Zwanzig Jahre


Zwanzig JahreDieser Blog beschäftigt sich mit Fragen der Informationsgesellschaft. Und vielen von uns geht es doch so, dass uns die Veränderungen der letzten Jahre auf dem Weg zur Informationsgesellschaft kaum mehr bewusst sind und wir vieles für selbstverständlich betrachten. Ein Blick zurück hilft da manchmal zu erkennen, was wir erreicht haben. Zum Beispiel indem man sich an bestimmte Daten und Ereignisse erinnert. Für mich ist so ein Datum der 1. September 1991 - heute vor zwanzig Jahren.
An diesem Tag begann ich meine Tätigkeit als Assistent am Institut für Wirtschaftsinformatik an der HSG: Hätte mir damals jemand erzählt, was in den kommenden (20) Jahren passiert, ich hätte es kaum geglaubt.
September 1991? Diejenigen, die alt genug sind, erinnern sich vielleicht:
Das Web steckte noch in den Kinderschuhen und war ausserhalb der Hochschulen noch weitgehend unbekannt, Gopher war das höchste der Gefühle. Das erste mir bekannte Webverzeichnis war eine hardcodierte Seite bei der IBM Schweiz, das reichte für die wenigen Dutzend Webserver in der Schweiz allemal.
Als eMail Standard galt X.400 als das Nonplusultra und wurde notabene auch an der HSG verwendet. Eine 1 MB Anbindung ans Internet via Switch war damals ausreichend für die gesamte HSG, eine Vervierfachung auf 4 MB wurde lange diskutiert. Lange hielt man an der HSG einen Webserver für überflüssig.
Videotex war der einzige der breiten Masse zur Verfügung stehender elektronische Informationsdienst, der aber rein national orientiert war. Der Dienst arbeitete mit einer Geschwindigkeit von 75 bit/s up- und 1200 bit/s downstream und wurde erst 2000 eingestellt. Das Modem, das man für den Onlinezugang benötigte, war sündhaft teuer, und selbst der Besitzt geschweige denn der Betrieb eines aus dem Ausland eingeführten Modems war strafbar (Glück gehabt …).
Telefonapparate für den Festnetzanschluss gab es auschliesslich bei der PTT zu mieten oder zu kaufen. Das Mobiletelefon funktionierte noch analog und war für den Privatgebrauch eh nicht erschwinglich. Von WLAN wagten wir nicht einmal zu träumen, Telefondrähte zierten so mache Wohnung, um das Modem auf dem Schreibtisch mit der PTT Dose zu verbinden. Und jede Minute, die man Online war, kostete, kostete, und kostete.
Und zur Literaturrecherche gingen wir brav in die Bibliothek, suchten auf Karteikarten und auf Microfiche nach Büchern und Zeitschriften.
Dieses Video von Andreas Göldi zeigt wunderbar auf, wie es damals in den Anfangsjahren des Web so zuging.
In diesem September vor 20 Jahren begann ich als Teil eines tollen Teams mit der Vorbereitung eines Projektes, dass im Sommer 1992 dann startete: Das Kompetenzzentrum Telecounter CCTC. Wir hatten keine visionärere Idee als den elektronischen Zahlungsverkehr in der Schweiz - der damals via Videotex realisiert war - zu revolutionieren.
Mit im Team waren Richard Dratva, Christoph Kuhn, Paul Mausberg, Hans Meli, Louis-Paul Wicki. Und natürlich unsere studentischen Mitarbeiter wie Andreas Göldi, Philipp Lämmlin, Marcel Marchon, Urs Wagner und einige andere mehr. Und nicht zu vergessen Beat Schmid, der uns alle mit immer neuen Ideen antrieb. 
Die Zielsetzung wurde damals so formuliert:
„Das CC TeleCounter hat sich deswegen zum Ziel gesetzt, in Zusammenarbeit mit den beteiligten Partnerunternehmen eine zukunftsweisende Lösung zur Neugestaltung des Telebanking für den privaten und kleinen kommerziellen Kunden in der Schweiz zu entwickeln. Im Mittelpunkt steht dabei die Schaffung einer breit akzeptierten, kostengünstigen, leistungsfähigen, zukunftsoffenen und standardisierten elektronischen Kommunikationsplattform von Banken und PTT“ [Quelle]
Die uns unterstützenden Partnerunternehmen waren die Schweizerische Bankgesellschaft SBG, der Schweizerische Bankverein SBV, die Schweizerische Kreditanstalt SKA, Neue Aargauer Bank, Generaldirektion PTT Zahlungsverkehr und Telekurs AG.
Das Ergebnis war eine Client-Lösung, die von Andreas Göldi programmiert wurde und mit deren Hilfe wir damals UN/EDIFACT basierte Zahlungstransaktionen in einem Pilot über das Internet (!) zwischen Konten bei verschiedenen Banken durchgeführt haben. Für weitere Details sei auf die Online verfügbaren Publikationen verwiesen (pdf's): EM - Elektronische Märkte / Nr. 6 / Dezember 92 / Seite 11 und EM - Electronic Markets / No. 9-10 / October 93 / Page 31.
Basierend auf unseren Arbeiten begannen wir 1994 mit viel Enthusiasmus und Idealismus, mit Unterstützung der Politik, insbesondere des Kantons St. Gallen und der IBK, aber fast ohne finanzielle Ressourcen, mit dem Aufbau der regionalen, aber grenzüberschreitenden elektronischen Marktplattform Electronic Mall Bodensee, emb.net (Literatur auf citeUlike). Diese wurde im Juni 1995 durch den Landeshauptmann von Vorarlberg auf Schloss Hohenems eröffnet. Kurz zuvor haben wir unsere Ideen und Konzepte incl. Prototyp auf der CeBit als Gewinner des Wettbewerbs „Technologiestandort Schweiz“ der OSEC  präsentieren können. Unsere Arbeiten haben wir damals in einem Buch veröffentlicht: Banking und Shopping in globalen Netzen.
Änhlich wie man heute Unternehmen von Social Media überzeugen muss, haben wir damals Unternehmen die Anfänge des eCommerce versucht zu erklären, nicht immer ganz einfach. Auch wenn diese Plattform letztendlich aus vielerlei Gründen nicht überlebt hat, so hat sie doch vielfache Impulse ausgelöst. Nicht zuletzt sind die heutige Crealogix und die heutige Namics unmittelbar aus den Aktivitäten hervorgegangen.
Es sind unbezahlbare Erfahrungen und vielfache Erinnerungen, die diese Pionierzeit unvergessen machen. Sie haben unser aller Berufsleben massive geprägt, zumindest gilt das für mich. Ich habe immer gesagt, ich schreibe diese Geschichte einmal auf - dieser kleine Beitrag ist vielleicht ein Anfang zu diesem Vorhaben.
Zu gerne hätte ich den Beitrag mit einigen original Abbildungen oder Screenshots illustriert, aber alle digitalen Dokumente sind auf den oben abgebildeten Disketten gespeichert und eben nicht so ohne weiteres zugreifbar.
Als ich heute vor 20 Jahren zum ersten Mal mein Büro an der HSG betrat, war von diesen Entwicklungen nichts zu erahnen.

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