Wer sicher ist in der Welt, schreibt keine Lyrik. Doch für die Wünschelrutengänger nach Wirklichkeit kann der Vers Intensität, also Sinn, also Erdung, bedeuten. Auf einmal schiesst eine banale Aussenwahrnehmung zusammen mit einer Empfindung: Irritation, Staunen, Erschrecken oder Einbruch von Schönheit, Glück. Solche Vorgänge sind, das wissen mit den alten Mystikern die modernen Poeten, äusserst flüchtige, ja blitzartige Erscheinungen und grenzen als Epiphanien an religiöse Erfahrung. …
Viele der Gedichte Sielaffs sind Zurufe an Kollegen (Robert Creeley, William C. Williams, Ezra Pound); wie Pinselstriche oder Überschreibungen evozieren Verse eine Leinwand Gauguins, eine Fotografie Ciurlionis, ein Feuerwerk von Cai Guo-Qiang.
Auch leise Sensationen sind sagbar. Volker Sielaffs Sprache bewahrt Augenblicksempfindungen, die ohne sie verloren gingen, nicht teilbar, nicht «real» wären. So führt eine Galerie der Tiere zur schönen Wirklichkeit der Eule («gleich einer Fellmütze über den Stamm gestülpt»), zum Kranich, diesem «Emblem im Flug», oder zu des Mauerseglers «Reuiger Herzschrift am Himmel». Wo, wenn nicht im Vers, erführen wir von den sich balgenden Füchsen und ihrer fremden Nähe: «Ein Beben vom See her // warf Sandkuhlen auf, verebbte / im Keuchatem ihrer Schnauzen lautlos / waren sie gekommen lautlos / stahlen sie sich wieder davon»? / Angelika Overath, Neue Zürcher Zeitung 26.5.
Volker Sielaff: Selbstporträt mit Zwerg. Gedichte. Christian-Lux-Verlag, Wiesbaden 2012. 102 S., Fr. 26.50.