Zwillinge aus dem Labor

Zwillinge aus dem Labor

Die moderne Medizin macht es möglich: Paare bekommen Kinder, obwohl die Natur es nicht gut mit ihnen meint. Frau oder Mann ist unfruchtbar. Etwa zehn bis 15 Prozent der Paare in Deutschland sind betroffen. Damit es mit dem Baby dennoch klappt, gibt es die künstliche Befruchtung – Mediziner sprechen vom Embryonentransfer.

Dafür bietet die Reproduktionsmedizin verschiedene Methoden wie die IVF oder ICSI an, die jeweils auf die individuelle gesundheitliche Situation der potenziellen Eltern abgestimmt werden. Hinsichtlich der Ergebnisse sind beide Methoden identisch: Etwa ein Drittel aller Embryonentransfers führt zu einer Schwangerschaft. Ein Nebeneffekt: Es gibt mehr Zwillingsgeburten als durch natürliche Zeugung.

In Deutschland sind zirka 22 Prozent aller durch die künstliche Befruchtung herbeigeführten Schwangerschaften Zwillingsschwangerschaften. «Die natürliche Zwillingshäufigkeit liegt bei 1,18 Prozent», sagt Najib Nassar, Fortpflanzungsmediziner aus dem Zentrum für Reproduktionsmedizin novum in Essen. Ihm zufolge hängt die Wahrscheinlichkeit einer Zwillingsgeburt nach einer Reagenzglas-Befruchtung von individuellen Faktoren wie dem Alter der Frau und der Anzahl vorausgegangener Behandlungen ab. Zudem spielt eine Rolle, ob ein, zwei oder drei Embryonen übertragen wurden.

Zwillinge gibt es nicht auf Bestellung

Die Aussicht auf mehrere Kinder freut die Paare zunächst sehr. «Die Reaktion ist in 90 Prozent der Fälle die Gleiche: ‹Ja, sehr gerne. Zwei – da haben wir nichts dagegen›», berichtet der Mediziner. Aus Sicht der potenziellen Eltern sei das verständlich, denn viele Paare träumten nicht nur von einem Kind. «Und so bekommen sie gleich zwei Kinder in einem Abwasch.» Ohnehin ist eine künstliche Befruchtung eine große seelische, körperliche und finanzielle Belastung (siehe unten). Da scheint es logisch, dass die Paare eine Mehrlingsschwangerschaft billigend in Kauf nehmen.

Eine künstliche Befruchtung sei aber kein Wunschkonzert für kinderlose Paare. Nassar mahnt, dass die Möglichkeit auf Zwillinge nicht automatisch bedeutet, auf Bestellung die Kinder im Kinderwunschzentrum abzuholen. «Wir sind in erster Linie Ärzte, die Paaren helfen, die sich in schweren Lebenssituationen befinden», erklärt der Spezialist im Gespräch mit news.de. Eine Mehrlingsschwangerschaft sei nicht gewollt und schon gar nicht planbar. Daher hat die einfühlsame und auf die Situation der Paare abgestimmte medizinische und psychosoziale Beratung einen hohen Stellenwert.

Ob und wie viele Embryonen sich letztendlich in der Gebärmutter einnisten, können die Ärzte nicht voraussagen. Auch nicht, ob aus einem Embryo eineiige Zwillinge werden. «Selbst wenn das medizinisch möglich wäre, verstieße es gegen das ärztliche Ethos, bewusst Mehrlingsschwangerschaften herbeizuführen. Denn mit einer Zwillingsschwangerschaft verschlechtert man das Ziel der Behandlung», so Nassar. Ziel sei immer die Geburt eines gesunden Kindes und das Wohl der Mutter. «Wir wollen den Leuten nicht unbedingt die Hoffnung auf Zwillinge nehmen. Aber wir müssen deutlich darauf hinweisen, dass das mit größeren Risiken für die Mutter und das Kind einhergeht», sagt der Experte.

Mehrlinge aus medizinischer Sicht ungewollt

Reproduktionsmediziner stehen Mehrlingsschwangerschaften kritisch gegenüber. Nassar zufolge sind Schwangerschaftskomplikationen an der Tagesordnung. Die Risiken bei Zwillingen sind: vorzeitige Wehen, Schwäche des Gebärmutterhalses – damit einhergehend ein vorzeitiger Blasensprung und folglich eine Frühgeburt.

Die Hälfte der Zwillingskinder wird mindestens einen Monat zu früh entbunden. Die meisten Frühgeburten, die im Rahmen der künstlichen Befruchtung beschrieben werden, «sind auf die Zwillinge zurückzuführen und/oder auf die Konstitution der Frau sowie davon, was zu ihrer Sterilität geführt hat», erklärt der Experte. Ist die Frau beispielsweise übergewichtig, raucht und hat Bluthochdruck, dann erhöht das das Risiko einer Frühgeburt deutlich – auch das der gesundheitlichen Schädigung der Kinder.

Nassar gibt zu bedenken: «Generell ist es so, dass die Chancen auf eine Schwangerschaft mit zunehmendem Alter sinken und das Risiko einer Fehlgeburt steigt. Ist eine Frau von 41 Jahren mit Zwillingen schwanger, dann ist das Risiko, dass die Kinder nicht geboren werden, sehr groß.» Deshalb müsse der Arzt vorab genau überlegen, wie viele Embryonen er überträgt.

Für den behandelnden Arzt sicher keine einfache Entscheidung, da auch andere Faktoren eine Rolle spielen. So muss der Mediziner ebenfalls die Zahl der noch vorhandenen Eizellen berücksichtigen. Denn hat die Frau davon zu wenig, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie überhaupt schwanger wird. Durch eine höhere Anzahl von Embryonen lässt sich laut Nassar die Chance darauf erhöhen. Die Entscheidung, wie viele befruchtete Eizellen übertragen werden, ist demnach ein genaues Abwägen.

Anders bei jüngeren Frauen: Handelt es sich etwa um eine gesunde Frau um die 25, die nur verklebte Eileiter hat, «dann ist sowohl die Schwangerschaftschance als auch die einer Zwillingsschwangerschaft höher einzuschätzen als etwa bei der älteren Frau». In diesem Fall würde Nassar auch nur einen Embryo übertragen.

Große Risiken bei Drillingen

Noch drastischer sieht es bei Drillingen aus. Dem Experten zufolge überleben in einem Drittel der Drillingsschwangerschaften die Kinder nicht oder tragen bleibende Schäden davon – «und zwar alle drei». Zu den Schwangerschaftskomplikationen zählen unter anderem ein extremes Risiko einer Frühgeburt. Infolge ihrer Frühgeburtlichkeit müssen die Kinder häufig zur Behandlung in eine Kinderklinik verlegt werden. Bei langandauernder Notwendigkeit einer Beatmung können Gehirnblutungen zu bleibenden geistigen und körperlichen Schäden bis hin zur Blindheit führen – eine große Belastung für die frisch gebackenen Eltern.

«Zum Glück kenne ich auch viele positive Beispiele. Zwei Drittel der Drillingsschwangerschaften gehen auch gut», so Nassar. Dennoch müssen die Kinder sehr viel früher geholt werden. Die meisten haben ein Geburtsgewicht von nicht mehr als 1800 Gramm. «Das ist deutlich zu wenig. Die Säuglinge sind unreif und kommen natürlich auch alle gleichzeitig auf die Welt», berichtet der Mediziner. Dank der intensiven Beratung und individuellen Betreuung geht die Zahl der Drillingsschwangerschaften in Deutschland kontinuierlich zurück.

Quelle:
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Kinderwunsch – Zwillinge aus dem Labor

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Tags: ICSI, IVF, Kinder, künstliche Befruchtung, Reproduktionsmedizin

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