“Interview-Nachlese” zum Artikel ““In Hessen steht die direkte Demokratie seit 20 Jahren still”.
Der Vorstand von “Mehr Demokratie e.V. ” spricht von einer Zwei-Klassen-Demokratie.
13,9 Prozent aller Wählerstimmen (oder weniger) genügen, um Bürgermeister einer Großstadt zu werden, 25% brauchen die Bürger als Mindestquorum, wenn sie wichtige Angelegenheiten in einem Bürgerentscheid regeln dürfen.
“Das Quorum muss weg!” Der Weg zur Ausübung direkter Demokratie ist für die Bürger mit einigen Hürden gespickt – Foto: © Esther Stosch / pixelio.de
Es gibt das Instrument der “Direkten Demokratie” für Bürger unseres Landes. Kommunal und in den Ländern. Doch hierfür müssen erhebliche Hürden überwunden werden.
Auch wenn beinahe alles, was in Deutschland politisch entschieden wird, dies von “gewählten Vertretern” erledigt wird und zwar mittelbar und dann bestenfalls gefühlt “im Sinne ihrer Wähler”, gibt es doch die Möglichkeit, dass Bürger selbst Sachentscheidungen treffen können. Kommunal, also in den Städten, Gemeinden, sowie Lankreisen sind “Bürgerbegehren” mit daraus resultierenden “Bürgerentscheiden” vorgesehen; auf Landesebene “Volksentscheide”, die jedoch kaum zum Einsatz kommen. Auf Bundesebene gibt es überhaupt keine direkte Demokratie.
Wir hatten zu diesem Thema vor wenigen Tagen den Vorstand von “Mehr Demokratie e.V.” interviewt. <hier zu lesen> Nun platzt dem Vorstand angesichts der jetzt geplanten Retusche-Reformen in Hessen beinahe der Kragen. Verständlich, wenn man die absurden Gegenargumentationen des Städte- und Gemeindetages hört.
25% aller Bürger müssten zum Bürgerentscheid wählen gehen, sonst ist die Sache hinfällig. Bürgermeister einer hessischen Großstadt kann man aber schon mit 17,5’% der Stimmen aller Wähler werden.
Damit kommunale Bürgerentscheide Gültigkeit erlangen, muss ein “Quorum” erfüllt werden. Gehen weniger als 25% der Wahlberechtigten (hier: Beispiel Land Hessen) beim Bürgerentscheid wählen, ist das Ganze nichtig und die komplette Arbeit der Bürgerschaft “ein Schuss in den Ofen”. Im Vorfeld bereits muss einiges an Aufwand betrieben werden: Es müssen genügend Antrags-Unterschriften der Wahlberechtigten gesammelt werden, die sozusagen alle einzeln einen Bürgerentscheid zum vorgetragenen (und korrekt formulierten) Thema fristgerecht beantragen.
*Das Bürgerbegehren muss in Gemeinden mit mehr als 100 Einwohnern von mindestens 3 Prozent, in Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern von mindestens 5 Prozent und in den sonstigen (also den meisten) Gemeinden von mindestens 10 Prozent der bei der letzten Gemeindewahl amtlich ermittelten Zahl der wahlberechtigten Einwohner unterzeichnet sein…”
Die Formulierung und das Thema muss nach den Kriterien für Bürgerentscheide haargenau erfolgen, sonst droht die Sache bereits bei der Zulassung zum Entscheid zu kippen. (Die Stadt- bzw. Gemeinderäte holen zur Gültigkeit in der Regel Rechtsgutachten ein. Wenn es zu größeren oder kleineren formalen Fehlern kommt, ist die Sache schon im Keim erstickt. (1)
Beim Blick auf die Wahlergebnisse der vergangenen Oberbürgermeisterwahlen in Hanau, Frankfurt und Offenbach stellen wir fest, dass bezogen auf alle Wahlberechtigten Claus Kaminsky vor wenigen Tagen in Hanau nur von 17,51 Prozent aller Wahlberechtigen gewählt wurde“ sagt Landesvorstand Kintscher von Mehr Demokratie e.V.
Wenn man die nachfolgenden Prozentzahlen betrachtet, kann man nur feststellen, dass in Sachen Demokratie mit zweierlei Maß gemessen wird. “Der Frankfurter OB, Peter Feldmann, sei 2012 immerhin auf 19,87 Prozent gekommen, während hinter Horst Schneider im Jahr 2011 nur 13,87 Prozent der wahlberechtigten Offenbacher standen.”
Es sei anachronistisch und demokratisch nicht legitim, dass bei Bürgermeister- und Landratswahlen andere Maßstäbe als bei Bürgerentscheiden angelegt werden. Die jetzt in Hessen geplante Reform der Bürgerentscheide sei nur Makulatur und verbessere die Situation in Sachen Demokratie nur zu einem Mindestmaß.
„Weg mit dem Quorum bei Bürgerentscheiden“, fordert Holger Kintscher und fährt fort, „Mehrheit muss Mehrheit bedeuten” –
und weiter: “Wenn eine Senkung oder Streichung des Quorums die kommunale Demokratie schwäche oder aber zu Misstrauen gegenüber den Stadtverordneten einlade, wie der Städtetag gebetsmühlenartig als Ablehnungsgrund ins Feld führt, dann müssten die schlechten Wahlergebnisse der Oberbürgermeister von Hanau, Frankfurt und Offenbach das Ende der kommunalen Demokratie bedeuten“, fasst Kintscher von Mehr Demokratie e.V. abschließend zusammen.
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Quellen – weiterführende Links
Direkte Links:
“Mehr Demokratie e.V.” Bund
“Mehr Demokratie e.V.” Hessen
(1) Nassauische Neue Presse/NNP “Bürgerentscheid Frickhofen abgelehnt“