102. „Lyrik-Bibel“

„Nächtliches Schreiben führt in Lyrik-Bibel“, titelt die Lokalseite Lengerich, Kreis Steinfurt, der Münsterländischen Volkszeitung:

Diese „Liebe“ wird wohl die Zeiten überdauern. [N.N.] hat gewollt, dass es jeder erfährt. Insgeheim hat die 23-Jährige befürchtet, dass ihre „Liebe“ nicht gut genug ist. Doch die Fachwelt hat entschieden – und für die Arzthelferin ist ein Traum in Erfüllung gegangen: Ihr Gedicht ist in das legendäre „Frankfurter Bibliothek Jahrbuch für das neue Gedicht“ aufgenommen worden.

Mit Verlaub, wenn Journalismus darin besteht, schlecht recherchiert über Sachen zu schreiben, von denen man nichts versteht, ist das ein Musterbeispiel von Journalismus.

„Lyrik-Bibel“: wenn man das Format meint, stimmt es ja. Und Fachwelt, nunja: vielleicht hatte die junge Frau mehr Recht mit ihrem Selbstzweifel. Die Herausgeber jener „legendären“ Anthologien lassen so viele schlechte, oft unfreiwillig komische Texte in ihr dickes Buch, die sind vielleicht Fachleute für Verkaufen, aber gewiß nicht für Lyrik. Kein Lektor, kein Kritiker wird diese Bücher lesen, und wer weiterschreibt und sich vielleicht trotz verfrühtem falschem Lob weiterentwickelt und ein Manuskript bei einem Verlag oder einer Zeitschrift einreicht, sollte nicht erwähnen, daß er „sogar schon in die ‘Nationalbibliothek’ oder wie das heißt, oder die ‘Frankfurter Bibliothek’“ aufgenommen wurde. Erwähnen Sie das auf keinen Fall, es führt unweigerlich dazu, daß die Sendung ohne weitere Prüfung im Orkus landet. Nur die Verwandtschaft und die lokale Presse kann man damit beeindrucken.

Soweit so gut oder schlecht. (Denn schlecht, böse ist es schon, daß Schreibende durch falsches Lob verführt werden. Jeder hat das Recht auf Kritik, wie sonst sollte man lernen?) Kriminell in meinen Augen aber wird die Fortsetzung der Geschichte:

Dieses Buch möchte sie veröffentlichen, sucht zurzeit einen Verlag, der es drucken will. „Die Sichtungsphase läuft noch“, beschreibt sie den aktuellen Stand der Dinge. Selbst bei erfolgreichem Abschluss muss sie in Vorleistung treten. „Als Autorin müsste ich die erste Auflage finanzieren“, hat sie ermittelt. Der Betrag: rund 10 000 Euro.

Wer sagt der jungen Frau, daß sie nicht auf diese Geschäftemacher hereinfallen soll? Nie, in keinem einzigen Fall ist so etwas seriös. Niemals führt von da ein Weg in die Literatur. Ich verstehe nicht, daß zwar jemand, der einer Oma ein Abonnement verkauft, von der Polizei verfolgt wird, was ja richtig ist, aber wer einem hoffnungsvollen Adepten 5.000 oder 10.000 Euro entlockt, damit durchkommt.*)

Vgl. http://lyrikzeitung.com/tag/frankfurter-bibliothek/

*) Es gibt durchaus Möglichkeiten, selbstgeschriebene Bücher über „Book on demand“ zu drucken – für einen Bruchteil der Kosten und mit mindestens dem gleichen Erfolg!



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