"Ding Dong, die Hex' ist tot" - pardon: der Hexer, natürlich
Eigentlich wollte ich mich dazu gar nicht äußern, denn geschrieben wurde und wird schon genug. Jetzt aber, angesichts einiger Reaktionen, den Bildern von jubelnden US-Amerikanern auf den Straßen und einer Bundeskanzlerin, die sich freue, dass es gelungen ist, Osama Bin Laden zu töten, will doch aber gerne mal den Stimmen danken, die ein Kleinbisschen Einspruch einlegen oder zumindest Bedenken hab, die an die unpopuläre Moral erinnern und ein wenig an die – ebenfalls nur ein wenig auch populärere – Vernunft.
Sicher bin ich niemand, der Bin Laden bewundert, mit dem, was er dachte und tat einverstanden war
und der nicht froh darüber ist, dass der al-Qaida-Chef, Poster Boy des militanten Islamismus und Integrationsfigur des transnationalen Terrorismus weg vom Fenster ist. Aber, pardon, muss man sich gleich freuen, dass es ein Mensch bei einem Navy-Seal-Kommandoeinsatz in den Kopf geschossen wurde?
Auch FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher in seinem Kommentar hat wenig Mitleid mit dem Saudi, tatsächlich, ja, er wusste was er tat und wenn man den offiziellen Stellen glauben mag, war es auch noch im letzten Moment der Terror-Pate selbst Schuld, schließlich hätte er sich auch ergeben können. Aber Bin Ladens Ableben in Kauf nehmen zu nehmen, sei nun mal, so Schirrmacher, „immer noch Lichtjahre von der ‚Freude‘ über den Tod entfern“:
„Nicht wegen Bin Ladins, sondern unseretwegen. Es gehört zu den Gemeinplätzen jedes im Namen der Humanität geführten Konflikts, dass man unter keinen Umständen so werden darf wie seine Feinde. Einer Zivilisation, deren Wurzeln sich der Freude über die Geburt eines Kindes verdanken, also dem Leben, steht es schlecht an, die Freude über die Tötung des Feindes zur Konflikträson zu machen.“
Schirrmacher gemahnt an fundamentale Glaubensgrundsätze, die auch der Vatikan bemühte, der ins Gedächtnis zu rufen suchte: „Ein Christ sollte niemals den Tod eines Menschen begrüßen.“ Und wem das zu christlich sei, den verweist Schirrmacher grandios an den Zauberer Gandalf im ersten Teil von HERR DER RING, da der weise Graubart vor vorschnellen Entscheidungen über Anderer Leben warnt. Also für all die naiv-jubelnden US-Bürger dürfte wohl da was dabei sein. Und wie Stefan Kuzmany auf Spiegel Online richtig bemerkt: „Die Rachsucht mag mächtig sein - moralisch überlegen ist sie nicht.“
Was für ein weit größere Triumph wäre es gewesen, Osama Bin Laden lebend zu fassen, ihn den USA vor ein ordentliches Gericht zu stellen und ihn mit einer unaufgeregten, von Hysterie und Populismus unbeeindruckten Sachlichkeit, die einem Staat gut zu Gesicht stünde, der sich etwas auf seine Recht und seine allgemeingültigen Werte (zu der auch die Menschenrechte gehören) hält, für immer ins Gefängnis zu stecken?
Das wäre ein starkes Symbol gewesen, das als Nachtrag zu den friedlichen Volksbegehren und Umstürzen der letzten Zeit in islamischen Ländern, bei denen die Extremisten und Terroristen, die sich vorgeblich dasselbe (oder zumindest ähnliches) auf die Fahnen schrieben und schreiben, keine Rolle spielten, al-Qaida und Co. ideologisch und propagandistisch weit mehr zugesetzt hätte als die Beschenkung mit einer neuem wirkmächtigen Märtyrer-Figur. Einer, die nun vielleicht gar noch mehr Unheil anrichten kann als sie es zuletzt vermochte.
Dabei geht gar nicht mal darum, ob jetzt Vergeltungsschläge drohen, jemand nun leichter radikalisiert wird. Bin Laden ist tot, sei’s drum, „who cares?“ wie laut Schirrmacher Thomas Mann bei Botschaft von Adolf Hitlers Tod bedeutsam lakonisch achselgezuckt haben soll. Aber genau darum geht es eben nun, denn nicht nur ist es tatsächlich schon ein bisschen peinlich, zu feiern, dass es zehn Jahre (!) gebraucht hat, bis die hochtechnisierte, mächtigste Weltmacht ever samt ihren Verbündeten einen bärtigen Radikalen drangekriegt hat – immerhin fast pünktlich zum 9/11-„Jubiläum“, hätte man nicht nur ein paar Monate warten können, der symbolischen Breitenwirkung zuliebe?
Nein, wer jetzt über einen toten Menschen tanzt und feiert, der wertet ihn auf, vor allem: sich selbst gegenüber. Es ist etwas anderes, als Bin Laden nach und wegen den Anschlägen des 11. September zum übergroßen Ungeheuer zu stilisieren: Es macht, so Schirrmacher zu Recht, den Kriminellen zu das, was er sich erträumt hat: „den gefallenen Engel, den moralischen Antipoden, den Einzelnen gegen die Welt.“ Und nicht weil der „amerikanische Erfolgsmythos“ vom Erlegen des Erzwidersacher einen „Mythos Osama Bin Laden“ in sich birgt, wäre es angemessen, sich etwas weniger zu freuen oder zumindest ein bisschen mehr Gleichmut aufzubringen, sondern weil angesichts auch dieser Banalität des Bösen samt falscher photogeshoppter Trophäenleichenbilder wir uns selbst etwas Besseres wert sein sollten.
Bernd Zywietz