Walter White, Barney Stinson, Tony Soprano. Arya Stark, Buffy Summers, Dana Scully. – Klingende Figurennamen, die fest in der Popkultur verankert sind. Bei Gretchen Haase, Lena Schneider oder Marek Gorsky gehen selbst Serienjunkies erste Fragezeichen auf, obwohl diese Hauptcharaktere sehr populären Shows aus Deutschland entstammen. Populär in Deutschland. Natürlich hinkt der Vergleich. Die USA sind nun mal ein riesiges Land mit Mut und Mitteln für international erfolgreiches Qualitätsfernsehen. Allenfalls ein paar britische Beiträge à la „Dr. Who“ und „Sherlock“ schleichen sich darunter; darüber hinaus kommen restlos alle ganz großen Serienhits aus Amerika.
Amerika und der Rest der Welt
Aktuelle Fernsehunterhaltung, die nicht so recht über den Tellerrand hinausschwappt, ist demnach kein rein deutsches Problem, sondern betrifft eigentlich das komplette nicht englischsprachige Europa. Das dänische Politdrama „Borgen – Gefährliche Seilschaften“ sorgte zwischen 2010 und 2013 für etwas Aufsehen, „Gomorrha – Die Serie“ aus Italien erzielt weitläufig Höchstwertungen, „The Returned“ aus Frankreich ehrt derzeit immerhin ein US-Remake. Doch dann wird es auch schon schwierig mit einschlägigen Gegenbeispielen. Interessanterweise steht die einseitige Mauer zwischen den USA und dem Rest der Welt nicht für Kinofilme. „Lola Rennt“ alias „Run Lola Run“ ist den Leuten auch zehntausende Kilometer vom Herstellungsland entfernt ein Begriff, unser geliebter „Tatort“ eher nicht (trotz Export).
„Game of Thrones“, „True Detective“, „Die Sopranos“, „Six Feet Under – Gestorben wird immer“, „The Wire“, „Entourage“, „True Blood“ – sieben der erfolgreichsten Serien der Welt haben eine Gemeinsamkeit: die Erstausstrahlung auf dem Pay-TV-Kabelsender HBO. Ein weiterer Bezahlkanal namens FX steuert „The Shield – Gesetz der Gewalt“, „Sons of Anarchy“, „American Horror Story“ und weitere Hits bei. Showtime vollendet die kostenpflichtige Dreifaltigkeit mit „Dexter“, „Shameless“, „Homeland“ etc. Nur einer der ‚Basiskabelsender‘ konnte sich jüngst gegen diese Macht behaupten: AMC, nämlich mit „Breaking Bad“, „Mad Men“ und „The Walking Dead“. Eine Sonderstellung gebührt „House of Cards“ und „Orange Is The New Black“, denn diese gefeierten Shows wurden exklusiv beim Streaming-Dienst Netflix vorgestellt, ganz ohne klassisches Fernsehen.
Netflix erfreut sich immer größerer Beliebtheit, seit 2014 auch in Deutschland und Österreich. Sendungen auf HBO-Niveau werden im deutschen Fernsehprogramm jedoch schmerzlich vermisst. Simon Sutton, Präsident von HBO International, erklärte, der Sender werde in absehbarer Zeit nicht nach Deutschland expandieren. Die Nische für HBO sei durch die gebührenfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen und Sky bereits abgedeckt. Ein Knüller, diese Begründung, zumal ARD, ZDF und Sky offensichtlich keine vergleichbare Qualität liefern. Was aber nicht Simon Suttons Problem ist.
Mittelmaß als Erfolgsrezept
Was können die, was wir nicht können? Und warum können wir es nicht? Fragen, die Deutschlands Medienlandschaft spätestens seit den 2000ern immer wieder diskutiert. Zunächst einmal kann es nicht an fehlendem Personal liegen. Allein schon unsere Filmhochschulen sprühen vor Talent und großartigen Ideen, nur trifft der Nachwuchs früher oder später auf die desillusionierenden Marktbedingungen. Deutsches Fernsehen ist völlig auf Einschaltquoten fixiert. Es ist fast wie beim Blackjack: möglichst nah an den gewünschten Wert kommen. Doch selbst die besten Blackjack Filme und Bücher sind keine Anleitung für gutes Fernsehen.
Mit ihren Messgeräten ermittelt die GfK täglich das Fernsehverhalten in rund 5000 deutschen Haushalten. Per Knopfdrück müssen die zufällig Ausgewählten jede ihrer TV-Aktivitäten dokumentieren. Für die Teilnahme bewerben kann man sich nicht. 5000 Haushalte stehen repräsentativ für über 30 Millionen. Es nützt wenig, dieses System zu hinterfragen; die Zahlen gelten. Das Resultat scheinen mittelmäßige ‚Kompromiss-Sendungen‘ zu sein, die niemandem wehtun und eben die gewünschte Quote erfüllen. Die Sendeanstalten wollen nicht mit antiquierten Sehgewohnheiten brechen, nicht das Risiko einer niedrigen Quote eingehen. Die Berücksichtigung von Video-on-Demand bei der Messung steckt noch in den Kinderschuhen. In den USA ist die Firma Nielsen Media Research für die Quotenmessung zuständig – und das etwas feinfühliger.
Verantwortliche vs. Volk
Was letztendlich im Fernsehen läuft, entscheiden bei den Öffentlich-Rechtlichen die Intendanten, die wiederum von Rundfunkräten gewählt und beraten werden. Rundfunkräte sollen die Interessen der Allgemeinheit widerspiegeln. Darin vertreten sind Kirchen, Gewerkschaften, Wirtschafts-, Umwelt- und Sportverbände. Ein erschreckend hoher Prozentsatz der Mitglieder hat außerdem eine Staats- beziehungsweise Parteifunktion inne, was mehrfach scharf kritisiert wurde. Das Durchschnittsalter in solchen Gremien kann man sich gut vorstellen. Es herrscht offenbar eine ganz ähnliche Problematik wie bei der FSK, die oftmals haarsträubende Jugendschutz-Entscheidungen trifft.
Die Privatsender kaufen sich unterdessen direkt die guten US-Serien ein und senden diese zwischen billigen Reality-Formaten – für sie bestehen keine gesetzlichen Auflagen. Aufwändigere Eigenproduktionen der Privaten werden ab und zu probiert und können bei schwachen Quoten schnell wieder verschwinden. Wer erinnert sich noch an „Der kleine Mann“ oder „18 – Allein unter Mädchen“ von ProSieben? Immerhin schöne Ideen mit unterhaltsamen Geschichten und guter Besetzung, frühzeitig und chancenlos verbannt. Das Erste, ZDF und die dritten Programme finanzieren sich nicht nur durch Werbung, sondern hauptsächlich durch Gebühren und sind ihrem Publikum sozusagen mehr Eigenleistung schuldig. Aber mit Innovation im Fiction-Bereich hat dieser Umstand leider wenig zu tun.
Landet doch einmal eine frische Serienidee bei den Öffentlich-Rechtlichen, sind ‚vorsichtige‘, mit anderen Worten miese Sendeplätze sehr wahrscheinlich. Paradebeispiel: „Der Tatortreiniger“, der sich nur dank einer lautstarken Fangemeinde doch noch durchsetzen konnte. Diese Sender, auf die es bei der deutschen Serienproduktion ankommt, arbeiten immer noch auf eine ziemlich betagte, traditionsbewusste Zielgruppe hin. Wenn gute, innovative Sendungen nur schwer zu entdecken sind, werden sie eben auch nicht gesehen und schließlich als Misserfolg gewertet. Ein Teufelskreis.
Ein weiterer, wohl der entscheidende Faktor ist das liebe Geld. Den USA stehen schlichtweg zwei-, drei-, viermal mehr Scheine pro Episode zur Verfügung als deutschen Produktionen. Der Etat in Deutschland kann sich schon sehen lassen, doch die Verteilung der Fördergelder gestaltet sich ähnlich fragwürdig wie die Zusammensetzung der Gremien. Beim Nachwuchs für fiktionale Stoffentwicklung entsteht eine „Funktioniert hier ja eh nicht“-Mentalität, die ihm schon in der Ausbildung eingetrichtert wird. Noch ein Teufelskreis.
So funktioniert der deutsche Serienhit
Die deutschsprachige Serienlandschaft versumpft im Einheitsbrei aus Regiokrimi und seichter Komödie. Was passiert, wenn sich tatsächlich mal jemand an wuchtiges Drama nach US-Vorbild wagt? Dann wird es schnell peinlich. Die Leute vor der Kiste merken sofort, wenn eine Sendung krampfhaft Hollywood-Nachahmung versucht und strafen derartige Experimente ab. Deutsche Geschichten mit regionalem Bezug kommen gut an („Die Fallers“, „Großstadtrevier“). Natürlich braucht es diese betonte Nähe nicht immer. Zu große Ambitionen wiederum können sich rächen. Man denke an die unfreiwillig komische RTL-Produktion „Verschollen“, für die man eine einsame Insel mit abgestürztem Flugzeug im Studio nachbaute. (Autsch: Die letzte der nur 28 Folgen lief drei Tage nach der Deutschlandpremiere von „Lost“.) Der Mittelweg ist zugegebenermaßen schwierig.
2015 begannen die Dreharbeiten einer ZDF-Miniserie im Stile von „Breaking Bad“. Bastian Pastewka spielt einen Familienvater, der sich aus finanzieller Not heraus zum Falschgelddrucker wandelt. Es könnte funktionieren, wenn der Anteil an Eigenständigkeit stimmt. Mehrere gute Serien aus Deutschland verwenden eine geklaute Idee, punkten aber mit einer eigenständigen Hauptfigur, siehe „Pastewka“ (Vorbild: „Lass es, Larry!“) und „Stromberg“ (Vorbild: „The Office“). Und manchmal gibt es sie dann doch, die deutschen Originale mit Niveau, die Kritik und Publikum (Publikum ≠ gemessene Quoten) überzeugen. Ein paar Beispiele aus der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit:
• „KDD – Kriminaldauerdienst“ (2007 – 2009)
Komplex erzählter Krimi mit Fokus auf den Arbeitsalltag und private Probleme einer Dienstgruppe.
• „Dr. Psycho“ (2007 – 2008)
Reichlich Dialogwitz mit Christian Ulmen als spleeniger, nerviger Polizeipsychologe in Köln.
• „Im Angesicht des Verbrechens“ (2010)
Zehnteilige Miniserie von Dominik Graf über die Jagd auf die russische Mafia in Berlin.
• „Weissensee“ (seit 2010)
Episches Drama über zwei ungleiche Familien aus der DDR, erzählt ab dem Jahr 1980.
Außerdem startete unlängst „Blochin“. Jürgen Vogel spielt den titelgebenden Mann ohne Vornamen, der unter mysteriösen Umständen von den Totgeglaubten zurückkehrt und mit seinem Schwager in einer Mordkommission ermittelt. Das Publikum reagiert im Schnitt verhalten. Trotzdem eine Richtung, die es weiterzuverfolgen gilt. (Gerne auch mal ohne Polizisten als Hauptfiguren.) Es braucht mehr Mut, mehr Budget, frischere Gremien und differenziertere Marktforschung als Richtlinie. Dann hat die deutsche Qualitätsserie eine Chance. Bis dahin ist es ein langer Weg. Der erste Schritt ist, mit der Kritik am bestehenden System nicht aufzuhören. Und, so mühsam es klingen mag, deutschen Formaten als ZuschauerIn immer wieder eine Chance zu geben.
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