einzelfall verschieden gehandhabt.«
»Wie hoch wird denn der Stundenlohn sein?«, fragte einer der Gäste ins Blaue.
»Auch darüber ist noch nicht entschieden worden. Letztlich ist das auch belanglos, da Sie in jedem Falle nie unter Sozialhilfeniveau fallen werden.«
Beide sahen nochmal in die Runde und fragten nach, ob denn noch jemand etwas wissen wolle. Als das nicht geschah, beschlossen sie den Abend und gaben uns noch mit auf dem Weg, dass alle Anwesenden bereits am folgenden Tag nochmal zu einem Gespräch zu erscheinen hätten. Das Projekt gehe nämlich jetzt gleich los. Wir würden alle angerufen und sollten uns für ein Treffen mit unseren Arbeitsvermittlern bereithalten.
Ich legte mich kurz nach dem Abendessen auf das Sofa und versuchte zu lesen. Es gelang mir nicht. Da war dieser Druck, den sie mir und allen anderen in Aussicht gestellt hatten. Und ich war wütend, dass keiner aufbegehrt hat, als diese zwei Pinkel anfingen, von Arbeitslosen wie von Schwerenötern zu sprechen. Aber gut, auch ich hielt meinen Mund. Sicher war sicher. Sie hatten einen ja am Wickel. Freie Meinung und Zivilcourage muss man sich leisten können. Ich ging an diesem Abend ins Bett und schlief erst gar nicht, dann schlief ich schlecht. Mir wurde es zu heiß. Arbeit suchen war in Ordnung, wenn auch mittlerweile ein Akt, der nur fatalistische Reaktionen erzeugte. Der Druck war mir hoch genug, ich litt eh daran. Das was jedoch nun drohte, war mir eine Spur zu drastisch.
Am Folgetag ging ich zum Arzt. Er schrieb mich krank. Meine psychische Verfassung erlaubte das. Kaum zurück daheim klingelte das Telefon. Wahrscheinlich der Arbeitsvermittler. Ich ließ es klingeln, steckte meine Krankmeldung ins Kuvert, beschriftete das Ding und warf es in den Briefkasten um die Ecke. Ich war ihnen entkommen. Drei Wochen später scheiterte das große Projekt mehr oder weniger und wurde eingestampft. Wieso? Keine Ahnung. Vielleicht war ihnen etwas noch Gröberes eingefallen. Ich würde es sicherlich erfahren.
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Also ging es auch für mich zur Informationsveranstaltung. Ich wurde dazu eingeladen. Erscheinen war Pflicht, sonst … man weiß es ja. Die Cafeteria des Jobcenters sollte an diesem Abend als Versammlungsort herhalten. Kaffee gab es natürlich keinen für Leute wie mich. Und da waren einige wie ich. Mehr oder weniger. Zwei Referenten nahmen uns in Empfang. Sie sahen weder freundlich aus noch waren sie es. Mit arroganter Miene wiesen sie uns auf die Plätze, nachdem sie die Anwesenheitslisten durchforstet hatten. Dann sollten die Fakten auf den Tisch. Bürgerarbeit halt. Der neuste Coup aus dem Hause »Sozialstaat«. In den Medien las man, dass sie etwas Gutes sei. Eine neue Chance. Der Aufbruch. Die faire Eingliederung und Integration. Die Referenten wussten es besser. Bürgerarbeit hieß etwas ganz anderes.
Im Vorfeld zur Bürgerarbeit, während der so genannten Aktivierungsphase, erklärten sie ruppig ihrem Publikum, müsse sich der Erwerblose rege bewerben. Das war schon mal kein neuer Erkenntnisgewinn. Diverse Eingliederungsvereinbarungen, die ja nicht weniger als der Gegenstand des SGB II sind, regelten das ja bereits.
»Kunden, die schon seit Jahren nur auf der Couch sitzen und in den Fernseher starren, werden nun also aktiviert werden«, sagte der eine der zwei Typen. Er betonte das Wort »Kunden« schon so zynisch. Der Rest war freilich nicht nur zynisch – es war die klischeebehaftete Sprache der Sozialdarwinisten.
»Außerdem bieten wir unentgeltliche Praktika an, damit solche Kunden wieder Elan in die müden Knochen bekämen«, erklärte er weiter. Der andere nickte dazu und ergriff dann das Wort:
»Alleinstehende Erwerbslose haben sich überdies, ganz gleich wie alt sie sind und welchen Familienstand sie aufweisen, fortan bundesweit zu bewerben. Die Region als Arbeitsmarkt alleine reicht nicht mehr aus.«
Währenddessen deutete der andere auf eine Schautafel, die irgendwas von Flexibilität beschrieb.
Wir saßen indes da und waren stutzig, waren sprachlos. Was genau war so neu? Oder anders gefragt: War Bürgerarbeit also genau das, was die ganzen Hardliner eh schon immer forderten? Aber wir hatten es falsch verstanden. Es ging bis dato gar nicht um dieses neue Projekt, sondern um Maßnahmen, die geschehen müssen, bevor man überhaupt die Segnungen dieses neuartigen Konzepts erfahren dürfe.
»Die allerletzte Option ist dann die Bürgerarbeit, die nur denen zugeteilt werden kann, die nicht im regulären Arbeitsmarkt eingegliedert werden können.«
Ein Murmeln ging durch die Anwesenden. Wir hatten begriffen, dass Bürgerarbeit bedeutete, den Druck so stark zu erhöhen, dass im Grunde keiner für die Bürgerarbeit in Frage käme.
»Erstmal in Bürgerarbeit«, sprach einer der beiden Figuren vorne weiter, »werden Sie einer stetigen Begutachtung ausgesetzt sein. Sie erhalten eine für den Arbeitgeber bezuschusste Arbeitsstelle. Es gibt einige Stellen in verschiedenen Branchen. Ihr Arbeitgeber wird aber mit uns rege im Kontakt stehen und Sie begutachten. Wenn Sie sich engagieren, wenn Sie mitwirken, ist es für alle Beteiligten die beste Situation. Fehlt diese Bereitschaft, sollte dem persönlichen Arbeitsvermittler Mitteilungen gemacht werden, drohen selbstverständlich Sanktionen.«
Er blickte zu seinem Kollegen und nickte ihm zu. Jetzt war er an der Reihe:
»Überhaupt stehen Sie in dieser Zeit in einem engen Verhältnis zu Ihrem Vermittler. Sie haben sicher in den Zeitungen von Motivationstrainern gelesen. Die gibt es so nicht. Ihr Arbeitsvermittler wird Sie zu motivieren wissen, glauben Sie uns. Sie werden auch weiterhin. Eingliederungsvereinbarungen abschließen, denn auch ein Bürgerarbeiter muss regelmäßig seine Bemühungen vorweisen. Er soll ja einen Job finden, der nicht subventioniert ist.«
»Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt übrigens zwischen 30 und 40 Stunden wöchentlich«, fuhr nun der andere wieder fort. »Man ist da noch nicht ganz sicher. Vermutlich wird das von Einzelfall zu Einzelfall verschieden gehandhabt.«
»Wie hoch wird denn der Stundenlohn sein?«, fragte einer der Gäste ins Blaue.
»Auch darüber ist noch nicht entschieden worden. Letztlich ist das auch belanglos, da Sie in jedem Falle nie unter Sozialhilfeniveau fallen werden.«
Beide sahen nochmal in die Runde und fragten nach, ob denn noch jemand etwas wissen wolle. Als das nicht geschah, beschlossen sie den Abend und gaben uns noch mit auf dem Weg, dass alle Anwesenden bereits am folgenden Tag nochmal zu einem Gespräch zu erscheinen hätten. Das Projekt gehe nämlich jetzt gleich los. Wir würden alle angerufen und sollten uns für ein Treffen mit unseren Arbeitsvermittlern bereithalten.
Ich legte mich kurz nach dem Abendessen auf das Sofa und versuchte zu lesen. Es gelang mir nicht. Da war dieser Druck, den sie mir und allen anderen in Aussicht gestellt hatten. Und ich war wütend, dass keiner aufbegehrt hat, als diese zwei Pinkel anfingen, von Arbeitslosen wie von Schwerenötern zu sprechen. Aber gut, auch ich hielt meinen Mund. Sicher war sicher. Sie hatten einen ja am Wickel. Freie Meinung und Zivilcourage muss man sich leisten können. Ich ging an diesem Abend ins Bett und schlief erst gar nicht, dann schlief ich schlecht. Mir wurde es zu heiß. Arbeit suchen war in Ordnung, wenn auch mittlerweile ein Akt, der nur fatalistische Reaktionen erzeugte. Der Druck war mir hoch genug, ich litt eh daran. Das was jedoch nun drohte, war mir eine Spur zu drastisch.
Am Folgetag ging ich zum Arzt. Er schrieb mich krank. Meine psychische Verfassung erlaubte das. Kaum zurück daheim klingelte das Telefon. Wahrscheinlich der Arbeitsvermittler. Ich ließ es klingeln, steckte meine Krankmeldung ins Kuvert, beschriftete das Ding und warf es in den Briefkasten um die Ecke. Ich war ihnen entkommen. Drei Wochen später scheiterte das große Projekt mehr oder weniger und wurde eingestampft. Wieso? Keine Ahnung. Vielleicht war ihnen etwas noch Gröberes eingefallen. Ich würde es sicherlich erfahren.
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