12. Dezember 2010, Die Hunde Gottes, 9.46 Uhr

Der alte Mann ist nicht Gott. Und doch fühlt er sich so. Erhoben. Über den Wolken thronend. Das Appartement hat ein Vermögen gekostet. Er liebt das Kokain und seine frühen Runden im hauseigenen Pool. Der liegt im Keller. Er fährt mit dem Aufzug, wenn er schwimmen will. Ein Privataufzug. Er ist nicht Gott. Nur beinahe. Viel fehlt nicht. Er herrscht über die Stadt. Deshalb besitzt er auch dieses Appartement. Es gehört ihm, so wie die ganze Stadt ihm gehört. Irgendwie. Unruhezonen gibt es immer. Eindringlinge. Er schaltet den Fernseher ein. Der ist sein Fernglas. Sein Mikroskop. Im Schwedenviertel ist eine Autobombe hoch gegangen. Ein fehlgeleiteter Muslim. Tot. Der alte Mann steht im Morgenmantel vor dem Fernseher. Er hat seine Badehose angezogen, weil er nach unten will. Schwimmen. So wie jeden Morgen. Er gönnt sich keine Ruhe. Heute ist Sonntag. Das ist ein Tag wie jeder andere für ihn. Auf dem Glastisch hinter ihm erahnt man die Spuren einer weißen Linie. Die überschreitet er jeden Tag. Er benötigt diese Verwehungen. Der Schnee treibt ihn voran. Macht ihn zu dem Gott, der er immer noch nicht ist. Aber bald. Er spürt, dass er auf der richtigen Spur ist. Diese Stadt braucht ihn. Er atmet diese Stadt aus, die nichts ohne ihn und seine Großinszenierungen wäre. Er hat alle Fäden in der Hand. Sie sind seine Puppen. Sie tanzen nach seiner Melodie. Und weil das so ist, lächelt er über die brennenden Autos im Fernsehen. Es gibt keinen Anschlag in dieser Stadt, den er nicht bezahlt hätte. Alles fließt aus seinem Geldbeutel. Er schaltet auf einen anderen Sender. Drogenkrieg im mexikanischen Viertel. Einer der Bandenbosse wäre erschossen worden, erklärt der Nachrichtensprecher. Das macht den alten Mann nervös. Man sei sich aber noch nicht ganz sicher. Die Leiche des Drogenbarons sei noch nicht identifiziert worden. Das hat er nicht angeordnet. Der alte Mann beißt die Zähne zusammen. Fest. Noch fester. Er feuchtet seinen Zeigefinger an. Fährt damit über den Glastisch. Reibt sich die Reste des Kokains auf sein Zahnfleisch. Er entspannt sich. Schaltet weiter. Eine Unterhaltungsshow. Die Stadt sucht nach einem neuen Supertalent. Ja. Das ist sein Baby. So etwas muss man den Leuten in den Napf legen. Fresst, meine treuen Hunde! Das lenkt sie ab. Vor allem von ihm und seinen Geschäften. Das Kokain kühlt ihn aus. Jetzt ist er ein Stück weit größer geworden. Er blickt durch die Panoramascheibe nach unten. Die Stadt liegt zu seinen Füßen. Manchmal hat er das Gefühl, er müsse nur die Scheibe einschlagen und einen Schritt machen, um diese ganze Stadt mit einem einzigen Tritt zu vernichten. Der Gedanke geilt ihn auf. Und doch weiß er, dass er das nicht tun würde. Die Stadt ist sein Leben. Seine Unterhaltung. Sein Baby. Er hat sie erbaut, um damit zu spielen. Er schaltet den Fernseher aus und geht langsam Richtung Fahrstuhl. Seine Erektion lässt nicht nach. Das Kokain. Er denkt bereits über seine nächsten Projekte nach. Er könnte eine Flutwelle erzeugen lassen. Dauerregen. Es gibt immer etwas für ihn zu tun. Er seufzt. Was wissen die Menschen schon? Nichts! Er hält diese Stadt am Leben. Ohne ihn würden sie doch gar keinen Sinn mehr sehen. Er denkt darüber nach. Er ist Gott! Auch wenn er das Universum und diesen Planeten nicht erschaffen hat, ist er doch Gott. Die Fahrstuhltür schließt sich hinter ihm. Er lächelt. Und dann hört er das Ticken. Er runzelt die Stirn. Das Ticken? Dieses Ticken hat hier nichts verloren. Und dann begreift er. Er schließt die Augen. Überlegt, wer diese Bombe in Auftrag gegeben haben könnte. Es gibt immer einen anderen Gott. Das ist ja das Problem mit den Göttern. Wenn er stirbt, wird diese Stadt sterben. Er ist sich sicher. Nichts kann ohne ihn existieren. Das Ticken hört auf. Einen Moment herrscht Ruhe. Dann versinkt er in einem Meer aus Flammen, während in einem anderen Appartement ein alter Mann erwacht. Sein Mobiltelefon piepst. Eine Kurzmitteilung. Er liest das Wort ERLEDIGT. Er grinst. Schließt die Augen. Er musste das tun. Er ist ein Gott. Und Götter tun so etwas, denkt er. Es ist Sonntag. Er wird nachher einige Runden in seinem Pool schwimmen.



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