Unser ehemaliges Au-Pair lebt seit einiger Zeit in Konstanz und da sie noch immer einen festen Platz in unseren Herzen hat, fuhren wir gestern über die Grenze, um sie zu besuchen. Natürlich war uns bewusst, dass wir damit Gefahr liefen, im gleichen Topf zu landen wie die Horden von Schweizern, die in Deutschland die Geschäfte stürmen, als herrschte in unseren Ladenregalen gähnende Leere, doch damit muss man leben können. (Nebenbei bemerkt: Ist meinen Landsleuten eigentlich bewusst, dass sie mit ihren Ausfuhrscheinen die Deutschen ebenso nerven, wie die Deutschen uns, wenn sie uns mit einem gekünstelten “Grüzi” begrüssen?) Nun, ich weiss nicht, ob wir in diesem Topf gelandet sind, dafür weiss ich, dass man ganz unterschiedlich darauf reagieren kann, wenn Vendittis ein Geschäft mit ihrem Besuch beglücken.
Zuerst war da mal dieses Teegeschäft – ziemlich esoterisch, aber wunderschön und einladend. Obschon “Meiner” versuchte, unsere Horde draussen zu behalten, stürmten sie alle den Laden, als bekäme man dort für jeden Einkauf zehnfache Minimania-Säcklein geschenkt. Als die Verkäuferinnen sahen, wie das Prinzchen fröhlich um die Regale kurvte, reagierten sie blitzschnell: “Lass mich überlegen, was machen wir mit dir”, sagte die eine zum Prinzchen. “Möchtest du gerne ein Gläschen Tee probieren?” Das Prinzchen wollte natürlich, die anderen wollten auch und bald schlürften fünf kleine bis mittelgrosse Vendittis wertvollen Grüntee aus hübschen Gläschen. “Mama, den musst du kaufen”, sagten sie zu mir und verliessen dann ohne weitere Umstände den Laden, um mich in Ruhe stöbern zu lasen. Als ich bezahlte, meinte die Verkäuferin: “Auf dieses Prinzchen müssen Sie achtgeben. Der ist ein ganz besonderes Kind, ein Luftwesen, so frei und wild. Gehen Sie viel in die Natur mit ihm, das braucht er.
Diese Reaktion berührte mich zutiefst, denn auch wenn ich nicht glaube, dass das Prinzchen ein Luftwesen ist, so weiss ich es doch sehr zu schätzen, wenn jemand den kleinen, wilden Bengel in sein Herz schliesst, obschon er doch gar nicht in einen feinen Teeladen passt.
Eine Stunde später betraten wir eine Pizzeria, um unsere Kinder zu füttern, bevor sie zu quengeln anfingen. Ich hätte zwar lieber Indisch oder Griechisch gegessen, aber um die Gefahr zu bannen, dass unsere Söhne vor lauter Hunger den Kellner angreifen, sagte ich zum erstbesten Lokal ja. Es sah ja auch ganz nett aus. Als wir über die Schwelle gingen, stöhnte eine Frau, die auf ihr Essen wartete, laut vernehmlich auf, was mich ziemlich ärgerte, um des lieben Friedens Willen jedoch ignorierte. Wir setzten uns und “Meiner” bestellte Mineralwasser für alle. (Erstes Stirnerunzeln des Kellners). Das Wasser kam und wir gaben unsere Bestellung auf. Karlsson verzichtete ganz vernünftig auf eine Vorspeise, um sich dafür Ravioli mit Crevetten und Trüffelöl zu gönnen. Er bekam “Ravioli Primavera” und als wir freundlich darauf hinwiesen, das hätten wir aber nicht bestellt, antwortete der Kellner gehässig, er sei sich zu 100% sicher, dass ich Primavera gesagt habe. Habe ich nicht und das sagte ich ihm auch, aber er wusste es besser und der enttäuschte Karlsson musste sich mit Primavera zufrieden geben – und danach Luises halbe Pizza verschlingen, die sie nicht essen mochte. Von da an kreiste der Kellner wie ein Aasgeier um unseren Tisch, um uns die Teller zu entreissen, kaum hatten wir den letzten Bissen in den Mund gestopft. Unser ehemaliges Au-Pair hatte noch ziemlich viele letzte Bissen vor sich, als er ihr den Teller wegnehmen wollte, was sie aber nicht zuliess. Er gab ihr deutlich zu spüren, dass er den Teller lieber jetzt schon genommen hätte, denn diese lästigen Vendittis mit ihrer Brut – die sich übrigens ganz anständig aufführte – sollten jetzt endlich aus seiner Pizzeria verschwinden. Das taten wir dann auch bald einmal, aber erst, nachdem “Meiner” ganz untypisch darauf beharrt hatte, 96.40 zu bezahlen und nicht 100, wie der Kellner gehofft – und offensichtlich auch erwartet – hatte.
Die Versuchung ist natürlich gross, nur den kinderhassenden Kellner in Erinnerung zu behalten, aber ich habe beschlossen, auch die kinderliebende Verkäuferin aus dem Teeladen nicht zu vergessen und darum soll das Prinzchen heute den ganzen Tag draussen spielen. An der frischen Luft, wie es sich für ein Luftwesen gehört…