Zwei Seelen schlagen, ach, in meiner Brust: Die Republican Party

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
die eine will sich von der andern trennen:
Die eine hält in derber Hassenslust
sich an den Trump mit klammernden Organen;
die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
zum Steuertraum der reichen Liberalen. - Frei nach Goethes Faust
Die republikanische Partei ist, wie jede andere Partei auch, kein monolithischer Block. In ihr vereinigen sich verschiedene Strömungen, die teilweise gegeneinander stehen, teilweise auch in sich widersprüchlich sind. Vor 2012 konnten die Partei-Funktionäre darauf bauen, dass diese Gruppen vor allem eines einte: der unbedingte Willen, keinen Democrat die Wahl gewinnen zu lassen. Entsprechend trat die Basis in der Phase der primaries, in der ein aussichtsreicher Kandidat feststand, stets zurück ins Glied. Es ist ein Vorgang, der bei vielen konservativen Parteien zu beobachten ist - die CDU ist ja auch legendär loyal gegenüber ihren Kanzlern, wenn es um die Wahl geht. Führungsstreit und aufreibende ideologische Grabenkämpfe sind eigentlich eher eine traditionell linkere Angelegenheit. Doch seit den Wahlen 2008 und dem Aufstieg der Tea Party 2010 haben sich diese Rollen in den USA praktisch vertauscht. Das hat durchschlagende Konsequenzen für die Republicans.
Was für die CDU der deutsche Süden ist für die Republicans der amerikanische: betrachtet man Karten der letzten Wahlergebnisse, so sieht man die Ostküste, die Westküste und den Nordosten im Blau der Democrats, den Süden und den Mittleren Westen im Rot der Republicans eingefärbt. Staaten wie Georgia, Alabama und Texas sind seit Jahrzehnten eine sichere Bank der Republicans, während sie in New York, Massachusetts und Oregon nicht einmal ernsthafte Versuche zu unternehmen brauchen. Die Gründe hierfür sind kultureller und historischer Natur.
Als die Partei in den 1850er Jahren gegründet wurde, beerbte sie die zersplitterten Whigs. Die Parteiplattform bestand aus Schutzzöllen zum Aufbau der heimischen Wirtschaft, Infrastrukturmaßnahmen im Inneren mit dem gleichen Ziel und der Abschaffung der Sklaverei. Ihre Gegner waren die Democrats, die für die Sklaverei waren, den Staat so klein wie möglich und das Land agrikulturell geprägt halten wollten. Nach dem Ende der Reconstruction-Ära, die auf den Bürgerkrieg folgte, konzentrierten sich beide Parteien weitgehend auf die Wirtschaftsförderung und ließen die Gesellschaft ihre eigenen Konflikte lösen, sofern es nicht gerade einen Streik mit Soldaten zu brechen galt. Im 20. Jahrhundert allerdings begann ein schleichender Prozess, in dessen Verlauf die Democrats eine Parteiplattform der starken Staatseingriffe aufnahmen, während die Republicans eine laissez-faire-Haltung zur Wirtschaft zu eigen machten. Unter Roosevelt bildete sich die klassische heutige demokratische Partei heraus, die gleichwohl noch starke (und rassistische) Zentren im Süden hatte, während die Republicans eher eine nördliche Partei waren. Als die Democrats ihre Wandlung zur progressiven Partei in den 1960er Jahren endgültig machten und damit den rassistisch geprägten Süden verloren (und den Norden gewannen), stießen die Republicans in die entstehende Lücke und vollzogen einen scharfen Rechtsschwenk, der ihnen unter Richard Nixon großen Erfolg brachte und unter Reagan konsolidiert wurde.
Der amerikanische Süden ist generell ärmer und ländlicher als der Norden. Gleichzeitig spielen die örtlichen Gemeinschaften und die Religion eine wesentlich größere Rolle als im Norden, der in dieser Hinsicht Europa wesentlich ähnlicher ist. Die (weißen) Südstaatler wollen vor allem einen Schutz ihrer Werte, etwa ein Verbot der Homo-Ehe, und eine Abwehr von ökonomischen Gefahren. Da die Südstaaten generell strukturschwächer sind als der Norden sind diese Bedrohungen vor allem im Lohndumping zu suchen, was die Menschen instinktiv gegen Einwanderer und Schwarze einnimmt, mit denen sie im Niedriglohnsegment am stärksten konkurrieren. Gleichzeitig wollen sie im Alter abgesichert sein, weswegen sie Medicaid und Medicare unterstützen. Diese Maßnahmen werden häufig nicht mit dem Sozialstaat identifiziert. Der "welfare state" ist viel mehr eine Abkürzung für alles, was den Immigranten und Schwarzen dient - darunter auch Programme wie Food Stamps, auf die man bei aller relativen Armut nicht angewiesen sein will.
Diese inkohärente Gemengelage verschiedener Interessen, Wertemuster und Vorstellungen erschwert die Kommunikation und ermöglicht gleichzeitig ein elaboriertes System von Codewörtern (dog whistle). Die USA sind progressiv genug, um offen rassistische Äußerungen zu verdammen, weswegen entsprechende Forderungen und Ansagen auf einer Meta-Ebene ablaufen. Wie bereits erwähnt werden sozialstaatliche Maßnahmen meist nur auf die Minderheiten bezogen, während man seine eigenen Leistungen eher als erworbene Ansprüche sieht. Formulierungen wie Jeb Bushs "free stuff", den er niemandem geben will, zielen damit zwar offiziell auf alle Armen, werden aber einzig als gegen Schwarze gerichtet verstanden, weil diese ja nicht arbeiten wollen - anders als die weiße Unterschicht, die im Schweiße ihres Angesichts ein kleines Stück Amerika aufbaut.
Auch Andeutungen in andere Richtungen zielen auf dieses Missverhältnis, etwa wenn republikanische Politiker beständig die Bedeutung von local politics und states rights betonen. Seit den Tagen von Lincoln, aber besonders Lyndon B. Johnson, kommt die gesamte Bürgerrechtsgesetzgebung aus Washington, während die Parlamente der Einzelstaaten und die Kommunen sich gegen die rechtliche Gleichstellung stemmten. Es war der Bund, der in den 1950er Jahren mit Truppen den Zugang schwarzer Studenten an die Universitäten erzwang, während die örtliche Polizei sich an den Pogromen gegen sie beteiligte. Wenn ein Republican also fordert, Angelegenheiten Affirmative Action (Quotenregelungen) oder die Homo-Ehe den Bundesstaaten zu überlassen ist das nur eine andere, wenngleich akzeptierte, Art, sich dagegen auszusprechen.
Am entgegengesetzten Ende dieser Skala befinden sich die Business Republicans. Ihr Jahreseinkommen liegt im Schnitt mit knapp 70.000 Dollar mehr als doppelt so hoch wie das der armen, ländlichen Südstaatenbevölkerung (rund 33.000 Dollar). Ihre Hochburgen liegen vor allem in den Städten. Wall Street ist beispielsweise eines ihrer Machtzentren, aber auch andere Regionen mit starkem hochpreisigen Dienstleistungssektor sind ihnen Heimat. Es liegt in der Natur der Sache, dass sie gegenüber den oben beschriebenen Social Conservatives in einer deutlichen Minderheit sind - nur rund 2-3% der Republicans gehören zu dieser Gruppe, haben jedoch wegen ihrer Verbindungen zu den Großspendern der Partei einen deutlich unverhältnismäßigen Einfluss. Im Allgemeinen sieht diese Gruppe sich als den vernünftigen Teil der Partei, von dessen Votum am Ende auch der Präsidentschaftskandidat abhängt. Die meisten der republikanischen Funktionäre gehören zu dieser Gruppe, und bis zum Aufstieg der Tea Party auch der größte Teil der Kongressabgeordneten. Auch heute noch stellen sie aber rund die Hälfte bis zwei Drittel der republikanischen Abgeordneten im Kongress und in den Bundesstaaten.
Diese Darstellung ist natürlich noch sehr vereinfacht, und wir werden anhand der einzelnen Kandidaten sehen können, welche Untergruppierungen es sonst noch gibt und wie sie zueinander stehen. Grundsätzlich hat die Partei aber zwei Schwerkraftzentren: Auf der einen Seite die Social Conservatives, die wenig für den geordneten Prozess der demokratischen Konsensfindung übrig haben, und auf der anderen Seite die Business Republicans, die vor allem an Ergebnissen interessiert sind. Die Social Conservatives wollen den Sozialstaat (für Weiße) erhalten, ihre Kultur und ihre Werte schützen und das Land gegenüber Migranten abschotten, was die für diese Gruppe mit Abstand wichtigsten Ziele sind. Die Business Republicans dagegen wollen die Steuern für Wohlhabende senken, den Wohlfahrtsstaat abbauen und mehr Migranten ins Land lassen. Auf den ersten Blick scheint es hier wenig Überschneidungen zu geben.
Es ist genau diese Dynamik, die Linke dieseits wie jenseits des Atlantik verrückt macht. Allem Anschein nach stimmt die Mehrheit der Republicans (ebenso wie die Mehrheit der konservativen Wähler hierzulande) gegen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen. Höhere Mindestlöhne, höhere Steuern für Reiche und ein stärkeres soziales Netz würden die Social Conservatives massiv begünstigen. Warum wählen sie also am Ende jemanden, der das genaue Gegenteil verspricht? Der Grund hierfür ist eine Fehlannahme über das Wahlverhalten. Ökonomische Interessen spielen auch eine Rolle, sind aber gegenüber kulturellen Bindungen unterrepräsentiert. Denn die Business Republicans und die Social Conservatives haben etwas gemeinsam: sie teilen dieselbe Wertebasis.
Ihre Prioritäten liegen anders, und teilweise meinen sie völlig unterschiedliche Dinge, wenn sie etwa von small government und big government reden. Für die Business Republicans ist das small government ein Staat, der sie mit Regulierungen in Ruhe lässt, die Arbeitskosten niedrig hält und sie im Zweifel Gifte in die Atmoshäre pusten lässt. Für die Social Conservatives ist small government ein Staat, der ihnen nicht vorschreibt, wer heiraten darf und wer nicht, der ihnen ihre Waffen und ihre Jagdreviere lässt und der ihre Kleinunternehmen ohne Regulierung und mit niedrigen Steuern lässt. Für beide Seiten gibt es genügend Überschneidungen, um dieselben Worte zu benutzen, und die Vertreter beider Fraktionen sind häufig zufrieden mit der Konfusion und Undeutlichkeit, die so entsteht, denn sie nützt der Partei als Ganzem. Die Democrats können noch so viel Mindestlohnerhöhungen versprechen - wenn der Preis dafür die Homo-Ehe ist, das Verbot von Sturmgewehren und ein neuer Partikelfilter im Generator, dann kommt ihr Kandidat nicht in Betracht.
Diese Undeutlichkeit hatte rund drei Dekaden zum Vorteil der Business Republicans gewirkt. Seit dem Aufstieg der Tea Party jedoch haben die Social Conservatives deutlich an Macht gewonnen. Sie sind die deutliche Mehrheit in der Partei und können daher, sofern sie ordentlich organisiert und diszipliniert geführt werden, jede Wahl gegen die Business Conservatives gewinnen, ganz egal, wie tief deren Wahlkampfschatullen sind. Eric Cantor, der designierte Nachfolger von John Boehner, kann davon ein Liedchen singen. Wie jeder populistischen Bewegung mangelt es den Social Conservatives meist an dieser stringenten Führung und Organisation, so dass am Ende die Business Conservatives doch den Sieg davontragen können. Doch mittlerweile wird der Preis für diese Siege immer höher, und die Siegesgewissheit, die sie einmal hatten, ist ihnen abhanden gekommen.
Gleichzeitig sind die Social Conservatives von einem tiefen Misstrauen gegenüber ihrem Partei-Establishment zerfressen, dass sie frenetisch nach ideologisch reinen Alternativen suchen lässt, die nie Kompromisse eingehen. Ob Donald Trump, Ben Carson oder Carly Fiorina, der Durst der Basis nach Figuren von außen, die einen kompletten Neuanfang, eine Art konservative Revolution versprechen, ist hoch. Revolutionäre allerdings hatten es schon immer schwer in den USA, und es ist zu erwarten, dass alle diese Figuren über kurz oder lang den Kampf verlieren werden und sich der eigentliche Wettstreit um den am wenigsten schlimmen Establishment-Kandidaten drehen wird. Vor einem halben Jahr hatte Bush alle Hoffnung, dieser Kandidat zu sein, doch heute wetzt Marco Rubio vernehmlich das Messer. Der Partei stehen so oder so noch aufregende Zeiten bevor.

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