Zusammenfassung und Conclusio

Gastbeitrag von Tobias Tulinius und Florian Hauschild

Zusammenfassung und Conclusio

Im gesellschaftspolitischen Diskurs sind derzeit aus fast allen politischen Richtungen systemkritische Stimmen zu hören. „Konservative" erkennen dass „Linke" oft Recht hatten, es wird gemahnt und gewarnt, und dass der real existierende Kapitalismus [ Anm.: Korporatismus(!), nicht Kapitalismus] nicht funktioniert, scheint mittlerweile eine Binsenweisheit geworden zu sein.

Dennoch tut die immer breitere Kritik dem derzeitigen EU-Krisenmanagement keinen Abbruch. Die europäische Elite über Merkel bis Sarkozy droht mit dem umstrittenen ESM-Vertragsentwurf das europäische Demokratie- und Transparenzdefizit nicht nur zu zementieren, sondern auch nationalstaatliche Handlungsspielräume weiter einzuschränken, so die Kritiker des so genannten Rettungsschirms (Vertragsentwurf als PDF ).
Auch wenn generell eine koordinierte Wirtschafts- und Finanzpolitik Teil einer Währungsunion sein sollte, stellt sich doch die Frage, unter welchen Voraussetzungen und Kriterien dieser Politikwechsel nun verwirklicht werden soll.

Die öffentliche Debatte über Geld wird derweil unermüdlich geführt, doch woher Geld überhaupt kommt und wie unser Geldsystem funktioniert, wird dabei kaum erörtert. [...]

Ein weiterer bedeutender, aber viel seltener diskutierter Fehler im derzeitigen Geldsystem liegt jedoch in der gängigen Praxis der Geldschöpfung. Diese Praxis ist zutiefst ungerecht und undemokratisch. Da es ohne ein demokratisches Geldsystem auf Dauer auch keine funktionierende Demokratie geben kann, soll im Folgenden noch einmal detailliert diese Thematik vertieft werden. Aufbauend auf einem wird die gängige Giralgeldschöpfung umfangreich dargestellt.

Eine wichtige Funktion im derzeitigen Geldsystem nimmt die Festlegung einer Mindestreserve der Geschäftsbanken bei der Zentralbank ein. Diese beträgt im Euroraum 2%. Die Mindestreserve muss von einer Geschäftsbank auf dem eigenen Zentralbankkonto hinterlegt werden - und zwar für das Buchgeld, das die Geschäftsbank auf den Girokonten ihrer Kunden gutgeschrieben hat.

Da eine Bank also nur über 2% der von ihr gebuchten Gelder wirklich verfügen muss, ergibt sich daraus, dass die Bank Geld erzeugen oder auch „schöpfen" kann. Um einen Kredit von 10.000 Euro zu vergeben benötigt die Bank 200 Euro anderweitig nicht benötigtes Guthaben auf ihrem Zentralbankkonto.

Verfügt die Bank über diese Rücklage bei der Zentralbank, kann der Kredit an den Kunden direkt vergeben werden: Dem Kunden der Bank werden also einfach 10.000 Euro auf seinem Girokonto gutgeschrieben. Geld das vorher niemand anderes besaß, es wurde durch die Kreditvergabe erst geschöpft, sprich die Information hierüber wird in die Computerdatei des Girokontos geschrieben.

Obwohl die Bank das geschöpfte Geld vor dem Kredit nicht besessen hatte, da es schlichtweg nicht existierte, ist sie nun berechtigt Zins für das neu geschöpfte und zugleich verliehene Geld zu kassieren.

Zu beachten ist auch: Analog zur Erzeugung des Buchgeldes durch Kreditvergabe wird das Buchgeld durch Kreditrückzahlung wieder vernichtet; d.h. würden (in einem theoretischen Moment) tatsächlich alle Kredite zurückgezahlt, gäbe es kein Buchgeld mehr.

Durchführung der Kreditvergabe:
Klassischerweise mussten Kreditnehmer vorweisen „kreditwürdig" zu sein. De facto wurden diese Voraussetzungen jedoch längst außer Kraft gesetzt, da Banken natürlich ein Interesse daran haben immer mehr Schuldner zu erzeugen. Privathaushalte (bspw. im Zuge der Subprime-Kreditvergabe), Unternehmen und schließlich ganze Staaten gerieten und geraten so massenhaft in die Schuldenfalle.

Aber was genau geschieht nun bei der Kreditvergabe von 10.000 Euro an einen Bankkunden? Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten:

Fall Eins: Die Geschäftsbank verfügt auf ihrem Zentralbankkonto noch über 200 Euro, als so genannte Überschussreserve. Mit 200 Euro freiem Guthaben auf ihrem Zentralbankkonto kann die Bank wie oben beschrieben 10.000 Euro Kredit vergeben.

Fall Zwei: Die Bank nimmt einen Kredit von der Zentralbank über die 200 Euro auf und vergibt dafür einen Kredit von 10.000 Euro. Dies ist laut dem oben genannten PDF der Bundesbank der Normalfall. Für die 200 Euro zahlt die Bank den Leitzins an die Zentralbank und kassiert den weit höheren Kreditzins über 10.000 Euro vom Kunden.

Fall Drei: Ein anderer Kunde zahlt 205 Euro in bar bei der Bank ein und die Bank bucht die 205 Euro auf ihrem Zentralbankkonto ein. In diesem Fall kann die Bank dann 200 Euro Bargeld als Absicherung für den 10.000-Euro-Kredit benutzen. Die verbliebenen 5 Euro Bargeld reichen als Reserve für bis zu 250 Euro Sichteinlage des Kunden, der die 205 Euro Bargeld eingezahlt hat, welches nun zu Buchgeld auf seinem Girokonto bei der Geschäftsbank geworden ist. In diesem Fall spart die Bank die Zinsen für den 200-Euro-Kredit von der Zentralbank.

Fall Vier: Ein Kunde legt 10.000 Euro Sichteinlagen für mindestens 2 Jahre auf einem Sparbuch fest an. Dieses Geld wird dadurch zur Spareinlage und muss nicht mehr von der Mindestreserve der Bank abgedeckt werden.

Falls der Kunde das Geld allerdings bar abheben will, müsste sich die Bank 10.000 Euro Bargeld besorgen, sofern sie diese gerade nicht im Tresor hat. Das bedeutet, sie müsste im Extremfall weitere 10.000 Euro bei der Zentralbank als Kredit aufnehmen und sich in bar auszahlen lassen.

Wird nun nach der Kreditvergabe der Kredit in Höhe von 10.000 Euro als Bargeld ausgezahlt und bei einer anderen Bank wieder eingezahlt (siehe Fall Drei), könnte diese Bank dann diese Summe wieder bei der Zentralbank hinterlegen, diese 10.000 Euro, die dann wieder Buchgeld sind, mit 200 Euro Bargeld absichern, und die verbleibenden 9.800 Euro Bargeld nutzen, um 490.000 Euro Buchgeld zu schaffen.

Wie viel Geld Banken durch Kredit schöpfen können ist also auch vom Verhalten ihrer Kunden abhängig. Wenn eine Bank viele kleine Privatkunden hat, die relativ viel Bargeld abheben und wenig digitale Geschäfte tätigen wird sie relativ mehr Bargeld brauchen als eine sehr große Geschäftsbank, mit vielen Großkunden, die ihre Geschäfte meist digital abwickeln.

Verhältnis Bargeldmenge zu Buchgeldmenge:

Aus der aufgezeigten Kreditvergabepraxis ergibt sich, dass nur für einen Teil der Buchgeldmenge, Bargeld zum Auszahlen existiert. Dennoch wird von Seiten der Banken versucht, den Eindruck zu erwecken, jeder Kunde könnte jederzeit sein Geld abheben. Es liegt im Interesse der Banken Buchgeld als kongruent zu Bargeld erscheinen zu lassen. Allerdings ist nur Bargeld (also Zentralbankgeld) gesetzliches Zahlungsmittel.

Geschäftsbanken sind darauf angewiesen, dass möglichst viele Geschäfte digital getätigt werden ohne dass echtes Bargeld zum Einsatz kommt, denn eine Geschäftsbank kann nicht beliebig hohe Kredite von der Zentralbank aufnehmen. Diese müssen wiederum besichert sein. Die genauen Geschäftsgebaren zwischen Geschäftsbanken zu Zentralbanken sind jedoch sehr komplex.

Als Kunde kann man die Macht von Geschäftsbanken schmälern in dem man möglichst viel Bargeld vom eigenen Girokonto abhebt.

Da das von Beginn an tot geweihte Buchgeld durch Kreditrückzahlung wieder vernichtet wird, entsteht für die Banken ein Anreiz, die Tilgung zeitlich so weit zu verzögern wie möglich. Die von der Bank vorgeschlagene monatliche Tilgung (=Kreditrückzahlung) ist im Normalfall viel niedriger als der monatlich zu zahlende Zins. Sondertilgungen sind nicht immer möglich. Durch diese vorherige Festlegung wird es dem Kunden unmöglich gemacht, vorzeitig das Kreditverhältnis zu beenden, auch wenn er theoretisch dazu in der Lage wäre. Ziel der Banken ist es, Kunden möglichst lange in der Zinszahlungspflicht zu halten.

Sonderfall der Buchgeldschöpfung:

Es wird immer wieder behauptet, Banken könnten nicht einfach für sich selbst Buchgeld erschaffen. Die Bundesbank widerspricht dem eindeutig: Zitat Seite 72:

„Auch kann die Geschäftsbank den Ankauf eines Vermögenswerts durch Gutschrift des Kaufbetrags auf dem Konto des Verkäufers bezahlen. Sie ist dann Eigentümerin des Vermögenswerts. Das kann beispielsweise eine Immobilie sein, die sie selbst nutzt oder die laufend Mietertrag abwirft. Bezahlt bzw. finanziert hat sie diese Immobilie mit selbst geschaffenem Giralgeld."

Die Buchgeldmengensteuerung über eine Mindestreserve von nur 2% (USA 10%, China 21%) bietet Banken den Ausgangspunkt zum Schaffen von neuem Geld.

Die Kreditvergabe durch Buchgeld dreht die entstehenden Anreize, im Vergleich zu einer Kreditvergabe aus Bargeld zwischen zwei Privatpersonen, regelrecht um: Normalerweise hätte ein Kreditgeber Interesse daran, sein Geld möglichst schnell zurück zu bekommen, weil er tatsächlich in der Zeit des laufenden Kredites darauf verzichtet, mit seinem Geld zu wirtschaften. Da Buchgeld durch Rückzahlung vernichtet wird und die Rückzahlung einfach nur das Ende des Zinsgeschäftes bedeutet, ist es im Fall der Geschäftsbanken umgekehrt.

Aus demokratietheoretischer Sicht muss das bestehende System der Buchgeldschöpfung scharf verurteilt werden, denn es handelt sich hierbei um ein oligarchisches Herrschaftsverhältnis.

[...] Wie [soll] ohne ein demokratisches, gerechtes [ Anm.: marktwirtschaftliches] Geldsystem ein demokratisches politisches System und eine stabile Wirtschaftsordnung möglich sein soll. Die Frage, ob wir in einer Demokratie [...] leben wollen, hängt zentral von der Art des Geldsystems ab, das wir nutzen.

Im Artikel wurden die Basel-Gesetze nicht erwähnt. Diese schreiben Banken eine so genannte Eigenkapitalhinterlegung zusätzlich zur Mindestreserve für alle vergebenen Kredite vor. Die Banken müssen also, um immer mehr Kredite vergeben zu können (wozu dieses Geldsystem zwangsläufig führt), immer mehr Eigenkapital ansammeln. Im Klartext: Sie müssen ihre Marktmacht in der sogenannten Realwirtschaft ständig erhöhen.

Inwiefern jedoch die Basel-Gesetze wirklich geeignet sind, die Kreditvergabe der Banken zu beschränken, ist umstritten. Im Zuge der „Finanzkrise" wurde den Banken erlaubt, Wertpapiere nach Einkaufspreis (nicht nach aktuellem Marktpreis) zu bewerten. Sie können somit ganz legal ihre Bilanzen aufhübschen/fälschen. Zum generellen Problem der Eigenkapitalbewertung hier ein Auszug aus dem Buch „Das Ende des Geldes" von Franz Hörmann und Otmar Pregetter:

„Nach den Regeln von Basel II und Basel III sollen Kredite sogar mit 8 Prozent Eigenkapital oder mehr gedeckt werden, je nach Risikogehalt dieser Kredite. Eigenkapital ist aber nichts anderes, als die rechnerische Differenz zwischen der Summe aller Posten der Aktivseite und den Schulden auf der Passivseite der Bilanz. Welche Zahlenbeträge für die Posten der Aktivseite in diese Rechnung wirklich eingesetzt werden, d.h. die Regeln ihrer Bewertung, erfährt die Öffentlichkeit aber nicht, und falls doch, dann ist sie entsetzt, und selbst Wirtschaftsprüfer sprechen dann offen von Betrug." Seite 145/146

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Ursprünglich veröffentlicht auf le Bohémien _Politik.Kritk.Hintergründe.


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