Jetzt bin ich zurück, gestärkt zurück im Alltag. Es macht mir weniger aus, dass er mich ständig allen erdenklichen Einflüssen aussetzt. Da ist es nicht immer leicht klar zu denken und mir selbst treu zu bleiben. Schließlich weiß ich um die Erwartungen meiner Mitmenschen. Gut, ich meine sie zu kennen. Schlimm ist das nicht, nur ich bin so, dass ich versuche sie zu erfüllen, es jedem recht zu machen. Das bringt mich immer und immer wieder in Situationen, in denen ich mich als fremdgesteuert wahrnehme. Davon muss ich dann im Alltag bewusst Abstand nehmen. Nicht so auf meiner Wanderung, da tue ich einfach, was ich bin.
Norwegen © D.S. Felix 2014
Abstand vom Alltag heißt zum Einen etwas Anderes sehen, hören und empfinden. Zum Anderen bedeutet es auch mich gezielt in Situationen zu bringen, die sich vom Alltag unterscheiden. Urlaub. Urlaub von meiner eigenen Bubble.
Urlaub, jetzt ist es erlaubt. All das, was mir im Alltag nicht möglich scheint, soll in wenigen Tagen im Jahr erreicht werden? Einfach mal keine Nachrichten empfangen, das Internet nicht benutzen, den Kommunikationsfluss unterbrechen und nicht erreichbar sein, mich einzig mit mir und den Elementen beschäftigen, bewusst abschalten und keine Probleme wälzen, bewusst mit dem Minimum auskommen und den körperlichen Erschöpfungszustand suchen.
Hagadangervidda © D.S. Felix 2014
Der Weg ist das Ziel. Ich schiebe Panik! Panik zu verdummen, ich muss lernen, ich muss lesen, ich muss denken, ich muss arbeiten, ich muss tun und machen! Mehr! Mehr, mehr, viel mehr! Es reicht nicht, ich will mehr! Muss mehr! Der Erfolg schrumpft, je verbissener ich will und desto hartnäckiger ich tue und mache. Es geht nicht, es geht nicht weiter. So darf es nicht weiter gehen, eine Auszeit muss her. Cut! Eine ganze Woche ohne! Ohne Kommunikation, ohne Internet, ohne Buch, ohne Zeitung, ohne Arbeit, ohne Alltag!
Hagadangervidda © D.S. Felix 2014
Wandern. Mit Rucksack und Zelt raus in die Natur. Es geht steil bergauf. Schreck lass nach, ich bin ja so was von unfit. Gleich kollabiere ich. Ich kann nicht mehr. Der Blick zurück zeigt eine tolle Landschaft. Fotos?! Ich kann keine Fotos machen, ich bin zu fertig. Die restliche Gruppe scheint den Berg problemlos zu nehmen. Noch immer geht es bergauf. Der Berg scheint nicht enden zu wollen. Weiter! Weiter geht‘s, bergauf, bergauf. Pause, endlich eine Pause, kurz verschnaufen. Ich schnaufe wie eine Dampflock, aber nach kurzer Zeit fotografiere ich.
Weiter geht die Wanderung. Nun geht es besser, die Steigung ist aber auch nicht mehr so steil. Ein wenig bergab, dann wieder bergauf. Blumen am Wegesrand. Steine mit Moosen bewachsen. Bis zum Horizont kein Mensch oder Zeichen von „Zivilisation“. Ich atme tief ein und aus.
Norwegen © D.S. Felix 2014
Weiter, immer weiter gehe ich, meine Füße und Beine schmerzen. Aber ich laufe weiter. Dann erklimme ich den nächsten Berg, um ihn abschließend wieder hinunterzusteigen. Langsam senkt sich die Sonne. Ein Nachtlager wird aufgeschlagen. Es ist nichts Permanentes, ein Zelt mir Luftmatratze und Schlafsack, am folgenden Morgen wird es wieder abgebaut. Schon bald liege ich im Zelt in meinem Schlafsack, ein paar Worte werden gewechselt, dann Ruhe, die Atmung geht tiefer und schon schlafe ich tief und fest.
Die Sonne geht auf, ich stehe auf, nach dem Frühstück wird zusammengepackt und die Wanderung geht weiter. Wieder geht es quälend einen endlos scheinenden Berg hoch. Wieder bin ich am Ende, schnaufe und stöhne. Und doch komme ich den Berg schon leichter hinauf. Der Tag gleicht dem vorhergehenden, er besteht aus Laufen und Pausen, in denen meist gegessen wird. Ohne es zu merken verstreicht die Zeit. Auch ohne Uhr fühle ich mich wohl. Laufend mit schmerzenden Füßen, die ich merke und doch auch vergesse. Wie ich alles um mich herum vergesse, es geht voran. Am Abend wird erneut das Zelt aufgestellt, gegessen und bald schon liege ich wieder schlafend im Schlafsack. Ohne Dusche, einer als selbstverständlich empfundene Annehmlichkeit der Welt, geht es weiter. Ich vermisse sie nicht. Tag ein Tag aus laufe ich Berge hinauf und wieder hinunter. Ich gehe und mein Körper schmerzt, doch ich laufe weiter. Ich werde auf die Probe gestellt und probiere mich selbst. Eisige Gletscherbäche, schwankende Hängebrücken, Stock und Stein werden genommen. Ich erobere mir eine neue Welt. Ab und an schieße ich ein Foto von der Landschaft. Ich gucke und sehe, während ich gehe. Dabei denke ich und denke ich an nichts.
Hagadangervidda © D.S. Felix 2014
Wachsend werde ich kleiner. Mir fehlt es an Nichts. Ich bin jetzt und hier. Alles andere wird ganz unwichtig. Mein Schlaf ist tief und traumlos. Die Anstrengung tut mir gut, auch wenn sie teilweise kaum zu bewältigen scheint. Aber ich meistere es, mehr noch ich gehe gestärkt aus der Wanderung hervor. Am Ende weiß ich, dass ich alles erreichen kann, was ich mir vornehme, ich muss es nur in meiner Geschwindigkeit tun. An meinen Aufgaben wachse ich. Verrückt, ich bin in Norwegen und zurück bei mir.
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