Zweiundachtzig Millionen

Erstellt am 24. Mai 2011 von Robertodelapuente @adsinistram
Wir sind 82 Millionen potenzielle Kriminelle!
Man muß uns filmen, observieren und durchleuchten. Wir sind suspekt; wir sind möglich gefährlich. Was schreiben wir uns per e-Mail? Was in Briefen? Wohin fließt unser Geld? Warum überweist Hinz monatlich Geld an eine Sex-Hotline? Was hat Kunz mit der Gewerkschaft zu schaffen? Wir müssen überwacht werden - auf öffentlichen Plätzen und auf intimen Computern. Man kann uns nicht aus den Augen lassen, denn wir ticken als Zeitbombe. Für uns gilt nicht die Unschuldsvermutung, denn wir sind grundsätzlich...

... 82 Millionen potenzielle Kriminelle!
Präventiv sind wir als Verbrecher wahrzunehmen. Bis wir unsere Unschuld bewiesen haben. Geraten wir in soziale Englage, so sind wir präventiv Sozialbetrüger. Bis wir die Behörde davon überzeugt haben, dass wir es ernst meinen mit unserer Bedürftigkeit. Man meint es nicht böse, man will uns nichts unterstellen - aber die Situation erfordert es leider, dass man uns präventiv und prophylatisch verdächtigt. Um der Gesellschaft ihre Freiheit zu garantieren, muß sie sich die Freiheit nehmen, den Bürger zu verdächtigen. Wobei gilt, dass wir dann keine Bürger mehr sind, wir sind dann nur noch...

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Und für die gibt es kein Bürgerstrafrecht mehr - für die gilt ein Feindstrafrecht. Feinde sind keine Bürger, sie haben keinen Anspruch auf Bürgerrechte, in denen es noch nach In dubio pro reo riecht. Als Feind ist man zunächst schuldig, bevor man seine Unschuld vielleicht doch noch beweisen kann. Beweislastumkehr auch bei Hartz IV - als Maxime eines neues Rechtsbewusstseins. Nicht abwarten, bis Verbrechen geschehen - präventiv in die Enge treiben, verurteilen, einbuchten! Der präventive Rechtsstaat ist ein Staat der Gesinnungsschnüffelei und des Vorurteils. Entstanden ist diese Abkehr vom aufgeklärten Rechtsstaat mit seinem positiven Menschenbild nicht deshalb, um Terroristen zu zähmen - das wurde nur als Feigenblatt erklärt; entstanden ist diese Entsagung von rechtsstaatlichen Selbstverständlichkeiten für uns, für...

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Ein a priori verurteilter Personenkreis benötigt keine Menschen- und Bürgerrechte. Benötigt keinen Anspruch darauf, erst dann als schuldig zu gelten, wenn man ihm eine Schuld nachgewiesen hat. Benötigt keine Gleichheitsprämissen. Benötigt keine weltanschaulichen Freiheiten. Da die gesellschaftliche Freiheit in Gefahr ist, so erklärt man es, benötigt man die Einschränkung einzelner Freiheiten. Wobei das alles dramatisiert ist, denn man sollte auch die gute Seite sehen: Huber ist verdächtig, weil er arbeitslos ist; Müller ist verdächtig, weil er Steuern hinterziehen könnte, vielleicht ungestraft mit dem Auto rast oder Mitglied bei einer linken Vereinigung ist; Schmitz ist es, weil er Kontakte zur örtlichen Moschee unterhält; Said ist verdächtig, weil er so heißt, so aussieht, so gewandet ist. Der Präventivstaat mit seiner Haltung, jeden zunächst zu verdächtigen, hat es geschafft, was lange versprochen, nie aber gänzlich umgesetzt wurde: er hat die Gleichheit gebracht - jeder ist gleich; auf einem niedrigen Level fürwahr, aber doch gleich. Wir sind alle gleich, alle...

... 82 Millionen potenzielle Kriminelle!
Mit uns kann man nicht unvoreingenommen umgehen - der Staat kann nicht vorurteilsfrei gegenüber seinen Bürgern auftreten. Das wäre fatal! Was, wenn man unvoreingenommen auf einen Bürger eingeht und der ist letztlich ein Krimineller? Alle vorverurteilen - das ist gerechter und sicherer! Man verdächtigt uns doch nur aus Gründen der Sicherheit. Der Staat verdächtigt uns nur deswegen generell, weil er es gut mit uns meint. Meinte er es schlecht, würde er uns vorurteilsfrei händeln - aber weil er es gerade gut meint, behandelt er uns wie mögliche Verbrecher. Denn das erspart uns allen böse Überraschungen und Enttäuschungen. Wenn ein Staat seinen Staatsbürgern zutraut, dass diese alle mit krimineller Energie ausgestattet sind, dann ist er nicht misstrauisch - dann kommt er lediglich seiner Fürsorgepflicht nach. Er glaubt sich vorausschauend, wenn er sagt, wir seien allesamt...

... 82 Millionen potenzielle Kriminelle!
Das ist nur katholische Moral, aus der wir uns nicht herauswinden können. Katholische Moral, die uns lehrt, dass wir alle Sünder sind. Sicher, man sagt uns, dass die Kameras durch die hindurchfilmen, die nichts zu verbergen haben - Kontodaten von unbescholtenen Bürgern würde der begutachtende Beamte sofort aus seinem Gedächtnis sortieren - geöffnete Briefe aus unschuldiger Feder würden die Brieföffner zusammenhanglos lesen, um nicht den Sinngehalt des Schreibens zu entschlüsseln und Persönlichkeitsrechte nicht unnötig zu verletzen. Nur ein Problem ergibt sich: auch wenn keine Terroristen unter denen ist, die säuberlich überwacht werden, Sünder sind immer darunter. Wir sind doch alle Sünder! Nicht Terroristen zwar, aber doch Diebe, Betrüger, Lügner oder moralisch Abartige. Da darf der Staat nicht einfach schweigen, keine Komplizenschaft annehmen von seinen...

... 82 Millionen potenziellen Kriminellen!
Und in einem solchen Lande, in dem Millionen kriminell veranlagt sind, wo jeder ein großer oder kleiner Sünder ist, da kann man rigoros durchgreifen. Da kann man Verdächtige auch mal längerfristig präventiv-inhaftieren oder entführte Flugzeuge vom Himmel knallen. Man trifft ja keinen Falschen, trifft im Zweifelsfall immer jemanden, der gesündigt hat und tötet keine Bürger, sondern befreit dieses Land von einigen hundert potenziellen Kriminellen...