In diesen Tagen wurden die Ergebnisse zweier Untersuchungen veröffentlicht. Die französische Luftermittlungsbehörde BEA analysierte den Absturz des Air France Fluges AF 447, bei dem am 01.06.09 alle 228 Menschen an Bord ihr Leben verloren. Sie kam zu dem Schluss, dass neben technischen Problemen vor allem schwer-wiegende Pilotenfehler ursächlich waren. Der Airbus A 330 startete in Rio de Janeiro mit Ziel Paris. In einer Schlechtwetterzone über dem Atlantik vereisten die Pitot-Sonden, die die Geschwindigkeit messen. Daraufhin fielen der Autopilot und der automatische Schub aus, weshalb die Co-Piloten die Steuerung übernahmen (der Kapitän befand sich in seiner Ruhepause). Mit dem Ausfall der Geschwindigkeits-messung standen ihnen jedoch keine zuverlässigen Daten mehr zur Verfügung, sie reagierten falsch, zogen das Flugzeug hoch, obwohl sie in dieser Situation das Gegenteil hätten tun müssen. Es kam zum Strömungsabriss, die Maschine zerschellte schließlich auf der Wasseroberfläche.
Zu einem durchaus vergleichbaren Ergebnis kam jene polnische Kommission, die den Absturz der Präsidentenmaschine aufklären sollte. Dabei starben im April 2010 alle 96 Menschen an Bord. Auch hier standen dem Piloten keine präzisen Informationen zur Verfügung, Auslöser war jedoch kein Gewitter, sondern Nebel. Zielort war das russische Smolensk, wo der polnische Präsident Lech Kaczynski an einer Gedenkfeier zum Massaker von Katyn teilnehmen sollte. Laut dem Expertenurteil habe es im Luftwaffengeschwader 36, das für die Regierungsflüge zuständig ist, zahlreiche Verfehlungen gegeben, so seien u. a. Ruhezeiten der Piloten nicht eingehalten und Trainingsflüge nicht absolviert worden,
Soweit die offiziellen Erklärungen.
Dann gibt es noch die inoffiziellen. Bei den Airbus-Maschinen vom Typ A 330 sind Probleme mit den Geschwindigkeitsmessern bereits seit Längerem bekannt - zumindest bei jenen, die Air France verwendet. Die Lufthansa und Air Berlin haben sich für ein anderes System entschieden.
Im Fall der polnischen Maschine spricht einiges dafür, dass es zu einem menschlichen Versagen der besonderen Art gekommen ist. Die russische Untersuchungsbehörde MAK berichtet von Cockpit-Besuchen des Protokollchefs Kazana und des Luftwaffenchefs Blasik, die beide den Piloten dazu drängten, trotz der schwierigen Bedingungen zu landen. Die polnische Kommission hingegen berichtet von falschen Angaben zu Flughöhe und Position, die von den russischen Fluglotsen bestätigt wurden. Die wiederum wurden ebenfalls unter Druck gesetzt, das Flugzeug unbedingt landen zu lassen, weil die russische Regierung nicht den Eindruck erwecken wollte, sie habe dem polnischen Präsidenten die Reise nach Katyn verboten.
Auffällig ist in beiden Fällen, dass man die Schuld auf die schwächsten Glieder der Befehlskette abgewälzt hat - die Piloten. Sie standen im Machtgefüge ganz unten, Druck wird bekanntlich immer von oben nach unten weitergegeben. Hier kommt noch ein besonderer Vorteil hinzu: die Piloten sind tot, können sich also nicht mehr wehren. Die perfekten Sündenböcke.
Was spricht gegen die Untersuchungsergebnisse? Geld und Politik. Airbus steht vor einem Rekordjahr, will die Auslieferung neuer Maschinen nicht gefährden. Air France hingegen ist trotz der Fusion mit KLM in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Zudem gab es seit 2000 vier schwere Unfälle, der Ruf der Fluggesellschaft hat gelitten.
In Polen will man offenbar das Ansehen der toten Politiker und Militärs nicht gefährden - und in Russland das Ansehen der lebenden Politiker und Militärs.
Es scheint so, als ob die Menschen einfach nicht ehrlich sein können. Wenn es um das Erreichen eines höheren Zieles geht, wird gelogen, mal mehr, mal weniger subtil. Es ist eine primitive Gesellschaft, in der wir leben.
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