Zur Notwendigkeit gewaltloser humanitärer Interventionen in Iran angesichts institutionalisierter Verletzung der Menschenrechte
“Die Statthalterschaft des Faghih (Theokratie, D.G.) ist eine relative Angelegenheit, sie wird durch Ernennung übertragen, ein Akt, der vergleichbar ist mit der Ernennung eines Vormundes für Minderjährige. Vom Standpunkt der Aufgabe und der Stellung besteht kein Unterschied zwischen dem Vormund der Nation und einem Vormund für Minderjährige” (Khomeini)
von Dawud Gholamasad
Dawud Gholamasad
In diesem Beitrag möchte ich kurz die Notwendigkeit gewaltloser humanitärer Intervention in Iran angesichts institutionalisierter Verletzung der Menschenrechte begründen und zwar in Anbetracht der durch das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Iran und der illusionären Erwartungen, die Rohanis Wahlversprechen erweckt haben. Zumal die Charmeoffensive Rohanis und die seines als versiert gehandelten Außenministers Zarif diese Illusion noch verstärkt hat. Denn es gibt unzählige Versprechen, deren systemimmanente Erfüllung beim besten Willen mit unüberwindbaren institutionalisierten Hindernissen konfrontiert ist. Ihre Erfüllung würde nicht nur die Abschaffung der verfassungsmäßig verankerten Scharia als Bezugsrahmen jeglicher Entscheidungs- und Handlungsspielräume voraussetzen sondern auch die „totale Herrschaft des Theokraten“, der sich als „Vormund der Nation“ begreift und eine totale „Gleichschaltung“ der Gesellschaft anstrebt.
I. Zu illusionären Erwartungen, die Rohanis Wahlversprechen erweckt haben
Zu diesen unerfüllbaren Wahlversprechen gehören u. a. die versprochene Überwindung der Frauen- und konfessionellen Diskriminierungen , die zuweilen mit ethnischen Diskriminierungen einhergehen. Eine Institutionalisierung der Freiheit und Gleichheit im Sinne der zunehmenden Erweiterung der Entscheidungs- und Handlungsspielräume der Menschen als Einzelne und unabhängig von ihren Gruppenzugehörigkeiten ist im Rahmen der „Islamische Republik“ ein unmögliches Unterfangen, selbst wenn Rohani ein „Charta der Freiheiten“ in Aussicht stellt. Dies hat nicht nur die bisherige Erfahrung der Menschen seit der Konstitution dieser „Republik“ bewiesen. Das dieser Staatsform zugrunde liegende Menschenbild als ewig unmündige Menschen widerspricht der individuellen Freiheit, Gleichheit und dem Ethos der Menschenrechte. Als ewig unmündige Menschen haben Menschen demnach keine Rechte sondern nur religiöse Pflichten. Dies drückt sich nicht nur in den verfassungsmäßigen Einschränkungen aller in der Verfassung verankerten bürgerlichen Rechte und Menschenrechte durch die Scharia aus, sondern auch in der Islamisierung der Menschenrechte, die anstatt den Islam zu humanisieren die Menschenrechte archaisiert, indem sie die vorislamischen archaischen Verhaltens- und Erlebensmuster der arabischen Stämme zu „Gottes Gesetz“ erklärt und diese Scharia als einzigen Bezugsrahmen aller Menschenrechte zugrunde legt.
Hinzu kommt der Charakter der „Islamischen Republik“ als eine Quadratur des Kreises, die sich als Folge einer Veralltäglichung der charismatischen Herrschaft Khomeinis ergab. Denn die „islamische Republik“ ist Folge der „Islamisierung“ einer Revolution, die als Funktion einer wachstumsorientierten Modernisierung eine funktionelle Demokratisierung der Gesellschaft, im Sinne der Verschiebung der Machtbalance zwischen Etablierten und Außenseiter zugunsten der Letzteren, Vorschubleistete und zugleich die institutionelle Demokratisierung der Gesellschaft und des sozialen Habitus der involvierten Menschen unterband. Die Islamisierung der Revolution ist daher ein Nachhinkeffekt des sozialen Habitus der sie tragenden Menschen. Sie manifestierte sich in ihrem autoritären Charakter, der die charismatische Führungsfunktion Khomeinis hervorbrachte.
Bei dieser „Islamisierung“ der nachrevolutionären Staatsgesellschaft dominierte vor allem die Durchsetzung des dogmatischen Gehaltes einer Zwölfer schiitischen Lesart des Islams, die gegenwärtig durch Extremkonservativen „Usulgerajan“ („Prinzipienorientierte“/ „Glaubensaxiome Orientierten“) repräsentiert wird, während mit der Unterdrückung der liberalen Islamisten der ethische Gehalt der Religion zunehmend in Vergessenheit geriet. Diese Vernachlässigung des ethischen Gehaltes des Islam ergab sich aus der von Khomeini geforderten Systemerhaltung um jeden Preis, die zu einer Glorifizierung einer besonderen Lesart der versteinerten Dogmen führte. Denn für Khomeini hatte die Systemerhaltung im Sinne der machiavellistische Sicherung der „Schriftgelehrten Herrschaft“ absolute Priorität („odjeb-e vadjebat“), wofür sogar die Primärgebote des Islams zeitweise suspendiert werden dürften. Durch die Verfassungsreform unmittelbar vor dem Ableben Khomeinis wurde der totalitäre Charakter der etablierten theokratischen Herrschaft in Form der „absoluten Schriftgelehrten Herrschaft“ sogar gesteigert und als ewig unveränderbar festgeschrieben. Seitdem ist sogar jede kritische Äußerung gegen diese Herrschaftsform strafbar.
Dafür werden alle mobilisierbare Machtquellen eingesetzt um diese Herrschaft auch gewaltsam aufrechtzuerhalten, weswegen man auch von einer totalitäreren Gewaltherrschaft bzw. „Polizeistaat“ sprechen kann. Nicht nur verschiedene Sicherheitsorgane des Innenministeriums und das offizielle Nachrichtendienst, das unter direkte Kommando des Führers stehen sorgen für die „Staatssicherheit“; sondern auch die allgegenwärtige „Revolutionsgarde“ mit ihrer zahlreichen „Kulturellen“, „ökonomischen“, „politischen“, „ideologischen“ u.a. „Kampffronten“. Mit ihrer unter der direkten Befehlsgewalt des Führers stehenden parallelen Geheimdienst mit eigenen Gefängnissen und Verhörpersonal, die informell nicht nur die Anklageschriften anhand der unter Folterung erpressten Geständnisse formulieren, sondern auch die Strafmaß jeweils vorgeben. In diesem System fungieren die, das Recht beugenden, „Richter“ lediglich als juristisches Feigenblatt der Gewaltherrschaft der „Revolutionsgarde“, deren rechtswidrige Handlungen sie juristisch legitimieren.
II. Zum Unterschied der Konservativen und Moderaten Khomeinisten
Nicht aber nur die demokratischen Kritiker dieser Herrschaftsform werden verfolgt, obwohl bis jetzt keine politischen Delikte gesetzlich definiert worden ist. Sondern auch ihre systemimmanente Kritiker, die die Suspendierung der republikanischen Komponente der Verfassung zu beleben versprechen. Dies würde bedeuten die verfassungsmäßige Einschränkung eines absoluten Herrschers, dessen Imperative zu befolgen als unanfechtbare Pflicht jedes „Untertanen“ gilt; eines Herrschers, der mit Ludwig dem XIV. sagen kann: ich bin der Staat!
Doch diese systemimmanente Kritik seitens derjenigen, die ihre offiziell erwartete „praktische Verpflichtung gegenüber der Herrschaft des Theologen“ („Eltezam Amali bewelajat“) unmissverständlich beteuern, ist eine unabdingbare Begleiterscheinung jeglicher Veralltäglichung der charismatischen Herrschaft, die „eine spezifisch außeralltägliche und reine persönliche soziale Beziehung” ist.
Mit dem Ableben Khomeinis wurde zwar, mit einer scheinbaren „Nachfolgedesignation“ durch Khomeini, versucht den „Glaube an die Eigenlegitimität des Charismas“ in den „Glauben an den legitimen Erwerb der Herrschaft kraft rechtlicher und göttlicher Designation“ zu transformieren. Doch damit entstand auch ein unerbittlicher Konflikt unter den Erben Khomeinis, die zu sukzessiven Exklusionen immer weiterer Teile des politischen Establishments führte. Zuletzt führte dies zur Einkerkerung großer Teile der als „Reformisten“ bekannten ehemaligen „Jüngerschaft Khomeini“, deren Führer und Präsidentschaftskandidaten der 11. Präsidentschaftswahlen, Mussavie und Kahrubi, wegen Anfechtung der Wahlergebnisse ohne jeglichen Gerichtsverfahren unter Hausarrest stehen.
Was aber zur Neuformierung der Nachfolger Khomeinis in konservative „Usulgerajan“ („Prinzipienorientierte“) und Moderaten und „Reformisten“ treibt, sind ihre „autoritäre“ versus „demokratische“ Legitimationsprinzipien der veralltäglichten charismatischen Herrschaft des „Führers“. Denn das seinem primären Sinn nach autoritär gedeutete charismatische Prinzip kann auch quasi „antiautoritär“ umgedeutet werden.
Für die autoritären Konservativen „Usulgerajan“, die zwischen „göttlich vermittelte Legitimität“ des Herrschers und seine „Akzeptanz“ (Maghbulijat) durch die Gemeinschaft der Gläubiger unterscheiden, ist die Herrschaft des „Revolutionsführer“ lediglich deswegen legitim, weil die Gläubiger ihm die Anerkennung geschuldet sind. Denn die Menschen haben nur religiös bestimmte Pflichten aber keine Rechte, die nur Gott zusteht und vom ihm dem herrschenden Theologen verliehen werden. Diesem Glaubensaxiom u. a. folgend nennen sie sich „Usulgerajan“ („Prinzipien-Orientierte“), die sogar eine praktische „Verschmelzung mit der Herrschaft“ (Zob dar Valajat) anstrebend und jegliche republikanische Komponente der Verfassung praktisch suspendieren so lange sie sie nicht formell aufheben können.
Was also die „moderaten“ und „reformistischen“ Fraktionen des politischen Establishments auszeichnet, ist ihr quasi „antiautoritäre“ Legitimationsprinzip der veralltäglichten charismatischen „Schriftgelehrten Herrschaft“, deren weitere Existenz und Stabilität sie nur so garantiert sehen. Zwar ist diese theokratisch begründete totalitäre Herrschaft eine „traditionelle Herrschaft, Kraft Glaubens an die Heiligkeit der von jeher vorhandene Ordnungen und Herrengewalten“ . Als eine Art ständischer Herrschaft der Geistlichkeit versuchen die moderateren Fraktionen des Khomeinismus das Verhältnis zwischen dem Beherrschten und dem Herrscher „demokratisch“ umzudeuten. Demnach sei die freie Anerkennung des Herrschers durch die Beherrschten die Voraussetzung der Legitimität und die Grundlage seiner Herrschaft. Diese freie Anerkennung und Bewährung als Legitimationsgrundlage der Herrschaft gab es praktisch während Khomeinis charismatischer Herrschaft, woran sich die „Reformisten“ nostalgisch als „goldene Ära des Imam“ (Mussavi) erinnern. Denn eine charismatische Herrschaft ist eine „Kraft affektueller Hingabe an die Person des Herren und ihre Gnadengaben (Charisma)“.
Trotz solcher Differenzen mit den Konservativen sind die „Reformisten“ und „Moderaten“ von der Notwendigkeit der theokratischen Herrschaft weiterhin überzeugt. Selbst nach ihrer Exklusion von der Kerngruppe der Macht und der unbarmherzigen Verfolgung und Unterdrückung Teile ihrer Führung stellen nicht einmal alle „Reformisten“ die „Schriftgelehrten Herrschaft“ je in Disposition, die unaufhebbar über verfassungsmäßig garantierte absolute Herrschaftsgewalt verfügt. Durch diese Unaufhebbarkeit des totalen Herrschaftsanspruchs des „Führers“, die im Innen und nach Außen durch die „Revolutionsgarde“ umfassend und mit allen Mitteln geschützt wird, ist aber eine gewaltsame Eskalation der politischen Konflikte um die institutionelle Demokratisierung der Staatsgesellschaft vorprogrammiert, wenn nicht präventiv interveniert wird.
III. Was bedeutet gewaltlose humanitäre Intervention zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Entwicklungsprozesse?
Ein zentrales Problem der Diskussion über die präventive gewaltlose Intervention ist ihre Gleichsetzung mit militärischer Intervention. Zudem wird sie entweder als Illusionär belächelt oder als Verletzung der „nationalen Souveränität“ der Staaten kategorisch abgelehnt. Deswegen ist hier zunächst einiges Klärungsbedürftig.
Zuletzt haben die ägyptischen und syrischen Erfahrungen gezeigt, welche Folgen das Fehlen der institutionellen Rahmenbedingungen der friedlichen Transformation der Macht zu Folge hat. Zugleich hat sich gezeigt, dass keine „souveräne“ Entscheidung einer Regierung nationalstaatlich begrenzt bleibt. Ihre regionalen und globalen Folgen sind ja nicht zu übersehen. Damit wurde blutig demonstriert, dass durch die zunehmende Globalisierung der Interdependenzen und Verflechtung der politischen, ökonomischen (Branchenkreisen), technologischen(Tschernobyl), kulturellen (globale Herausforderung des Islamismus) Entscheidungen und Entwicklungsprozesse die Vorstellung der „Souveränität“, wie sie durch den „Westfälische Friede“ geschaffen wurde, ad absurdem geführt hat und nur eine Schutzbehauptungen der Despoten geworden ist. Selbst wenn sie auch als Souveränität der Fürsten entstand und die Grundlage des modernen Völkerrechtes geschaffen hat. Aber das Völkerrecht muss sich den veränderten globalen Verflechtungszusammenhängen entsprechend anpassen und demgemäß weiter entwickelt werden. Dies wurde seit 2005 durch die UN-Generalversammlung verabschiedetes Prinzip der „Schutzverantwortung“ quasi vollzogen.
Wer also eine „humanitäre Intervention“ als einen bewaffneten Eingriff in das Hoheitsgebiet eines anderen Staates zum Schutz von Menschen in einer humanitären Notlage ablehnt, hat keine andere Alternative als diese Notlagen präventiv vorzubeugen. Und zwar gewaltlos. Auch hier wird vorausgesetzt, dass der betroffene Staat nicht in der Lage oder nicht willens ist, den Gefährdeten selbst Schutz zu bieten. Die institutionalisierte Menschenrechtverletzungen und die institutionell vorprogrammierte blutiger Eskalation jedes politischen Konfliktes um institutionelle Demokratisierung, wie wir nicht nur in Ägypten und Syrien erleben, sondern auch bei der blutigen Unterdrückung der „Grünen Bewegung“ im Iran gesehen haben, machen die präventiven gewaltlosen Interventionen unabdingbar.
Jede präventive gewaltlose humanitäre Intervention muss daher auf eine Institualisierung der Rahmenbedingungen gewaltloser Austragung der Konflikte hin zielen, bevor sie aus schierer Verzweiflung in blutige bürgerkriegsartige Auseinandersetzungen ausufern wie in Syrien. Denn diese Konflikte sind Manifestationen der nie endenden Macht- und Statuskämpfe und als solche die Struktureigentümlichkeit jeder menschlichen Beziehung, die mit zunehmender funktionellen Demokratisierung der Gesellschaften sich vervielfältigen und verschärfen.
Es geht dabei um eine nie enden wollende Auseinandersetzung um die Verschiebung der Machtbalance und der Selbstwertbeziehungen der interdependenten Menschen als Einzelne und Gruppen zur eigenen Gunsten. Es geht also um die Steigerung der eigenen Machtchancen und Selbstwertgefühl auf Kosten der Anderen. Es geht immer dabei um die Erweiterung der eigenen Chancen, das Verhalten der anderen Menschen als Einzelne und Gruppen zu steuern. Und da zuweilen mehr Macht gleich gesetzt wird mit mehr Selbstwert, entsteht eine eigene „Logik der Emotionen“, die zu einem Teufelskreis der Eskalation der Konflikte beiträgt. Um die Eigendynamik dieser Eskalation hin zur gewaltsamen Austragung zu unterbinden, ist eine präventive gewaltlose humanitärere Intervention unabdingbar. Sie soll zur Förderung gewaltloser Konfliktaustragung dadurch beitragen, indem sie ihre institutionellen Rahmenbedingungen durch Sanktionierung folgender Forderungen erleichtert:
- Die Respektierung der Menschenrechte, zu dem die „Islamische Republik“ durch die Ratifizierung von internationalen Menschenrechtsabkommen verpflichtet ist, obwohl sie unzulässiger Weise durch Scharia praktisch ausgehöhlt werden.
- Die Respektierung der rechtstaatlichen Grundsätze. Damit soll die Ausübung staatlicher Macht nur auf der Grundlage der Verfassung und von formell und materiell verfassungsmäßig erlassenen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zulässig sein. So soll die Respektierung der in der Verfassung verankerten Grundrechte der Bürger garantiert werden.
- Die Respektierung der Minderheitenrechte und des Diskriminierungsverbots als unabdingbare Komponente der Demokratie; sonst wäre das „Dritte Reich“ der demokratischste Staat in der Geschichte, denn zuweilen wird die „Diktatur der Mehrheit“ (siehe Ägypten) als „Demokratie“ definiert. In diesem Sinne behauptet auch Khamenei, dass Iran das demokratischste Land der Welt sei.
- Die Abschaffung der institutionalisierten Frauen-, ethnischen und konfessionellen Diskriminierung.
- Die Freilassung der, rechtswidrig und aufgrund erpresster Geständnisse verurteilten, politischen sowie andersdenkenden und andersgläubigen Gefangenen wie Bahais, Sufis u.a.
- Die international garantierte freie Wahlen, da selbst nach Khomeini „die Wahlstimme der Maßstab ist“.
- Ein Verfassungsreferendum, weil sogar nach Khomeini, der als Begründung der Notwendigkeit der Neugründung des nachrevolutionären Staates durch ein Referendum ausdrücklich hervorhob: „ Es ist das Recht der neueren Generationen ihre eigene Staatsform zu bestimmen“.
IV. Ist der Preis der Lösung des Atomproblems eine internationale Toleranz gegenüber den institutionalisierten Menschenverletzungen?
Unbeeindruckt von den neuesten blutigen Erfahrungen nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, ist immer noch eine unüberhörbare internationale vernehmbare Stimme zu vernehmen, die einen „Verzicht auf Regimewechsel“ als einen angemessenen Lohn für einen iranischen Verzicht auf atomare Ausrüstung Irans propagiert. Dabei suggeriert sie die Annahme, dass die geforderten präventiven gewaltlosen humanitären Interventionen eine Aufforderung zum extern gesteuerten Regimewechsel im Iran bedeutet. Die praktische Konsequenz dieser Forderung ist nicht nur eine ethisch unakzeptable Toleranz gegenüber den institutionalisierten Menschenverletzungen Irans. Sie ist politisch kurzsichtig, weil sie mit der Tolerierung der institutionalisierten Menschenrechtsverletzungen und institutionalisierter Blockade jeglicher politischer Reformen, einen künftigen blutigen Bürgerkrieg im Iran Vorschub leisten.
Die Gefahr der Akzeptanz dieser moralisch und politisch verwerflichen internationalen Politik gegenüber Iran wird angesichts der Präsidentschaft Rohanis noch größer, angesichts seiner zwei jährigen Erfahrungen als erster Verhandlungsführer Irans über friedliche Nutzung der Nuklearenergie. Dabei ist davon auszugehen, dass er in Anbetracht der inzwischen angewachsenen einheimischen nuklearwissenschaftlichen Kapazität Irans und der damit einhergehenden technischen Fähigkeit der Produktion der Atombombe sowie des erreichten Niveaus der Anreicherung von Uranium, international befriedigende vertrauensbildende Maßnahmen zustimmt, um die – inzwischen das Regime existentiell bedrohende – internationalen Sanktionen aufzuheben.
Diesen Kuhhandel abzuwehren, sollte das Hauptanliegen aller internationalen Bemühungen zur aktiven Verteidigung der Menschenrechte in Iran sein, ohne eine friedliche Regelung dieses Konfliktes zu torpedieren. Zumal nur ca. 40% der Sanktionen wegen mangelnden Transparenz des Nuklearprograms Irans verhängt worden sind. Eine Diskussion über die gegenwärtig angemessenen Formen der gewaltlosen präventiven humanitären Interventionen zum Schutz der Menschenrechte im Iran sollte, als Alternative zu dieser schrecklichen Form der Toleranz gegenüber den institutionalisierten Menschenverletzungen, für die Unterstützung einer nachhaltigen friedlichen Koexistenz durch eine zivilgesellschaftlich gestützte demokratische Regierung im Iran sorgen. Die gewaltlose humanitäre Intervention in Form aktiver Unterstützung zivilgesellschaftlicher Entwicklungsprozesse reduziert prophylaktisch die Gefahr blutiger Austragung regionaler und sozialer Konflikte und erhöht die Chance der gewaltlosen Überwindung bestehender institutioneller Blockaden sozialer Mobilität und die Aussicht auf friedliche institutionelle Demokratisierung der iranischen Staatsgesellschaft.
Aus diesem Grunde ist es unverständlich, wenn nach der Wahl Rohani zum neuen Präsidenten eine Gruppe der politischen Gefangenen im Iran und eine Gruppe der iranischen Intellektuellen im Ausland in ihren offenen Briefen an Obama die Aufhebung der Sanktionen fordern, weil sie angeblich nicht den Staat sondern die Bevölkerung hart getroffen hätte. Zudem sollte der Aufschub der weiter geplanten Sanktionen Rohani die Chance einer erfolgreichen diplomatischen Lösung der Probleme geben. Diese neue Offensive der Lobbyisten der „Islamischen Republik“ ist Teil einer Kompanie, die durch die neue Regierung geplant wurde. Dabei sollen vor allem die im Ausland lebenden Iraner als Lobbyisten der Regierung mobilisiert werden, so der neue Außenminister Zarif in einem Interview.
Dabei wird vergessen, dass ohne die verhängten und gedrohten weiteren Sanktionen das Regime in Teheran sich nicht so gefährdet gefühlt hätte, um sogar die Regimegegner im Namen der nationalen Sicherheit zur Wahl aufzufordern. Ohne diese Sanktionen wären auch die „Moderaten“ nicht einmal zur Wahl zugelassen, die in einer breiten Koalition die Wahl zugunsten Rohani entschieden haben.
Außerdem führt sogar das politische Establishment in Iran selbst die desolate ökonomische Lage nicht bloß auf die Sanktionen allein zurück; sie macht auch das „Missmanagement“ der Regierung Ahmadinedjat zum Teil dafür mitverantwortlich. Selbst die beklagte Gefährdung der medizinischen Versorgung der chronisch kranken Menschen wegen Sanktionen wird sogar offiziell auf dieses „Missmanagement“ zurückgeführt, weil sie überhaupt nicht in der Liste der Sanktionen standen.
Dabei übesehen wir gern, dass allein die von USA geplante Erklärung der „Revolutionsgarde“ als eine „terroristische Organisation“, die Chance der Regierung Rohanis erhöht hat, die unüberschaubaren weit verbreiteten monopolitischen wirtschaftlichen Aktivitäten der „Revolutionsgarde“ im Iran einzuschränken. Die neuerliche Erklärung der Bereitschaft ihres Oberkommandeurs, sich aus den wirtschaftlichen Aktivitäten zurückzuziehen, wenn dies erwünscht wird und der hektische Versuch Scheinfirmen zu gründen, die ihre Geschäfte weiter führen sollen, wären ohne die drohenden Sanktionen gegen die „Revolutionsgarde“ unvorstellbar gewesen.
Nicht also die Aufhebung der Sanktionen sollten gefordert werden, sondern die weitere Präzisierung ihrer Zielführung und weitere Einschränkung der „Kollateralschaden“ zur Abwendung der Schaden von der Zivilbevölkerung.
V. Die Möglichkeit einer gewaltlosen präventiven humanitären Intervention auf der Grundlage der „Schutzverantwortung“
Dafür gibt es auch inzwischen völkerrechtliche Rahmenbedingungen. Denn mit der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2005 beschlossen „Schutzverantwortung“ („responsibility to protect“ auch R2P oder Rt0P) zur Prävention von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wurde eine völkerrechtliche Grundlage für die gewaltlosen präventiven humanitären Intervention geschaffen. Die Schutzverantwortung ist ein neues Konzept der internationalen Politik und des Völkerrechts zum Schutze der Menschen als Einzelne und Gruppen vor schweren Menschenrechtsverletzungen und Brüchen des humanitären Völkerrechts. Sie wurde maßgeblich von der „International Commission on Intervention and State Sovereignty“ (ICISS) in den Jahren 2000/2001 entwickelt und international verbreitet und nach der Zustimmung der Generalversammlung der UNO sogar in Resolution 1674 des Sicherheitsrats erstmals in einem völkerrechtlich verbindlichen Dokument erwähnt. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon veröffentlichte 2009 einen Bericht zur Umsetzung der Schutzverantwortung, die auf drei Säulen basiert und insbesondere die Bedeutung einer rechtzeitigen Erkennung und Einleitung von präventiven Maßnahmen bei derartigen Verbrechen hervorhebt.
Die Schutzverantwortung trifft zunächst den Einzelstaat und beschreibt seine Pflicht, das Wohlergehen der ihm kraft seiner Personal- oder Gebietshoheit unterstellten Bürger zu gewährleisten. Bei der Wahrnehmung dieser Verantwortung wird er von der internationalen Staatengemeinschaft unterstützt, der eine subsidiäre Schutzverantwortung zukommt. Ist jedoch die politische Führung des jeweiligen Staates nicht fähig oder willens wie im Falle Iran, die Bürger vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen, darf die internationale Staatengemeinschaft, vornehmlich die Vereinten Nationen, zum Schutz der bedrohten Menschen eingreifen. Dazu stehen ihr nach Maßgabe der Charta der Vereinten Nationen zivile und militärische Mittel zur Verfügung, über deren Einsatz der Sicherheitsrat entscheidet.
Die Theoretische Grundlage der Schutzverantwortung ist die Definition von Souveränität als Verantwortung (“sovereignty as responsibility”), wonach ein Staat Verantwortung für den Schutz seiner Bevölkerung übernehmen muss, um als souverän zu gelten. Die R2P hilft damit, universale Moralvorstellungen zum Schutz der Menschen als Einzelne und Gruppen international zu verwirklichen. Als zu verhindernde Menschenrechtsverletzungen werden Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberungen identifiziert. Von daher sollte das kanadische Beispiel der parlamentarischen Verurteilung der Massenhinrichtungen der iranischen Gefangenen in den achtziger Jahren als „ Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ z.B. auch in Europa und USA Schule machen.
Nach dem Entwurf der ICISS gliedert sich die R2P in drei Teilverantwortlichkeiten: die Responsibility to Prevent, die Responsibility to React und die Responsibility to Rebuild, wovon die Pflicht zur Prävention hier zur Debatte steht.
Die Pflicht zur Prävention zielt auf die Vermeidung von Situationen, in denen es zu schweren Menschenrechtsverletzungen kommt, insbesondere durch den Aufbau einer guten Verwaltung (good governance) und die Bekämpfung tiefverwurzelter Ursachen für Konflikte (root causes), die im Iran durch die institutionalisierte Verletzung der Menschenrechte unausweichlich sind. Auch eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof ist insoweit denkbar, die im Falle Iran einer Zustimmung des Sicherheitsrates der UNO bedarf, weil Iran das Abkommen zur Errichtung des „Internationalen Gerichtshof“ zwar unterschrieben aber noch nicht ratifiziert hat.
Auch die Pflicht zur Reaktion verpflichtet zu einer Beseitigung bzw. Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen. Mittel hierzu sind friedliche Zwangsmaßnahmen der Staatengemeinschaft wie Waffenembargos und das Einfrieren von Bankkonten. Als ultima ratio kommen auch militärische Interventionen in Betracht, wenngleich diese nur in zwei eng umrissenen Situationen gerechtfertigt sein sollen: im Falle eines Massensterbens (large scale loss of life, actual or apprehended, with genocidal intent or not, which is the product either of deliberate state action, or state neglect or inability to act, or a failed state situation) und im Falle einer ethnischen Säuberung (large scale “ethnic cleansing”, actual or apprehended, whether carried out by killing, forced expulsion, acts of terror or rape). Die Befugnis, eine solche militärische Intervention zu autorisieren, geht gemäß der R2P jedoch nicht auf einzelne Staaten über, sondern verbleibt beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.
Von der „humanitären Intervention“ unterscheidet sich die „Schutzverantwortung“ in dreifacher Weise:
- Der dem Konzept der humanitären Intervention immanente Rechtfertigungszwang bedingt eine starke Zurückhaltung der Staaten, in innerstaatliche Konflikte aktiv einzugreifen. Diese Zurückhaltung zeigte sich insbesondere während des Völkermords in Ruanda – mit verheerenden Folgen. Die Schutzverantwortung verlagert den völkerrechtlichen Rechtfertigungsdruck für ein Handeln der Staaten bei Menschenrechtsverletzungen, indem sie entsprechende Pflichten formuliert.
- Die Souveränität eines Staates und das daraus hervorgehende absolute Interventionsverbot, wie es Art. 2 Ziff. 7 der Charta der Vereinten Nationen gewährleistet, werden durch die Schutzverantwortung neu definiert. Als Folge eines Verstoßes gegen seine Schutzverantwortung verwirkt ein Einzelstaat sein Recht auf Nichteinmischung in seine internen Angelegenheiten.
- Die humanitäre Intervention betrifft allein die Rechtfertigung militärischer Maßnahmen und damit nur einen Teilaspekt der Schutzverantwortung. Mit ihren Präventions-, Reaktions- und Wiederaufbauelementen verfolgt letztere einen weit umfassenderen Ansatz.