Zwischen Systemwandel und Bewahrungskampf: Markiert die globale Kapitalismuskrise den Scheideweg für die menschliche Zivilisation?

Gedanken zum Zivilisatorischen Gestaltungswandel:

Zur evolutionären Entwicklung sozio ökonomischer Alternativen und dem Kampf um den Status Quo

1. Weltenstruktur: Machtpolitisch multipolar – Konzeptionell homogen

Die Entwicklung einer globalen Zivilisation aller Menschen steht unmittelbar bevor, d.h. wir befinden uns mittendrin. Die weltweite Krise des Kapitalismus stellt die Markierung eines Scheideweges dar. Zum ersten mal in der Zivilisationsgeschichte der Menschheit herrscht weltweit nur noch ein einziges sozio-ökonomisches Grundparadigma, nämlich das eines mehr oder weniger markradikalen Raubbau und Ausbeuter Kapitalismus. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus  wurde unsere Welt machtpolitisch multipolar, und diese Divergenz hält noch an, aber im Prinzip gibt es keine konkurrierenden gegensätzliche sozio-ökonomische Modelle mehr, sondern ledeglich nur noch, dem jeweiligen regional herrschenden kulturellen Kontexten angepasste, Ausprägungen ein und desselben Grundmusters.

2. Eigenschaften und Ausprägungen des herrschenden Kapitalismus

Wir leben in einer matereriell ausgerichteten Weltgesellschaft, die die Gier als Denk und Handlungsgrundlage hat. Der individuelle und nationalwirtschaftliche Erfolg hängt vom ewigen Wachstum auf Kosten von Mensch und Umwelt ab. Ausbeutung und Raubbau sind die Methoden, Kosteneffiziens und Profitmaximierung die bestimmenden Kriterien des Kapitalistischen Paradigmas. Der Mensch, so scheint es, ist von Natur aus gierig und egoistisch; so dass die beste Verfassung eine ausbeuterische Konkurrenzwirtschaft ist, welche motiviert und Werte letztendlich für alle Gemeinschaftsmitglieder schafft.

Die materiellen und finanziellen Werte, die sich aus dem egoistischen Wirtschafts Verfahren ergeben, werden über ein soziales Transfersystem teilweise an weniger erfolgreiche oder sogenannte sozial schwache Mitgliedern übertragen, d.h. ein für den gesellschaftlichen Zusammenhalt notwendiges altruistisches Element, wird über das System generiert und stammt nicht vom Menschen selbst. Das Überleben des Einzelnen, das seit Urzeiten nur innerhalb und mit der Gruppe möglich ist, kann wesentlich nur durch Kooperation gesichert werden. Grundlagen jeglicher Kooperation ist der Altruismus, der das glatte Gegenteil eines durch Gier entseelten Egoismus darstellt. Egoismus und die damit verbundene Gier optimiert Produktivität und Wertschöpfung innerhalb des kapitalistsichen Marktsystems. Der sozial – ökonomische Kitt einer kapitalistischen Gesellschaft, der Altruismus, wird nur noch systemgeneriert – losgelöst von Werten und Normen.

Die Soziale Tradierung durch den Marktradikalismus prägt menschliches Bewusstsein und determiniert die aktuell vorherrschenden destruktiven Handlungsschemata. Konkret gesprochen wird ein positiver Zusammenhang zwischen freiheitlicher Demokratie und freien, ungehemmten Raubbau Kapitalismus  propagiert. Wer gegen den Kapitalismus ist, ist kein Demokrat, sondern ein realitätsferner Kommunist, ein chaotischer Anarchist oder ein melancholischer Müsli Ökolologe ohne Realitätsbezug. Stets wird Systemkritik nicht als konstruktiven Beitrag zur Weiterentwicklung gesellschaftlicher oder wirtschatlicher Modelle begrüßt, sondern mit  undemokratischen, ja sogar kriminellen oder terroristischen Umstürzlern in Verbindung gebracht, die Wohlstand, Freiheit und Besitz bedrohen.

Eine ideologiefreie inhaltliche Beschäftigung mit den Agumenten der Systemkritiker wird von vorne herein abgelehnt. Ein Dialog findet nicht statt, eine dialektische Weiterentwicklung unseres Zivilisationsparadigmas ist damit unmöglich. Die systemtreuen Mainstreammedien  scheinen weltwelt quasi gleichgeschaltet; sie  kritisieren nur scheinbar die untragbaren Verhältnisse, hinterfragen dann aber sehr schnell die “Machenschaften der Systemkritiker” und deren Legetimierung – ganz im Sinne eines nur scheinbar freien kritischen Journalismus.

3. Die Konstruktion Alternativer Zivilisations- Modelle und Paradigmen

Die Konstruktion, Gestaltung und Umsetzung alternativer Systementwürfe muss daher notgedrungen außerhalb des bestehenden Systems erfolgen; und damit ist klar, dass es nur eine komplette Systemsubstitution geben kann, weil das jetzige System weder reformbereit noch entwicklungsfähig ist. Dies zeigt das bornierte Festhalten der Politiker an alte überkommene Lösungskonzepte in Anbetracht der Weltwirtschaftskrise: Die neoliberalen Ausbeuter und Raubbau Konzepte, die die Krise erst verursacht haben, sollen nun plötzlich der Problemlöser sein? Der status quo wird über die Menschenrechte und über alle demokratischen Pinzipien hinweg mit aller Gewalt durchgesetzt. Die Handelnden verfallen zunehmend der Panik. Denn sie erkennen, dass mit dem Internet eine Grenz- und Ideologie übergreifende Kommunikations- und Koordinationsplattform entstanden ist, welche eine neue Form der Machtausübung und politischen Gestaltungsnahme bedeutet.

Mit dem Beispiel der Jasmin Revolution in den nordafrikanischen Staaten wurden eindrucksvoll die praktischen Möglichkeiten eines über und mit dem Internet organisierten Machtwechsel vorgeführt. Die Herrschenden, vor allem die im westlichen Kuturkreis, haben dies erkannt; und in ihrer scheinheiligen Art zwar den Revolutionären ihre Anerkennung  gezollt (oh, ihr seid grosse Demokraten, jetzt werdet auch gute Konsumenten), aber gleichzeitig verfielen sie noch schneller einem recht dilletantischen Anti Internet – Aktionismus. Neue Formen der direkten und transparenten Partizipationsdemokratie über das Internet, die z.B. mit den Piraten  mit liquid democracy eingeführt wurden, werden in Deutschland schnell von neoliberalen Politikern als schlimm, dumm, inkompetent, undemokratisch und weiß der Teufel was hingestellt.

Liquid democracy als Tyrannei der Massen, wir erinnern uns an die denkwürdige Aussage eines gewissen FDP Granten, der deutlich machte, wie sehr er seine politische Verantwortlichkeit gegenüber dem Bürger fürchtet, wie wenig er davon hält, dass man offen seine Arbeit verfolgen und bewerten kann. Demokratische Öffnung und Kontrolle ist eben eine Tyrannei der Massen.

4. Das neue technische Evolutionsmodell unserer Zivilisation und die allergische Reaktion der Status Quo verfechter darauf

Die Internet basierte Partizipationsdemokratie ist eine moderne und effektive Demokratie Ausprägung, die die Herrschenden mangelns technischer Kompetenz nicht zu verstehen in der Lage sind, und die sie deswegen für bedrohlich halten. Das Internet als ganzes muss daher kontrolliert und gesteuert werden, es muss zum Instrument herkömmlicher Machtpolitik werden; dies ist das Ansinnen unserer politischen Elite. Unter dem Denkmantel der Sicherung des Urheberrechts, der Sicherheit für Bürger und Staat -gegen Terror und Anarchie-, und der Absicherung unseres Wohlstandes, werden die Freiheitsrechte systematisch untergraben – nicht nur im Internet aber vor allem da. INDECT, ACTA, Vorratsdatenspeicherung, EUROGENDFOR, Gesetze zum Abhören der Telekommunikation, systematische Video-Überwachung in den Städten, Einsatz von Überachungsdrohnen; all dies sind Elemente, die einen orwellschen Überwachungsstaat etablieren. Jetzt, und vor unseren Augen.

Dagegen positionieren sich neue politische und gesellschaftliche Aktuere mit ihren Modellen, die vor allem über das Internet begründet werden. Ihren Ausdruck finden sie bei Attac, Occupy, den zahlreichen sozialen Reformbewegungen, bei Greenpeace, dem BUND uvm. Zusammen bilden sie eine neue vernetzte Weltgemeinde, der Community, die als Schwarmintelligenz neue Modelle konstruiert und gleichzeitig Initiativen und Proteste organisiert. Dies ist ein außergewöhnlicher Umstand, der zum ersten male in der menschlichen Zivilisationsgeschichte eingetreten ist.

5 Theorie und Praxis, Notwendigkeiten und Potentiale

Es gibt noch keine praktisch anwendbare Theorie über eine vernetzte Weltgesellschaft, die soziale Verhaltensmuster, gesellschaftliche und politische Institutionen und Prozesse beschreiben könnte. Wie sich neue Strukturen und Abläufe evolutionär entwickeln, und unter welchen Bedingungen sie es in welcher Form tun, wissen wir einfach noch nicht, oder noch nicht gut genug. Es existieren keine Erfahrungswerte. Allerdings haben wir als menschliche Spezis in Anbetracht der sich immer schneller ausprägenden negativen Auswirkungen unseres destruktiven Kultur- und Zivilisationsparadigmas kaum noch Zeit für ein rein wissenschaftlich philosophisches Theoretisieren, wir müssen jetzt aktiv handeln, jetzt neue Wirtschaftsstrukturen aufbauen und jetzt sozial und ökologisch nachhaltige Politik- und Wirtschaftssysteme begründen und zum Laufen bringen. Wir befinden uns am Scheideweg.

Der Kampf hat begonnen zwischen Systemreformern und Bewahrern. Und diesmal ist es keine Frage um eine regionale Machtpositionierung einer Ideologie, sondern die elementare Entscheidung für oder gegen unser aller Überleben auf diesen einen Planeten Erde. Dies mag sich tragisch und überspitzt anhören, ist aber nun mal unsere faktische Situation. Die läst sich nicht weg ideologisieren, wie es soviele Ultrakapitalisten zur Zeit versuchen: Es wird von Klimaverschwörern geredet, von unvernünftigen unpatriotischen Ökospinnern, die keine Ahnung von der knallharten Realität haben und in sozialmelancholischen Träumen dahin schwelgten. Man suggeriert, dass der Neokommunismus wieder auf den Weg zurück sei, man alleine durch den Gedanken an Reform oder Änderung bereits einer der ihren werde, quasi als orwellscher Gedanken Verbrecher.

In der Praxis erfahren wir immer wieder, wie die Staatsgewalt Systemkritiker und Reformer aggressiv verfolgt und mundtot machen lässt; und welch verdrehtes Weltbild dahinter steht. Wir sehen, wie die Polizei bei Occupy Protesten im Bankenviertel Frankfurts potentiell gefährliche Kapitalismuskritiker abfängt und vor die Stadt fährt, um sie dort auf einen Feld auszusetzen. Wir lesen als Begründung für Festnahmen: “Kapitalismuskritik” und sind entsetzt, dass dies keine Szene aus einer Politik und Sozialsatire ist. Wir bekommen mit, wie Konstantin Wecker verboten wird zu singen, weil dies aufrührerische Effekte auf eine potentiell gewaltbereite Masse von Chaoten und Auffrührern haben könnte.

In Spanien hören wir, dass jede Kritik und Versammlung zu Protesten als kriminell gilt; und dass die Polizei mit aller Härte gegen diese Terroristen vor zu gehen habe. Wir sehen, wie Demonstranten, die von spekulierenden Banken um ihr Hab und Gut gebracht worden sind, und die Gerechtigkeit verlangen, als Aufrührer von der Polizei weggeprügelt werden. In new York an der Wallstreet werden Occupy Aktivisten Camps gewaltsam aufgelöst und alle erkennungsdienstlich behandelt.

Viele landen im Gefängnis und verbleiben dort meherer Wochen oder Monate ohne Gerichtsverfahren. Die Begründung liefert der Patriot act, das “Heimatschutzgesetz”, das alle Menschen und Freiheitsrechte de facto für alle Verdächtige außer Kraft setzt. Da Kritiker per se verdächtig sind, werden diese damit automatisch zum Outlaw ohne Bürgerrechte. Die Demokratie ist in den USA damit genauso obsolet geworden wie in Deutschland, Spanien, Griechenland oder in Großbritannien. Die marktradikalen Kapitalismusanhängern in den Regierungen zerstören zugunsten des Profits für das destruktive Ausbeutersystem die Demokratien, und wandeln diese in autokratische Überwachungs- und Kontrollsysteme um, man könnte sie treffend als lobbyistische Kapital und Finanzoligarchien benennen.

6. Die Alternativlosigkeit einer Alternative

Zum ersten mal in der Menschheitsgeschichte gibt es keine multiplen Systemalternativen mehr. Das kapitalistische Zivilisationsparadigma hat global gewonnen und verbreitet sich über alle Kulturkreise und ideologische Spezifikationen. Scheitert nun das System, dann scheitert weltweit die Zivilisation – alternativlos. Der Wechsel des Fokus auf einen neuen alternativen Zivilisationskreis und dessen Ausbau zum neuen dominanten Paradigma ist damit nicht mehr möglich.

In der Vergangenheit haben sich immer wieder zeitliche Vorherrschaften bestimmter Zivilisationskreise herasugebildet. Starb die eine Kultur, verschob sich der Fokus auf das neue Zivilisationszentrum, das von nun an die kulturelle-zivilisatorische Entwicklung bestimmte und triggerte. War ein Paradigma, eine Ideologie gescheitert, übernahm eine Alternative. Es kam zu einer Art dialektischen Entwicklungsprozess. Kulturen entstanden, erstarkten und dominierten eine Zeit lang. In den Peripherien oder auch mal ganz weit weg, an anderer Stelle auf dem Globus, entwickleten sich alternative Staats und Gesellschaftsmodelle. Häufig gab es Interaktion und Konkurrenz zwischen den Systemen, die alle die bestmögliche Antworten auf die aktuell vor Ort herrschenden Umweltbedingunegn finden wollten. Die Kulturkreise befruchteten sich so gegenseitig geistig, technologisch und wissenschaftlich, trotz ihrer Gegensätzlichkeit. These – Antithese – Synthese. Aus zwei oder mehreren unterschiedlichen Paradigmen konnten sich so ein neues Paradigma entwickeln, dass dann innerhalb eines neuen dominierenden Zivilisationskreises die Gestaltungskontrolle übernahm.

In der heutigen Zeit dominiert nun also erstmals ein einziges Zivilisationsparadigma die gesamte Welt. Der diaklektische Prozess funkioniert nicht mehr auf die herkömmliche Art und Weise. Aber, auf einer neuen technologischen Ebene bildet sich der evolutionäre Fortgang nun neu heraus. Ein neues Paradigma wird über die globale Internet-Comunity konstruiert und dies auf die demokratischste Art und Weise, die man sich vortsellen kann. Die unglaubliche Effektivität dieses Prozesses und eine nie da gewesene Fülle an Expertise, die sich hier offenbart, macht den Herrschenden Angst, und bringt den Menschen Hoffnung.

7. Ausssicht

Wir können als Menschheit den gewaltigen bevorstehenden Herausforderungen gerecht werden, wir können den Umbau unserer Weltzivilisation zu einer ökologisch, sozial und wirtschaftlich nachhaltigen Demokratie tatsächlich schaffen. Wir müssen dies auch, wollen wir weiterhin bestehen. Stephen Hawkings sagte einmal  über den Zeithorizont der menschlichen Entwicklung: wenn wir die nächsten 200 Jahre überleben, haben wir es als menschliche Spezis geschafft.

Wir leben in spannenden Zeiten, in einer Zeit des Wandels und des Aufbruchs zu neuen Ufern.

Fürchten wir uns nicht davor, sondern nehmen dies als Möglichkeit zur Gestaltung einer schönen Welt mit Zukunft.

in diesem Sinne

René Branddstädter – humanicum


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