Zürich: Recht auf Stadt im Schatten der Baukräne

Zürich: Recht auf Stadt im Schatten der BaukräneNoch vor ein paar Jahren schrieb Katja Kuhlmann in einem Beitrag über Zürich:

Die Angst vor “Gentrification” oder “Yuppisierung” mag durch Berlin geistern – in Zürich winkt man bei diesen Schlagworten mild lächelnd ab.

Jetzt macht das Schlagwort der “Seefeldisierung” die Runde und Initiativen aus verschiedenen Stadtteile schließen sich zu einem Recht auf die Stadt Netzwerk zusammen.

Vor ein paar Wochen war ich in Zürich eingeladen und habe einen kleinen Einblick in die stadtpolitischen Konflikte dort erhalten. Vieles scheint wie überall: Zürich: Recht auf Stadt im Schatten der BaukräneVerkehrsplanungen zu Lasten der Quartiersbewohner/innen (Neufrankenschneise Nein!), Großprojekte in zentralen Bereichen (Mobimo Tower, Prime-Tower), Aufwertungstendenzen in den bisher ärmeren Stadtteilen (wie Altstetten) und der unermüdliche Kampf um eine paar subkulturelle Freiräume in der Stadt (z.B. Autonomer Beauty Salon). Doch anders als in Berlin, Hamburg oder Frankfurt scheint mir die Stadtpolitik in Zürich noch stärker von lokalen Akteuren bestimmt zu werden. Bauherren die Luxuswohnanlagen errichten und Banken die solche Projekte finanzieren haben vielfach eine lange Gechichte in der Stadt und einen guten Draht in die Stadtpolitik. Die Züricher Immobilien-Verwertungs-Koalition erscheint stärker noch als anderswo als Netzwerk von scheinbar alten Bekannten. Ob das eine Vor- oder Nachteil für die städtioschen Protestbewegungen ist, war unter anderem Thema im Gespräch mit Anja Suter von der WOZ: “Durch die Stadt der Kräne” (pdf) (WOZ, 6/2012, S. 5).

Zürich: Recht auf Stadt im Schatten der BaukräneDurch die Stadt der Kräne (Interview mit Andrej Holm)

von Anja Suter

Erste Station ist die Europabrücke, die das ehemalige Industriequartier Altstetten mit dem Hönggerberg, einem beliebten Wohnort für Gutverdienende verbindet. Wir blicken Richtung Innenstadt, auf die neue Skyline Zürichs mit Mobimo- und Prime-Tower.

Andrej Holm: Schon beeindruckend, die vielen Baustellen, die Kräne, die aus der Stadt hochschiessen. Da wird einem tatsächlich das Bild vermittelt: Hier wird eine neue Stadt gebaut. Die umliegenden Hausbesitzer kommen bestimmt auf die Idee, dass nun auch sie aufrüsten könnten, sanieren oder umbauen, um dann höhere Mieten zu verlangen.

WOZ: Der englische Begriff «Gentrification» beschreibt die Verdrängung der ursprünglichen Stadtbevölkerung, der Arbeiterinnen und Handwerker durch den Zuzug der «Gentry», dem gehobenen Bürgertum. Wie kommen solche Verdrängungsprozesse überhaupt ins Rollen?
Es gibt diverse Formen und Akteure der Gentrifizierung: Eigentümer wollen mehr Rendite aus ihren Grundstücken herausholen, Stadtregierungen wollen sich mit Prestigeprojekten im sogenannten „Standortwettbewerb“ positionieren und ihre kommunalen Einkommen erhöhen, indem sie grosse Konzerne auch mit Steuererleichterungen in die Stadt locken. Die Firmen kaufen ganze Areale auf, errichten Neubauten, was sich unmittelbar auf die Bodenpreise und somit auf die Lebenshaltungskosten der Quartierbevölkerung auswirkt. In anderen Quartieren beginnt die Aufwertung mit der Festlegung von Entwicklungsgebieten, um die sogenannte Durchmischung zu fördern. Dabei wird oft argumentiert, dass es an einem Ort zu viele Arme gebe und das Ansiedeln von Reichen einen «heilenden Einfluss» auf das betreffende Gebiet haben könne. Zum Beispiel auf die Schulen: Die Qualität des Unterrichts würde sich heben, wenn mehr Mittelschichtskinder die Klassen füllten. Dass solche Strategien letztlich die Verdrängung der ärmeren Schichten bewirkt, wird völlig ausgeblendet. Um den Unterricht zu verbessern, könnte man auch die Lehrkräfte besser ausbilden oder die Schulpläne anders gestalten – doch das kostet etwas.

Stadtforscherinnen nennen nicht nur Immobilienfirmen und Stadtplaner als Akteure. Studenten, Kunstschaffende oder Besetzerinnen werden oft als Pioniere der Aufwertung bezeichnet, weil sie durch ihren Zuzug vormals angeblich uninteressante Quartiere symbolisch aufwerten – und somit das Interesse der Immofirmen wecken würden.
Ich halte nicht viel von dieser These. Der Pionier-Ansatz ist letztlich ein soziologisches Modell, welches die politischen und ökonomischen Interessen ausblendet. Immobilienwirtschaftliche Investitionen brauchen keine Galerien. Gentrification und Verdrängung gibt es vielfach ganz ohne eine symbolische Aufwertung im Vorfeld. Oft sind es politische Entscheidungen, die den Startschuss für die Aufwertung setzen, etwa bei der Festlegung von Sanierungs- und Entwicklungsgebieten. Auch grosse Neubauprojekte können Mietsteigerungen in den umliegenden Quartieren auslösen.
Für die Gentrification ist kein Quartier zu heruntergekommen. Oft trifft es gerade die Stadtteile der Ärmsten, denn die geringen Bodenpreise werden als Ertragslücke angesehen und versprechen hohe Gewinne.
Sagen Sie, steht eigentlich hinter dem Prime Tower auch eine schweizerische Immobilienfirma?

Ja, die Swiss Prime Site AG, mit Sitz in Olten. Weshalb?
Was ich an Zürich sehr speziell finde, ist, dass hinter vielen dieser Grossprojekte lokal verankerte Immobilienentwickler stehen. Bei den meisten Städten in Deutschland kommen die Investitionen von aussen und man weiss meistens sehr wenig über die jeweiligen Firmen. Das scheint hier anders zu sein. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass Zürich ein Finanzzentrum ist und somit auch die Situation hat, die sich ansonsten alle Stadtplaner immer wünschen: Dass die, die das Geld haben, auch tatsächlich bei ihnen wohnen und ihr Unternehmen hier aufmachen.

Ist das von Vorteil oder von Nachteil für den Kampf der Mieterinnen und Mieter?
Wie sich gestern Abend gezeigt hat, kennen die Leute hier die jeweiligen Firmen, ihre Geschichte, wissen wer hinter dem Firmennamen steht und wo überall investiert wird. Es ist sicher ein Vorteil zu wissen mit wem man es zu tun hat und Investoren für einen lokalen Protest unmittelbar erreichbar sind. Auf der anderen Seite haben lokal verankerte Firmen oft mehr Einfluss auf die Stadtpolitik und können ihre Beziehungen spielen lassen.

In vielen Grossstädten Europas und auch der USA schliessen sich derzeit verschiedene Stadtteilinitiativen unter der Parole «Das Recht auf die Stadt» zusammen. In Deutschland gibt es unzählige Quartier-Initiativen, die sich unter diesem Slogan bündeln. Was machen die verschiedenen Gruppen genau?
Unter dem Slogan sind alle denkbaren städtischen Konflikte vertreten: Gruppen, die Grossprojekte wie die «Media Spree» in Berlin verhindern wollen, die mehr Geld für die Stadtteilkultur fordern, die gegen rassistische Polizeikontrollen protestieren, sich gegen Mietsteigerungen organisieren. Gemeinsamer Nenner bei den meisten Initiativen ist es aber, eine offenen Struktur zu bieten, an der sich möglichst viele Beteiligen können.
In Berlin werden beispielsweise selbstorganisierte Umfragen unter Quartierbewohnern zur Entwicklung ihrer Miete und zur Wahrnehmung des Wandels ihrer Nachbarschaft genutzt, um auf Veranstaltungen und Internetseiten miteinander in Gespräch zu kommen und gemeinsame Forderungen zu diskutieren.

Prallen da nicht die verschiedensten Interessen aufeinander – ist das nicht idealistisch, die unter eine Parole zu fassen?
Im Gegenteil. Das Prinzip von «Recht auf Stadt»-Initiativen lebt genau davon, dass wir wissen, dass es keine Stadtpolitik gibt, die für alle gleichermassen gut ist. Weltweit versprechen Parteien,eine Stadtpolitik für alle zu machen. Aber in einer zunehmend ungleichen und Fragmentierten Gesellschaft ist das eine Illusion. Stadtpolitik ist immer mit einer Umverteilung von Ressourcen verbunden. Die zentrale Frage ist doch, wer da verliert und wer gewinnt. Die «Recht auf Stadt»-Bewegungen stehen für das Prinzip der Anerkennung von diesen Differenzen und machen das, was früher einmal als Politik verstanden wurde: verschiedenen Interessen auszuloten und zu schauen, wie sie sich kombinieren oder gar verbinden liessen.

Von der Europabrücke gehen wir weiter stadtauswärts, Richtung Bahnhof Altstetten. Hier, hinter den Geleisen, entstanden die neuesten grossen Headquarters und Back offices von nationalen und internationalen Konzernen, von der indirekten Volksbank UBS bis zum Computergiganten IBM. Vor dem grossen lachsroten Gebäude der UBS bleiben wir stehen.

Inwiefern hängt Gentrifizierung auch mit Kapitalmarktkrisen zusammen?
Ziemlich direkt. Finanzinstitute wie die UBS, aber auch private Investoren, suchen stets neue, gewinnbringende Kapitalanlagen. Da die Warenproduktion immer weniger Profit abwirft investieren auch Finanzinstitute seit Ende der Achtzigerjahre immer häufiger in Immobilien, weil die halbwegs sicheren Gewinn versprechen. Diese Finanzialisierung der Immobilienwirtschaft bedeutet, dass Investitionsentscheidungen zunehmend losgelöst von lokalen Bedingungen und Bedarfen getroffen werden.
Der Zusammenbruch des Hypothekenmarktes in den USA hatte in Europa paradoxerweise diese Flucht in die Sachwerte nochmals und somit den Druck auf die Städte verstärkt.

Was kann diesem Druck entgegengesetzt werden?
Langfristig kann Gentrifizierung nur verhindert werden, wenn die Wohnungsversorgung dem Diktat der Tauschwerte entrissen wird. Geeignet sind dabei alle Instrumente, die die Marktlogik und die Immobilienspekulation einschränken. Das kann von höheren Handänderungssteuern über die Ausweitung fixer Wohnzonen bis hin zur Enteignung und Unterstützung von Selbstverwaltungsstrukturen der Bewohnerinnen und Bewohner reichen.

Zuletzt die Königinnenfrage: Wie könnte eine demokratische Urbanisierung aussehen?
Indem Dinge, die alle angehen in einer Form verhandelt werden, in der alle einen Zugang zur Diskussion haben. Wie in den klassischen Abstimmungs- oder Partizipationsverfahren einfach nur zu sagen, dass alle mitmachen dürfen, reicht nicht aus. Es gibt ja sehr unterschiedliche Ressourcen für die Beteiligung an diesen Debatten und Gruppen, die strukturell benachteiligt sind, müssten gestärkt und bevorzugt werden.
Eine Vernetzung von Quartier-Aktivisten kann da ein erster Schritt sein, denn größere Stadtentwicklungsprojekte sind von einzelnen Initiativen kaum zu beeinflussen. Doch der Bau von Strassen und Tramlinien, die quer durch Quartiere führen oder der Verkauf alter Industrieareale, sind ja Dinge, die alle angehen und über den lokalen Konflikt hinausweisen. Genau darin liegt das Potential der «Recht auf Stadt»-Initiativen: Sie heben eine Vielzahl von kleinen Konflikten auf diese grosse Arena, in der es heisst «hier wird die Stadt verhandelt, hier wird unsere Stadt gemacht».

 (WOZ, 6/2012, S. 5)



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