Plakat zum Slutwalk Berlin 2012
Sonntag 15.09 Brandenburger Tor. Neben alltäglichen Touristenmaskottchen wie dem Berliner Bären oder dem obligatorischen Grenzsoldaten versammeln sich ab 14.00 aufgetakelte Gestalten, die die Blicke der Passanten auf sich ziehen. Männer in bunten Pullovern, Minirock und Stöckelschuhen treffen hier auf Frauen, die sich mit schwarzer Schminke eine Burka-Verschleierung auf den nackten Körper gemalt haben.
Sie tragen Transparente mit Aufschriften wie: “Nein heißt NEIN!”, “Stell dir vor, mein kurzer Rock hat NICHTS mit dir zu tun.” und “Hilfe! Ich habe nichts anzuziehen, dass mich vor sexueller Gewalt schützt.”
Es sind Teilnehmer des zweiten Berliner SlutWalk, einer Demonstration gegen Sexismus, sexualisierte Gewalt und deren Verharmlosung, einer Demonstration auf der es keine Kleidervorschrift gibt, sondern alle Teilnehmer aufgefordert sind, ihren Protest so zu gestalten, wie sie es möchten.
Seinen Ursprung hat diese Form des Protestes im kanadischen Toronto, wo am 3. April 2011 zum ersten Mal ein sogenannter SlutWalk stattfand. Anlass dafür war die Bemerkung eines kanadischen Polizeibeamten, der Frauen empfahl, sich “nicht wie Schlampen anzuziehen, um kein Opfer” sexueller Gewalt zu werden. Die Wut darüber brachte über 3000 Torontoer auf die Straße und führte zu Solidaritätsmärschen in anderen Städten, so auch in Berlin.
Konsens der SlutWalk Teilnehmer ist, dass das Verhalten von Tätern sexueller Gewalttaten nicht durch die angeblich provozierende Bekleidung oder das Verhalten der Opfer zu entschuldigen sei. Aussprüche wie: “Sie hat’s ja nicht anders gewollt” verstehen sie nicht nur als Verharmlosung sexueller Gewalt, sondern auch als Teil der Unterdrückungsmechanismen gegenüber fremden Verhaltensweisen. Mit ihren ungewöhnlichen Kostümen demonstrieren sie daher ebenso für ein Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich Körper, Geschlecht, sexueller Orientierung, Verhalten und Aussehen.
“Wir haben es satt in einem System zu leben, das sexualisierte Übergriffe, Gewalt und Belästigungen verharmlost, legitimiert und den Betroffenen die Schuld gibt. Wir stellen uns gegen andere Unterdrückungsmechanismen wie Rassismus, Homo- und Trans* und Queerphobie, weil diese ebenfalls Ursachen sexualisierter Gewalt darstellen”, fassen die Organisatoren ihr Kernanliegen auf der Homepage SlutWalk Berlin zusammen.
Abgesehen von diesen Inhaltlichen Übereinstimmungen sind die Teilnnehmer am SlutWalk so unterschiedlich wie ihre Kostüme: Schwule und Lesben, Arnachos, Punks, Frauenrechtler und Leute, die an dieser Form des Protestes einfach Freude haben.
Der Demonstrationszug zog vom Brandenburger Tor über den Spittelmarkt zum Strausberger Platz. An den drei Plätzen wurden von den Organisatoren des SlutWalks sowie Vertretern der Frauenrechtsorganisationen Netzwerk B und Terre de Femme Reden gehalten.
Eine Sache bleibt heute wie 2011 unbestreitbar: Das Konzept SlutWalks ist bestens geeignet, um Aufmerksamkeit zu erzielen. Wo der Demonstrationszug entlang kam, zog er die Blicke der Passanten auf sich und einen Pulk fotografierender Reporter hinter sich her. Ein Großteil der Zuschauer blieb jedoch auf Abstand und beließ es beim Gaffen aus der Ferne. Es war der kleinere Teil, der auf die Demonstranten zuging, Flyer nahm und sich anhörte, was sie zu sagen hatten. Die Reaktionen der Zuschauer variierte, die meisten begegneten der bunten Schar jedoch mit einem Lächeln.
A.Swidsinski
[Erstveröffentlichung: hpd]