Zürich wollte mit Genf und Basel mithalten

Zuerst veröffentlicht in «Züriberg» vom 5. Oktober 2017.

Lange war Zürich weder das Wirtschaftszentrum noch die grösste Stadt der Schweiz. Das neue Buch «Zürich – Aufbruch einer Stadt» widmet sich diesem Thema.

1867 soll halb Zürich eine Baustelle gewesen sein. Die Stadt habe mitten in einer Entwicklung gesteckt, die aus dem mittelalterlichen Zürich in wenigen Jahrzehnten eine moderne Stadt mit grosszügigen Boulevards und prächtigen Wohn- und Büropalästen werden liess, schreibt der NZZ-Journalist Adi Kälin in seinem Beitrag für das Buch «Zürich – Aufbruch einer Stadt». Die alte Stadtbefestigung wurde ab 1833 beseitigt, «so richtig systematisch wird die Umwandlung der Stadt aber erst seit 1860 betrieben», hält Kälin fest.

Grund dafür war laut dem Autor ein neues Baukollegium unter dem Vorsitz von Alfred Escher. Dieses wählte Arnold Bürkli zum Stadtingenieur, der Zürich städtebaulich und architektonisch auf das Niveau von Basel und Genf heben wollte. Auch wenn es mancher wohl nicht wahrhaben möchte: Bei der Gründung der Schweiz als Bundesstaat im Jahr 1848 war Zürich weder die grösste Schweizer Stadt noch das wirtschaftliche Zentrum. Die Stadt hatte nur rund 17 000 Einwohner. Im Vergleich dazu: Basel zählte 27 000 Einwohner, in Genf waren es 31 000. Das war vor den Eingemeindungen. Laut Statistik Stadt Zürich waren es damals 41 585 Einwohner, wenn man das gesamte heutige Stadtgebiet betrachtet. Danach sollte sich die Bevölkerungszahl bis 1950 verachtfachen.

Stadtingenieur Bürkli, der von 1833 bis 1894 lebte, war Gemeinderat, Kantonsrat, Nationalrat sowie Zunftmeister der Zunft zur Meisen. Die «NZZ» habe damals in einem Nachruf geschrieben, er sei zu einer gewissen Zeit «einer der populärsten Männer der Stadt» gewesen. Er soll aber wegen umstrittenen Projekten zeitweise auch heftig angefeindet worden sein. Der Bauingenieur plante die Bahnhofbrücke, die Bahnhofstrasse sowie verschiedene Quartiere. Zudem war er federführend bei der Planung und Umsetzung der Kanalisation und Wasserversorgung.

Stadtzunft schenkt sich Buch
«Arnold Bürkli oder die Entdeckung des Mondänen» ist eines der Kapitel im Bildband «Zürich – Aufbruch einer Stadt», welches die grundlegenden Veränderungen dieser Zeit thematisiert. Dazu gehören die Themen Bildung, Kultur, Politik und Wirtschaft, zu denen jeweils ein Beitrag von verschiedenen Autoren beigesteuert wurde. Herausgegeben hat das Werk die Stadtzunft, die 1867 gegründet wurde und 2017 ihr 150-Jahr-Jubiläum feiert. Sie war damit die erste Zunft der insgesamt 14 neuen Zünfte. Diese entstanden ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, oftmals im Zusammenhang mit den Eingemeindungen von 1893 sowie 1934. Die zwölf alten Zünfte waren Handwerksvereinigungen und haben ihre Wurzeln im 14. Jahrhundert.

«Zürich – Aufbruch einer Stadt» ist ein schöner Band mit Essays und vielen grosszügig aufgemachten Bildern geworden. Obwohl das Buch als Geschenk der Zunft an sich selbst gesehen werden kann, steht die Zunftgeschichte nicht im Zentrum. Dafür wird dem Aufbruch der Stadt zum modernen Zürich viel Platz eingeräumt: Pionierjahre, deren Geist bis heute nachwirkt.

499 Menschen starben an Cholera
1867 scheint tatsächlich ein Jahr des Aufbruchs gewesen zu sein. Die Russin Nadeschda Suslowa promovierte an der medizinischen Fakultät als erste Frau an der Universität Zürich. Im gleichen Jahr wütete in Zürich und Umgebung die Cholera. 771 Menschen erkrankten daran und 499 starben. Und es entstand die Halle des Hauptbahnhofs. Kein Wunder, beginnt die Einleitung des Buchs folgendermassen: «Es gibt Jahre, in denen derart viel passiert, dass man sich noch lange daran erinnert.» (pw.)

Stadtzunft, Zürich – Aufbruch einer Stadt. NZZ Libro, 2017. 240 Seiten, geb.



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