14. Dezember 2010, Die Gespräche der Toten, 5.37 Uhr

„Was soll diese Scheiße?“
„Besuch vom Boss.“
„Schon wieder?“
„Seine Frau ist mitgekommen.“
„Fuck! Das ist ein verfluchtes Kriegsgebiet. Was will die hier?“
„Außerdem hat er Berner im Gepäck.“
„Berner?“
„Den Fernsehmoderator.“
„Fuck!“
„Du sagst es. Sie werden eine Livesendung machen. Berichte über uns. Über unsere Angehörigen. Und mittendrin der Minister.“
„Ich will dieses geschniegelte Arschloch nicht hier haben. Er könnte mal mit uns raus fahren. Die Patrouille würde ihm gut tun. Mal ein bisschen echte Angst haben.“
„Dafür hat er keine Zeit. Und sieh dir seine Alte an. Mann, Baby, die könnte mal für uns tanzen.“
„Wir verkommen immer mehr zur Doku!“
„Reality-TV. So nennen die das heute. Die interessieren sich nicht für unsere Ärsche. Denen sind unsere Ärsche egal. Jeden Tag fahren wir da raus. In dieses verfluchte Absurdistan. Beschützen Brückenbauten, die nie beendet werden. Suchen Typen, die es gar nicht zu geben scheint. Ich habe es so satt. Und nun noch dieser Wichser mit seiner Föhnfrisur.“
„Er macht sich halt Sorgen um uns.“
„Pah. Der macht sich Sorgen um seinen Anzug. Die ganze Angelegenheit stinkt doch zum Himmel. Wir bekommen vor den Aufnahmen mit seiner Alten sogar Texte in die Hand gedrückt. Die sagen uns genau, was wir zu sagen haben.“
„Wir sind eben Soldaten. Wir haben Befehle auszuführen.“
„Ich bin Soldat. Ich soll nicht in der Gegend herum stehen und in Kameras lächeln.“
„Die Kriege von heute sind so. Alles live. Alles wie im Kino. Die Kameraleute stürmen mit uns voran. Eingebettete Journalisten. Wir sind keine Krieger mehr. Wir sind Statisten.“
„Vermutlich waren wir das schon immer. Kommt her. Schreit rum. Fallt um. Gut gemacht. Jetzt könnt ihr sterben.“
„Das habe ich auf keinen Fall vor.“
„Sterben?“
„Das natürlich auch nicht. Nein, ich werde nicht sterben. Aber ich werde auch kein Statist sein.“
„Wie willst du das ändern.“
„Sie haben mich zur Live-Show eingeladen.“
„Dich?“
„Ja, mich! Da staunst du, was?“
„Die müssen es ja ganz schön nötig haben.“
„Ich soll ein wenig über meine Einsätze plaudern.“
„Plaudern?“
„Das Wort haben die vom Fernsehen benutzt. Ich werde meine Waffe ziehen und sie dem Minister an den Kopf halten.“
„Du bist verrückt geworden.“
„Nein, bin ich nicht. Es geht um Angst. Die Waffe ist leer. Er soll die Angst spüren. Er will doch wissen, wie es uns hier so geht. Also soll er es erfahren.“
„Lass das! Du bist irre. Die werden dich fertig machen.“
„Ja. Und deshalb werde ich es wahrscheinlich auch lassen. Aber es wäre endlich einmal echtes Fernsehen.“
„Junge, Junge. Ich dachte schon …“
„Ich bin doch nicht verrückt!“
„Man weiß nie. Das Leben hier macht einen verrückt. Es lässt einen irgendwann durchdrehen.“
„Sieh mal. Dort ist sie.“
„Wer?“
„Die Frau des Ministers.“
„Sie sieht sich einen der Roboter an.“
„Sie klatscht ja richtig entzückt in ihre Hände. Und dieses Haar. Die macht sich hier gut. Die dürfte mir gerne auch mal in der Nacht begegnen.“
„Sie sollte sich den Roboter live bei der Arbeit ansehen. So einen Bombenentschärfung ist eine heiße Sache.“
„Mit der würde ich alles entschärfen.“
„Vergiss es. Du bist der Müll, der sich in diesem verschissenen Land seinen Arsch wegsprengen lassen soll. Die brauchen dich nur dafür.“
„Fick dich! Ich werde nach Hause kommen. Ganz bestimmt sogar.“

(Beide Soldaten starben dreißig Tage nach diesem Gespräch. Ihr Konvoi geriet in einen Hinterhalt. Ihre Leichen verbrannten bis zur Unkenntlichkeit. Das Amt des Ministers würdigte ihre Verdienste um das Vaterland. Er kam nicht zur Beerdigung, weil er gerade mit einem Kamerateam in den USA weilte. Der Minister ließ ausrichten, er sei mit seinen Gedanken bei den Familien der Toten.)



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