Zwischen Zauber und Wohlstandsdreck

Und da war es wieder, das eigenartige Gefühl im Bauch; ein Kribbeln, fast schon ein Pochen.

Ol’chon.

Nach einem Jahr bin ich endlich wieder hier, auf der größten Insel des Baikalsees. Ol’chon ist magisch, sagt man. Von alters her prägten Schamanen diesen Ort, es gibt heilige Felsen und Berge; unzählige Legenden und Sagen zeugen von der Kraft dieses kleinen Stücks Landes im tiefsten See der Erde.

Ja, sie ist magisch, die Insel Ol’chon.

Ich sitze auf der „schamanka“, dem Schamanenfelsen, blicke auf den Baikal, höre die Wellen und genieße eben jenes Gefühl, das mich ein Jahr zuvor schon in seinen Bann gezogen hat. Mein Blick schwenkt nach links, auf die Insel. Ich sehe Chusir, den Hauptort Ol’chons, Hügel und Wälder. Höre ein vereinzeltes Bellen, die Flügelschläge einer Möwe. Sonst nichts. Mein Blick schwenkt zurück, zurück auf den Baikalsee. Die tief stehende Sonne blendet. Augen zu.

Lange war sie, die Fahrt nach Ol’chon. Sieben Stunden ruckelte, krachte und schnaufte der Bus von Irkutsk in den Nordosten. Einzelne Dörfer zogen vorbei, grün-gelb-orange Birkenwälder, Steppe. Schon der Weg selbst lohnt sich, stellte ich fest.

Ol’chon. Da lag sie nun. Die Südspitze nackt und baumlos, nur durch einige wenige Kilometer Baikalsee vom Festland getrennt. Wir setzten über. Fuhren weiter, vorbei an vereinzelten Häusern. Und überbordenden Mülltonnen.

Idylle kaputt. Ich fühlte mich an Werner Bootes „Plastic World“ erinnert. Plastikflaschen, Plastiktaschen, Plastikverpackungen – all das lag weit verteilt in dieser großartigen Landschaft herum.

Ol’chon hat ein Müllproblem. Jedes Jahr steigt die Zahl der Touristen, die auf die Insel kommen. Ob zum Baden, Wandern oder Radfahren, Ol’chon ist förmlich dazu prädestiniert, gestresste Irkutjaner zu entspannen und ausländische Touristen zu begeistern. Und der Wohlstandsdreck hinterlässt seine Spuren.

Dass dieses Müllproblem nicht ignoriert wird, beweist das Projekt „Tschistye Berega Bajkala“ („Saubere Küsten des Baikal“), in Rahmen dessen seit dem Jahr 2007 Mülltonnen und Hinweisschilder aufgestellt und regelmäßig Müllsammelaktionen durchgeführt werden. Auch in der Bevölkerung, so scheint es mir, ist die Sensibilität dafür gegeben, dass der Baikalsee ein einmaliges Naturdenkmal ist, das es zu schützen gilt. Zu einer richtig sauberen Küste ist es aber noch ein weiter Weg. Der Anfang diesbezüglich ist auf jeden Fall gemacht.

Augen auf. Von oben, von der „schamanka“ aus, sieht man den Müll nicht. Das einzige, was ins Auge sticht, ist die unglaubliche Schönheit dieses Ortes. Ich drehe mich um, nehme ein 50-Kopeeken-Stück und werfe es in hohem Bogen über meine Schulter. Ich komme wieder.



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