Der Jahreswechsel ist häufig Anlass, sich Gedanken über Erreichtes, nicht Erreichtes, Wünsche, Träume und neu gesteckte Ziele zu machen. Auch ich habe das jahrelang getan. Und wieso auch nicht? Ein neues Jahr hat schließlich irgendwie auch etwas von einem unbeschriebenen Blatt, das darauf wartet, dass man es mit To-Do Listen, Gedanken, Erfolgen, Misserfolgen und Kritzeleien füllt. Der 1.1. ist nicht nur Tag 1 von 365 Tagen, sondern der Anfang von etwas, das wir zu etwas ganz Großem werden lassen können. Oder?
Nein! An Weihnachten habe ich mit einem alten Freund geredet, für den das vergangene Jahr ebenso viel Mist bereithielt wie für mich. Wir quatschten lange und intensiv über unsere Gedanken und unser Befinden und irgendwann sagte ich, dass ich für uns hoffe, dass das nächste Jahr besser werden würde. Was denn das neue Jahr damit zu tun hätte, fragte mich mein Freund, denn schließlich würden um Mitternacht nicht sämtliche Festplatten gelöscht und das Leben wieder auf Null gesetzt werden. Und damit hat er Recht. So verdammt Recht! Denn was passiert denn an Mitternacht schon groß, außer, dass sich Tag, Monat und Jahreszahl ändern? Unser Päckchen vollgepackt mit Sorgen, Ängsten, Schmerz, Trauer, Wut, Verzweiflung, Traurigkeit oder was auch immer wir für zentnerschwere Last mit uns herumschleppen, wird an der Tür zum neuen Jahr nicht irgendwo abgegeben, um in Archiven einsortiert zu werden, nein, wir nehmen es mit. Es bleibt bei uns und spätestens nachdem wir Silvester mit den Frohes neues Jahr Wünschen und lauten, knallenden Versuchen, die bösen Geister auszutreiben hinter uns gebracht haben, erhält der Alltag wieder Einzug und mit ihm auch die (manchmal) knallharte Realität.
Natürlich ist das jetzt keine weltbewegende Neuigkeit, sodass mich die Erkenntnis an Weihnachten nicht wie ein Schlag getroffen hat und doch brachten mich seine Worte zum Nachdenken. Aber ändert sich dadurch jetzt auch etwas für mich? Ja und nein. Jahrelang habe ich an den Neuanfang zum Jahreswechsel geglaubt und auch jetzt ist es noch so, dass er eine Symbolik mit sich bringt, die ich für mich persönlich nicht missen möchte. Ich möchte die Hoffnung haben, dass es im neuen Jahr besser wird und es eine neue Chance gibt. Ich möchte glauben, dass die paar frisch gedruckten Spielkarten, die man um Mitternacht in die Hand gedrückt bekommt, wirklich etwas bewirken können. Und ich möchte mir Ziele setzen.
Und an dieser Stelle kommt der Teil, den ich anders machen werde: Durch das Gespräch mit meinem Freund ist mir klar geworden, dass ich mir meine Jahre selbst schwerer gemacht habe, als sie hätten sein müssen. Mit viel zu hoch gesteckten und teilweise auch völlig unwichtigen Zielen, habe ich mich nicht nur selbst unter Druck gesetzt, sondern versucht, auf viel zu vielen Partys zu tanzen, wodurch nicht selten der Blick auf das Wesentliche verschwommen war. Natürlich sollte man Träume und Wünsche haben und auch bei mir wird das weiterhin der Fall sein, aber ich werde versuchen, dies auf eine realistischere Weise zu tun. Ich werde fortan mein Glas nicht mehr als halb leer, sondern wieder als halbvoll betrachten. Ich werde mir erlauben zu fallen, zu weinen, zu fluchen und schwach zu sein. Ich werde wieder an mich glauben, nicht aufgeben und mutig sein, auch, wenn die Angst mich momentan wieder jeden Tag in die Knie zwingt. Ich werde meine Schwächen nicht mehr als negativ ansehen, sondern als der lehrreichste Teil von mir. Und ich werde stolz sein. Stolz auf jeden Sturz, auf jedes Aufstehen, auf jeden kleinen Schritt, auf jeden Erfolg und auf jede Erkenntnis. Ich werde auf mich stolz sein.
Ich setze mir dieses Jahr also keine Ziele, die an irgendwelche materiellen Dinge geknüpft sind, mich in Zwangsjacken stecken oder eine Wunderheilung voraussetzen würden, denn am Ende des Jahres wäre ich doch wieder nur enttäuscht. Also weg mit dem Irrglauben, dass irgendwelcher Nippes, materieller Wohlstand und Äußerlichkeiten etwas mit Erfolg oder Misserfolg eines Jahres zu tun haben und zurück zu dem, was wirklich wichtig ist. Und deswegen habe ich dieses Jahr auch nur einen Vorsatz: Mich und mein Leben, das mir zum Ende des vergangenen Jahres hin wieder viel zu sehr aus den Fingern geglitten ist, wieder lieben zu lernen - mit allem was dazu gehört - und zu lächeln. Und wenn mir das gelungen ist, kommt das schöne Jahr von ganz allein.
Setzt ihr euch Ziele für ein neues Jahr und wenn ja, welche sind es in diesem geworden?