»Eskalation«, »Randale«, »Übergriffe«. Diese Worte dominieren die Berichterstattung über den Demos gegen den Ball der Burschenschaften in der Wiener Hofburg, den offiziell die FPÖ organisiert. Ein verzerrtes Bild. Der Großteil der Demos blieb gewaltfrei. Für die punktuellen Eskalationen ist die Polizei zumindest mitverantwortlich. Eine Reportage von hpd-Korrespondent Christoph Baumgarten.
Die großflächige und höchstwahrscheinlich illegale Vermummungsverordnung, die die Polizei zwei Tage davor erlassen hat, dürfte viele abgeschreckt haben. Sie verbietet es, in neun Wiener Gemeindebezirken Schals zu tragen.
Junge Familien, sonst häufig auf Demonstrationen gegen Rechtsradikalismus zu sehen, fehlen heute fast völlig. Auch die Senioren sind rarer geworden.
»Das ist psychologisch nicht gut«, sagt eine Demonstrantin, die auf mehreren Protesten gegen den so genannten WKR-Ball war. »Genau diese Gruppen sorgen normalerweise dafür, dass die Stimmung ruhig bleibt.« Sollte das Vermummungsverbot eine Deeskalationsstrategie gewesen, sei sie gründlich daneben gegangen. Wiewohl kaum jemand auf der Demo glaubt, dass das Ziel der Maßnahme war. »Sie wollen so die Stimmung hochschaukeln«, mutmaßt ein Teilnehmer. Berichte, dass die Verordnung an diesem Abend jemals exekutiert worden wäre, gibt es nicht.
Das internationale Interesse ist groß. Eine Redakteurin eines spanischen TV-Senders macht sich bereit für ihren Aufsager. Ein israelisches Fernsehteam schwirrt durch die Reihen der Demonstranten. Auch das ZDF hat man schon gesehen.
Die Polizei lotst die Demo durch die Wiener Innenstadt. Über ein Stück des Rings geht es durch die engen Gassen des ersten Bezirks Richtung Stephansplatz. Der Heldenplatz vor der Hofburg ist für Proteste heute gesperrt. Eine Demo von Holocaust-Überlebenden gegen den Ball der Burschenschafter wurde abgesagt. Große Teile des Bezirks sind abgesperrt. Das sorgt für Unmut. »Auf den Protestaktionen am Heldenplatz ist in den vergangenen Jahren nie was passiert. Gerade das abzusagen ist das Schwachsinn«, sagt ein Demonstrant. »Überhaupt ist der Heldenplatz für die Polizei auch einfacher zu kontrollieren als die engen Gassen der Innenstadt. Die Leute da hinein zu leiten beschwört doch kleine Eskalationen nach der Kundgebung gerade zu hinauf.«
Die Prognose soll sich als richtig erweisen. Kleinere Gruppen von Demonstranten liefern sich nach der offiziellen Kundgebung ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Darunter mischen sich immer wieder Kleingruppen Gewaltbereiter wie vom Schwarzen Block. Auch eine Gruppe Nazis soll unterwegs sein und für Ärger sorgen. Am Ende des Abends wird es zwei Dutzend Verletzte geben. Demonstranten wie Polizisten.
Es dauert wenig mehr als eine halbe Stunde, bis der Zug am Stephansplatz angekommen ist. Der Maronibrater freut sich über den Demonstrationszug und schießt ein Erinnerungsfoto.
»Super, der Platz ist voll«, schildert ein Punk. Auch er offensichtlich mit Demo-Erfahrung. »Das sind mehr Menschen, als ich erhofft habe. Ich freu mich über jeden, der heute da ist. Es ist wichtig, dass wir ganz viele sind, die gegen die Antisemiten und die Rassisten aufstehen, die heute in der Hofburg tanzen.« Rote Fahnen und Menschenmassen dominieren das Bild des Platzes vor dem Stephansdom. Ein eher ungewohnter Anblick.
Die Schlusskundgebung fällt eher kurz aus. Nahezu wortlos zerstreuen sich die mittlerweile 8.000 Demonstranten. Die meisten ziehen über den Graben ab, hinein in die engen Gassen. Über die Kärntner Straße Richtung Oper versuchen es nur Kleingruppen. Ab der Oper ist Sperrgebiet, weiß man. Eine Polizeisperre steht neben der anderen.
Niemand, der nicht im Sperrgebiet wohnt oder nachweisen kann, dass er etwa in die Oper oder auf eine Geburtstagsfeier geht, darf hinein. Das ist zumindest der Plan. Auf den besser bemannten Sperren wird er auch eingehalten. Eine Radfahrerin verzweifelt beinahe, als sie hört, dass sie hier nicht durchdarf. Nach einigen Verhandlungen darf sie doch hinein. Sie ist sichtlich keine Demonstrantin.
Ich marschiere durch eine Polizeisperre. Niemand fragt mich, wer ich bin, was ich hier will oder kommt gar auf die Idee, mich nach einem Ausweis zu fragen. Ich bin drin in der Zone, die Journalisten heute Abend laut Verordnung nur unter Polizeibegleitung betreten dürfen. Und auch das nur innerhalb eines engen Zeitrahmens. Eine De-Facto-Zensur, wie die für Journalisten zuständige Gewerkschaft GPA-djp kritisiert.
Ich flaniere über den Ring Richtung Albertina. Die hat interessanterweise offen. Ebenso die Cafes in der Umgebung. Auch die Staatsoper. Die Polizei scheint die Sperrzone selbst nicht richtig ernstzunehmen. Und hat wahrscheinlich nicht genügend Polizistinnen und Polizisten um die vielen Kontrollpunkte adäquat zu besetzen. Das Sperrgebiet ist so groß wie nie, das erfordert offenkundig mehr Absperrungen, als man bewältigen kann. Das Denkmal gegen Krieg und Faschismus steht heute abend verwaist da.
Ich bin kurz vor der Spanischen Hochreitschule in der Hofburg. Einige Taxis fahren an mir vorbei. Sie bringen mit ziemlicher Sicherheit Gäste zum umstrittenen Ball. Polizisten sehe ich weit und breit keine.
Am Michaeler-Platz verlasse ich die Sperrzone. Niemand fragt mich, woher ich komme und was ich hier gemacht habe.
Die Polizisten hier wirken eher gelangweilt und leicht durchgefroren. Vier Demonstrantinnen und Demonstranten leisten ihnen Gesellschaft. Sie reden freundlich mit den Beamten und machen keinerlei Anstalten, irgendwohin zu wollen. Als sie die Kamera sehen, posieren sie vergnügt.
Auch die Herrengasse ist abgesperrt. Eine Samba-Band tanzt vor der Sperre. Etliche Demonstranten machen mit. Besonders populär ist der Demo-Reim.
»Ihr habt Säbel
Wir haben Sticks
Wir können Samba
Ihr könnt nix«
Ein sichtlich betrunkener Protestteilnehmer Mitte 50 schreit immer wieder »Anarchie«. Er scheint nicht mehr imstande zu sein, zu erklären, wie er das meint. Noch scheint es ihm ein Anliegen zu sein, der Welt irgendetwas mehr mitzuteilen als dieses Wort. Auf der Straße liegen etliche Bierdosen.
Vor dem Burgtheater hat die Polizei mehr als hundert Demonstrantinnen und Demonstranten eingekesselt. Warum, weiß niemand so genau. Die Polizei ist nach Augenzeugenberichten bei der Aktion ungewöhnlich hart vorgegangen. »Wir wurden aufgefordert, uns auf diesen Platz zu begeben. Bevor wir überhaupt losgehen konnten, sind wir schon gestoßen worden«, schildert eine Demonstrantin.
Nachdem man die Gruppe eine Zeit lang fest gehalten hat, lässt man sie wieder laufen, ohne irgendwelche Personalien aufzunehmen. Warum, weiß offenbar auch niemand so genau. Im Zuge der Aktion kommt es zu Zusammenstößen zwischen Polizisten und einer zweiten, wesentlich größeren, Gruppe von Demonstranten, berichtet neuwal.com.
Zwischen Parlament und der U-Bahn-Station Volkstheater hat eine Gruppe von Demonstranten eine Gruppe Polizisten eingekreist. Allerdings mit deutlichem Respektabstand. Ein Demonstrant wirft Feuerwerkskörper in Richtung Polizei. Andere beschimpfen die Beamten. Zwei Radfahrerinnen umkreisen die Polizisten.
Ein Clown marschiert in einer Stechschritt-Karikatur an ihnen vorbei und löst Gelächter unter Demonstranten und Zuschauern aus.
Verstärkung kommt und eine Teilnehmerin zupft mich am Ärmel. Ich sollte besser weiter weg gehen. Es könnte unangenehm werden. Bilder des Fotografen Daniel Weber zeigen, dass die Polizei sich Gerangel mit Mitgliedern des Schwarzen Blocks direkt bei Rolltreppe zur U-Bahn liefern.
Die meisten noch verbliebenen Demonstranten verlassen die Umgebung. Vor der Akademie der Bildenden Künste soll es zu Übergriffen kommen, heißt es mittlerweile auf sozialen Netzwerken. Bilder zeigen, wie die Polizei Pfefferspray in Richtung Demonstranten versprüht. Einige Demonstranten attackieren die Schilder der Polizisten mit Fahnenstangen. Ein Polizist schwingt seinen Knüppel. Es gibt Verletzte. Die Veranstalter der Demo sprechen von Polizeigewalt. Mehrere Menschen werden festgenommen, andere ins Krankenhaus eingeliefert.
Ich bespreche die Ereignisse mit Demonstrationsteilnehmern in einem Lokal, das noch offen hat. Es ist gegen ein Uhr früh und die meisten Gäste hier dürften gegen den Akademikerball demonstriert haben. Ein Sanitäter des Roten Kreuzes gesellt sich zufällig zu uns. Er wirkt entspannt. »Heute war unser Einsatz schon um elf beendet. Das ist viel früher als sonst. Es war ruhiger als in den vergangenen Jahren.«
Christoph Baumgarten