Bei literaturkritik.de bürstet Felix Philipp Ingold in einem Abwasch die Neuausgabe des Echtermeyer und die jüngste Lyrik harsch ab, hier in 2 Zitaten dokumentiert (wobei beide Argumentationslinien in einer gewissen Spannung zueinander stehen, denn wenn die Auswahl zB der neusten Autoren zu kritisieren ist, sollte man wohl nicht anschließend anhand dieser Auswahl gleich selbst die „ganze Richtung“ be- oder aburteilen):
1
Zwar soll der „Echtermeyer“ durch „zahlreiche jüngere Lyrikerinnen und Lyriker“ aktualisiert werden, er will aber auch die „Präsentation des Bewährten und Tradierten“ weiterpflegen; er will „sowohl den lyrischen Kanon“ beliebt machen, als auch „auf fremde Spuren“ [sic?] hinführen; er hält nicht nur „die schulische Vermittlungstradition im Blick“, sondern auch „neue lyrische Angebote“, nur dürfen die „neuen Stimmen“ keinesfalls „das Alte vergessen lassen“ – die allzu häufige Wiederholung dieser rhetorischen Beschwichtigungsgeste macht den Kleinmut der Herausgeber umso augenfälliger und gibt ihm eine geradezu peinliche Anmutung. Die Peinlichkeit konkretisiert sich zusätzlich dort, wo die „neue Dichtergeneration“ auf der Betriebsbühne vorgeführt wird in den Rollen von „Neo-Pathetikern, Sprachpuristen und -Alchimisten, postmodernen Simulationsexperten, Bilderbauern [sic!], Sozialsurrealisten und Deskriptiven“, welche angeblich „soziale Realität wieder tiefenschärfer ins Gedicht“ holen oder sich „experimentierend in den Spannungsfeldern zwischen Körper-Sprachen und Sprach-Körpern“ abarbeiten.
2
Weder formal noch thematisch ist bezüglich dieser „Gegenwart“ ein poetischer Epochenstil auszumachen. Zu rasch wechseln Trends und Moden einander ab, es kommt zu kurzfristigen, meist aus Gruppenbildungen erwachsenden Produktionsschüben mit erkennbar gemeinsamer Poetik und individuellen Leitfiguren (wie Thomas Kling, Durs Grünbein, Gerhard Falkner, Franz-Josef Czernin und andere), die ihren prägenden Einfluss allerdings bald wieder einbüssen und nach 2000 abgelöst werden durch eine Vielzahl von umtriebigen Jungautoren und -autorinnen, die sich weder um einen Epochenstil kümmern, noch sich um ihren eigenen Personalstil* bemühen, für die vielmehr Stillosigkeit oder Stilsynkretismus charakteristisch zu sein scheinen. Dass der tendentiell konservative „Echtermeyer“ eine durchaus repräsentative Reihe derartiger Plauder- und Wikilyrik Revue passieren lässt, ist angesichts von deren aktueller Hochkonjunktur kein besonderes Verdienst, zeigt aber doch, wie offen und weitläufig er neuerdings angelegt ist.
*) ob die Anthologisten genau genug hingesehen haben, wird immer strittig bleiben. Der Anthologie- und Generationskritiker hat es sicher nicht. M.G.