Eine dauert nur 10 Sekunden.
Achtsamkeit ist ja mittlerweile in aller Munde. Und sie funktioniert. Das ist sicherlich ein Grund, warum Chade-Meng Tan beim Unternehmen Google etwas Revolutionäres einführte. Er war federführend an der Entwicklung von „Search Inside Yourself“ beteiligt. Einem Kursangebot zur Schulung von Achtsamkeit und emotionaler Intelligenz für alle Google-Angestellten. Die beiden folgenden Achtsamkeitsübungen hat er darin verwendet.
Mit der ersten Achtsamkeitsübung können Sie Vergangenes abschließen.
Jeder von uns schleppt ja unliebsames Gepäck mit sich. Blöde Situationen. Verletzungen. Böse Erinnerungen. Dinge, für die wir uns schämen. All diese Dinge belasten uns. Das heißt, sie fallen uns immer wieder ein. Das ist der Zeigarnik-Effekt. Wenn wir etwas getan haben, das gegen unsere innersten Werte steht, bleibt das besonders zäh in unserer Erinnerung haften. Im Gegensatz zu den Abertausend Dingen, die wir getan haben und die im Einklang mit unseren Werten stehen. An die erinnern wir uns selten oder haben sie komplett vergessen.
Deshalb hier eine Übung, wie Sie Ihren Frieden machen können mit Dingen oder Erlebnissen, die richtig Scheiße waren und an die Sie trotzdem – oder eben deswegen – immer wieder daran denken müssen.
Die Übung heißt: „Einfach vorbei“.
Damit trainieren Sie Ihre Fähigkeit, Dinge loszulassen. Mit „Dinge“ meine ich vor allem Schmerz, egal ob er körperlich, geistig oder emotional zeigt. Ihr Geist lernt dadurch wahrzunehmen, dass etwas, das Sie zuvor erlebt oder erfahren haben, nicht mehr existiert. Außer in Ihrer Erinnerung natürlich. Aber das ist ja das Fatale, dass die Sache oder die Situation längt vorbei ist, Sie sie aber geistig noch festhalten – und darunter leiden.
Die meisten Menschen sind sich des Augenblicks bewusst, in dem ein sinnliches Ereignis beginnt, nehmen jedoch selten den Moment wahr, wenn das Ereignis verschwindet.
Dies ist besonders wichtig, wenn Sie mit körperlichen Schmerzen zu kämpfen haben. Um damit besser umzugehen, wird es Ihnen nichts nützen, sich Ihrem Körper zuzuwenden. Dort gibt es nichts als Schmerz und Angst. Auch Ihr Geist wird nicht Ihnen helfen. Es gibt nichts als Verwirrung und Ungewissheit dort. In Richtung Sehkraft und Ton Wird nicht helfen. Es gibt nichts als Aufruhr und Chaos gibt.
So lässt sich jede noch so belastende Situation ein klein wenig verbessern. Die Übung „Einfach vorbei“ lässt sich auf alle möglichen Dinge, die Sie plagen anwenden:
- Schmerzen aller Art, zum Beispiel Kopfschmerzen.
Auch wenn der Schmerz selbst vielleicht nicht komplette verschwindet, können Sie seine Stärke auf einer Skala von 1 bis 10 einordnen. Und dann einfach bemerken, dass der Schmerz eben noch bei 8 war – und jetzt bei 7 ist. Und 8 ist einfach vorbei. - Grüblerische Gedanken
Das heißt, Sie haben viele innerlich gesprochene Sätze – und damit viele Satzenden. Punkt, einfach vorbei!
Wie geht „Einfach vorbei“?
Aber statt sich auf jeden neuen Input zu konzentrieren, können Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das richten, was aufgehört hat.
Denn jeder Sinnesreiz wird früher oder später vergehen.
- Statt sich wie üblich auf das Auftauchen eines Reizes zu konzentrieren, achten Sie vielmehr auf sein Verschwinden.
- Am Ende eines Atemzugs können Sie zum Beispiel wahrnehmen, dass der Atemzug vergangen ist: Einfach vorbei.
- Wenn Sie ein kurzes Geräusch hören, können Sie mitbekommen, wann das Geräusch aufgehört hat: Einfach vorbei.
- Am Ende eines Gedankens bemerken sie, wann er vergangen ist (und ein neuer entsteht): Einfach vorbei.
- Am Ende einer Gefühlsregung nehmen Sie wahr, dass sie aufgehört hat: Einfach vorbei.
Wenn Sie diese Meditation öfters machen, auch bei kurzen Gelegenheiten am Tag, bekommen Sie mit der Zeit eine Erfahrung davon, dass die Gegenwart immer jetzt passiert. Und dass zumindest ein Teil davon, der eben noch existierte, nicht mehr da ist. Das ganze Leben also ein unaufhörlicher Prozess des Werdens und Vergehens ist:
Und so lang du das nicht hast,
dieses Stirb und Werde,
bist du nur ein trüber Gast
auf der dunklen Erde.
Johann Wolfgang von Goethe
West-östlicher Divan
Hier eine detaillierte Anleitung (in Englisch).
Und hier ein Video, wo Shinzen Young, ein Meditationslehrer ab der 7. Minute darüber spricht:
Hier eine Achtsamkeitsübung, die Freude erweckt.
Ich kenne wenige Übungen, die so spontan positive Gefühle in mir wecken, wie die Übung „Liebevolle Güte“ (Metta-Meditation), die ich vor vielen Jahren in einem buddhistischen Zentrum lernte. Sie ist vor allem geeignet, wenn Sie sich dabei ertappen, dass Sie innerlich Groll hegen. Also auf jemanden ärgerlich sind, dies aber demjenigen nicht mitteilen wollen oder können und sich der Anlass Ihres Ärgers auch nicht auflösen lässt.
Die Übung ist ganz einfach:
Suchen Sie sich innerlich einen oder zwei Menschen aus und wünschen Sie ihnen in Gedanken Glück.
Das ist schon alles.
Also nichts tun oder sagen, nur denken. Das dauert höchstens zehn Sekunden.
Was Sie bemerken werden, ist vermutlich Folgendes: Sie werden lächeln und sind vermutlich etwas glücklicher als zehn Sekunden zuvor. Das ist die Freude, die aus der liebevollen Güte erwächst.
Die Übung eignet sich vor allem mit Menschen, mit denen Sie es gerade nicht leicht haben. Zum Beispiel Ihrem vierzehnjährigen Pubertier oder Ihrem Chef. Menschen also, mit denen es nicht leicht ist, Konflikte zu besprechen oder gar zu lösen.
Denken Sie statt dessen: „Ich wünsche, dass Person A glücklich ist, und ich wünsche, dass Person B glücklich ist.“
Die Übung können Sie natürlich mehrmals am Tag machen, überall. Sie müssen die Menschen, denen Sie Glück wünschen auch nicht kennen. Es können Passanten sein, der Busfahrer, die Klofrau.
Sie werden bemerken, was diese einfache Übung in Ihrem Leben verändert. Diese Praxis der liebevollen Güte heißt auch „Metta-Meditation“.
Warum die Metta-Meditation wirkt.
Indem wir anderen Menschen Glück wünschen machen wir uns auch selbst glücklich. Und indem wir uns selbst glücklich machen, wirkt das wiederum positiv auf unsere Umgebung und auf unsere Mitmenschen. Wir setzen so also einen heilsamen und wohltuenden Kreislauf in Gang.
Sie ist ganz einfach: Man sendet sich selbst und anderen freundliche, wohlwollende Worte – diese spricht man entweder laut oder nur in Gedanken. Typischerweise verwendet man dazu die Formulierung „Möge ich… Mögest du…“ statt „Ich will …“ weil das mehr einen Wunsch ausdrückt – und keine Forderung oder ein Ziel.
Das kann also z.B. so aussehen, wenn man die Metta-Meditation für sich selbst praktiziert:
- Möge ich gesund sein
- Möge ich in Frieden leben
- Möge ich mich sicher und geborgen fühlen
- Möge ich glücklich sein
Und für andere:
- Mögest du gesund sein
- Mögest du in Frieden leben
- Mögest du dich sicher und geborgen fühlen
- Mögest du glücklich sein
Hilfreich ist es, wenn Sie sich auf die Atmung konzentrieren, um körperlich und geistig zur Ruhe zu kommen.
Häufig wird die Metta-Meditation damit abgeschlossen, dass man allen Lebewesen auf dieser Welt Glück, Frieden und Gesundheit wünscht: „Mögen alle Lebewesen auf dieser Welt…“
Es gibt dabei drei „Schwierigkeitsstufen“.
Diese Meditation der „Liebenden Güte“ kennt drei Schwierigkeitsstufen, wenn es um liebevolle Wünsche für andere Menschen oder Lebewesen (Ihren Hund, die blöde Katze des Nachbarn, die Hühner in der Tierfabrik) geht.
- Sie senden freundliche Wünsche an jemanden, den Sie wirklich mögen.
Das ist ja ziemlich leicht oder machen Sie sowieso schon manchmal. - Sie senden freundliche Wünsche an jemanden, dem Sie bis jetzt neutral bzw. gleichgültig gegenüber stehen.
Also jemanden, den Sie vielleicht nicht besonders gut kennen oder dem Sie noch nie begegnet sind.
Also dem Unbekannten, der seit Jahren Ihre Zeitung morgens bringt. Oder die Reinigungskraft, die nachts Ihr Büro sauber macht. Das ist schon etwas anspruchsvoller, weil Sie vielleicht denken „Was habe ich mit dem zu tun?“:
Gute Frage! Und genau darum geht es ja, dass Sie sich durch diese Meditation mit anderen verbinden, auch wenn Sie im realen Leben kaum Berührungspunkte mit ihnen haben. - Sie senden freundliche Wünsche an jemanden, mit dem Sie ein Problem haben, den Sie nicht besonders mögen, den Sie beneiden, jemanden, den Sie heftig verurteilen oder die Pest an den Hals wünschen.
Das ist die Königsdiziplin. Der IronMan der liebenden Güte. Der Lackmus-Test Ihrer emotionalen Intelligenz.Entscheidend dabei ist: es geht um Sie – nicht um den anderen Menschen. Denn die negativen Gefühle, die Sie für jemanden hegen, den Groll, die Ablehnung usw. machen ja vor allem etwas mit Ihnen. Meistens negative Reaktionen.
Und mit der Praxis der liebenden Güte drehen Sie das um.
Das fällt natürlich vor allem schwer, wenn wir an Menschen denken, die wir als total anders wahrnehmen und erleben. Was uns zu der interessanten Frage bringt:
Sind andere Menschen wirklich so verschieden?
Die Metta-Meditation lässt einen erleben, dass es fast immer mehr gibt, was uns mit anderen Menschen verbindet als das, was uns trennt. Oder wie es in der „Genau wie ich-Meditation“ heißt:
- Diese Person hat einen Körper und einen Geist, genau wie ich.
- Diese Person hat Gefühle, Emotionen und Gedanken, genau wie ich.
- Diese Person ist irgendwann traurig, enttäuscht, wütend, verletzt oder verwirrt, genau wie ich.
- Diese Person hat in ihrem Leben körperliches und emotionales Leid erfahren, genau wie ich.
- Diese Person möchte frei von Schmerz und Leiden sein, genau wie ich.
- Diese Person möchte sicher, gesund und geliebt sein, genau wie ich.
- Diese Person will glücklich sein, genau wie ich.
Mit dieser Einstellung fällt es ziemlich schwer, nicht das Gemeinsame zu sehen, dass Sie mit allen Menschen verbindet. Mit dem obdachlosen Bettler vor dem Supermarkt, mit all den Flüchtlingen, die zu uns kommen, sogar mit Donald Trump oder dem Selbstmord-Attentäter aus der Zeitung – oder wer immer sonst Ihr „Lieblingsfeind“ ist, den Sie hassen oder mit Verachtung strafen.
Was wichtig ist.
- Bei diesen Meditationen reicht die gute Absicht.
Es geht nicht darum, ein bestimmtes Gefühl oder ein Ergebnis zu erzeugen. Sie müssen sich auch nichts vorstellen, denn Herzensgüte und Mitgefühl sind bereits in Ihnen vorhanden. - Sie können die Metta-Meditation auch für Ihren eigenen Körper nutzen.
Zur Gesunderhaltung oder wenn Sie krank sind. Gehen Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit achtsam durch Ihren Körper und schicken Sie jedem Körperteil oder einzelnen Organen freundliche, liebevolle Wünsche. - Die Metta-Meditation kann man ganz zwanglos und „informell“ an jedem Ort und zu jeder Zeit durchführen.
„Metta to Go“ sozusagen. Wo immer Sie heute sich aufhalten werden, probieren Sie es aus. Im Büro, im Sraßenverkehr, beim Nachhausekommen.
Achtsamkeit verändert alles.
Wenn Sie mehr Anregungen dafür möchten, wie Sie Achtsamkeit in Ihr Leben integrieren können, sind meine beiden eMail-Kurse vermutlich hilfreich: „Achtsamkeit im Alltag“ und „Achtsamkeit im Beruf“.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Achtsamkeit?
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Bilder: © pixabay.com
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