Zwei Tage, eine Nacht

Erstellt am 7. November 2014 von Pressplay Magazin @pressplayAT

Würde der durchschnittliche Arbeiter in Zeiten der Wirtschaftskrise auf einen Bonus verzichten, wenn er dafür die Kündigung eines Kollegen verhindern könnte? In Zwei Tage, eine Nacht finden wir es heraus – denn so viel Zeit bleibt einer jungen Frau um ihren Job zu retten.

In Jean-Pierre und Luc Dardenne’s Drama dreht sich alles um die bevorstehende Kündigung von Sandra (Marion Cotillard), die eigentlich nach Überwindung einer Phase der Depression gerade wieder in ihr Arbeitsleben zurückkehren will. Sich von Sandra zu lösen wurde von ihren Kollegen in einer Abstimmung beschlossen, die gedrängt wurden sich zwischen einem Gehaltsbonus und Sandras weiteren Anstellung zu entscheiden. Sandra vermutet jedoch eine Beeinflussung ihrer Mitangestellten durch den Vorarbeiter und schafft es eine erneute Wahl am nächsten Montag zu bewirken. Ein Wochenende bleibt ihr um ihre Kollegen dazu zu bringen gegen ihren Bonus und für ihre weitere Beschäftigung bei der Firma zu stimmen.

Zu Zeiten von finanziell instabilen Lebenssituationen schlägt der französische Film in eine Kerbe die wohl überall auf der Welt auf Resonanz stoßen wird und spricht hierbei wichtige Themen an. Keiner der Personen die Sandra überreden muss hat es wesentlich besser als sie und der Gedanke auf den eigenen Bonus zu verzichten stößt so manchem sauer auf. Jedoch wird nicht unterstrichen wer hierbei selbstsüchtig und wer im Recht ist. Diese Ambivalenz unterstreicht auch Marion Cotillards Spiel, mit der es sich sehr gut mitleiden lässt. Sandra fühlt sich wie eine Bittstellerin und ist zunehmend ausgelaugter, je mehr Personen sie um ihre Stimme befragt. Der Zuschauer spürt die lauernde Depression, in die sie zurückfallen könnte ohne das die Regisseure Dardenne es mit viel Pathos inszenieren müssten. Die Frage bleibt offen, ob die prekäre Arbeitssituation zur Depression der Hauptperson führte oder ob die Krankheit vielleicht der Auslöser gewesen sein könnte.

Jeder einzelne Arbeitskollege mit dem gesprochen werden muss ist hier ein Mikrokosmos der Problematik rund um Recht und Schuld. Hat Sandra das Recht auf Arbeit, bittet sie mehr oder weniger um Almosen oder ist das System an sich Schuld an der Lage. Eine einfache Antwort gibt es hierbei nicht, schon allein weil jeder Kollege anders auf ihre Lage reagiert – inklusive extremen Beispielen positiver als auch negativer Art. Wessen Haltung der Zuschauer einnimmt, muss er für sich entscheiden. Begünstigt wird diese Annäherung an eine objektive Erzählung durch eine nüchterne Art der Kameraführung, des Schnittes und des Sounddesigns, die etwas an manche dokumentarischen Langfilme erinnern könnte. Die Nebendarsteller sind quer durch die Bank glaubwürdig, allen voran der verständnisvolle Ehemann Sandras (Fabrizio Rongione), können aber Cotillard nicht die Show stehlen.

Der dramatische Aufbau des Filmes allein wird jedoch nicht jeden vom Hocker werfen. Es wird von Person A zu Person B gefahren, es wird über die bevorstehende Wahl geredet, später gibt es die Wahl und ein kleines bisschen Resolution. Das kann unter umständen langweilen – je nach Interesse. Wenn einem die Charakterstudie rund um die persönliche Entwicklung von Sandra und ihren Kampf mit der Volkskrankheit Depression, die ihr das Selbstwertgefühl und ihre Motivationsfähigkeit ausgesaugt hat interessiert, wird Zwei Tage, eine Nacht spannender als jeden Thriller finden.

Nur Dagobert Duck würde wohl heutzutage völlig frei von finanziellen Sorgen sein. Für alle anderen bietet Zwei Tage, eine Nacht sicherlich Probleme, mit denen man sich identifizieren kann. Mehr braucht es oft nicht für einen lohnenswerten Kinoabend.

Regie und Drehbuch: Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne
Darsteller: Marion Cotillard, Fabrizio Rongione, Pili Groyne, Catherine Salée
Filmlänge: 95 Minuten, Kinostart: 31.10.2014, www.zweitage-einenacht.de