10. Januar 2011, Heute wird Rohm noch schweigen (2), 5.42 Uhr

Rohm hat sich mit Weizman getroffen. Sie haben sich über das Schweigen unterhalten, über diese wortabgewandte Seite der Kommunikation. Tausenderlei fiel jedem von ihnen zum Thema ein. Sie bekamen sich gar nicht mehr ein, redeten mit Händen und Füßen über das Schweigen, steigerten sich in Wortströme, bis Rohm schließlich schreiend im Raum stand, der nicht irgendein Raum war, sondern der seit Jahren andächtig ausgeschwiegene Innenraum des Fuldaer Doms. Von der Seite bat eine alte Frau um Ruhe.
Er spräche hier über das Schweigen, schrie Rohm sie an und bat Weizman dann nach draußen, weil man hier nicht in rechter Weise über das Schweigen diskutieren könne, würde man doch beständig von Zwischenrufen gestört.
Weizman schlug ihm vor, sich im Schweigen zu üben. Man könne sich ja dort drüben auf eine Bank setzen und gemeinsam schweigen. Rohm sah seinen Freund verwundert an, folgte ihm dann aber zu dem von Weizman als Bank ausgewiesenen Holzgestell.
Da saßen die beiden Autoren dann, schwiegen beharrlich und verabschiedeten sich nach etwa einer Stunde stillschweigend voneinander.
Mit diesem Weizman ist nicht gut schweigen, dachte Rohm auf dem Nachhauseweg.
Schweigsam betrat er seine Wohnung. Er nickte seiner Freundin Seraphe zu und setzte sich dann an den Schreibtisch, um ein wenig an seinem Roman über einen heroinabhängigen Jazzer zu schreiben.
„Möchtest du vielleicht einen Kaffee?“, fragte ihn Seraphe.
„Hm“, knurrte Rohm.
„Willst du morgen wieder in deinem Blog schweigen?“
„Hm!“
„Hier kannst du reden …“, sagte Seraphe.
Schon brach es aus Rohm heraus. Er schimpfte sich die Seele aus dem Leib, verfluchte Gott, Kirche und Vaterland, und überhaupt und sowieso, er könne diesen Weizman nicht ausstehen, denn mit dem könne man nicht über das Schweigen reden, er hätte es versucht, ja, tatsächlich, er hätte sein Bestes gegeben, um diesem drittklassigen Krimiautor das Schweigen näher zu bringen, die Beweggründe, die einem zum Schweigen führen, all die Momente, die einem durch das Schweigen offenbart werden.
Da war Seraphe schon wieder in der Küche. Sie saß auf ihrem Stuhl und las in einem Roman.
„Warum hörst du mir nicht zu?“, fragte Rohm. „Und überhaupt, was liest du da?“
Sie drehte ihm das Cover zu.
Silentium!, entzifferte Rohm.
„Der Haas, aha“, murmelt er und wand sich dann wieder seinem Schweigen zu, denn über Autoren, die er mochte, schwieg er lieber, um seine eigene Schreibe nicht zu beschämen.



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