Dan Thy Nguyen, deutsch-asiatischer Theaterschaffender und Kind von vietnamesischen “Boat People” kommentiert die momentane Flüchtlingsdebatte in Deutschland.
Weltweite Krisen und Flüchtlingsströme.
Der Beginn des 21. Jahrhunderts scheint weltweit von Krisen und Kriegen durchzogen zu sein. Die Auswirkungen des sogenannten arabischen Frühlings, der IS, die globale Erwärmung, die europäische Finanzkrise – das sind nur einige Beispiele unserer jüngsten Geschichte, welche Flüchtlingsmigrationsströme auf der ganzen Welt ausgelöst haben. Während die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland täglich neu entflammt, suchen Tausende von Menschen aus verschiedensten Ländern eine Möglichkeit in der Bundesrepublik eine dauerhafte Zuflucht zu finden.
Vietnamesische Flüchtlinge (Boat People aus dem Jahr 1979) – Foto: © Gemeinfrei
Dabei scheint der öffentliche Diskurs über Flüchtlinge sowohl politisch, als auch zivilgesellschaftlich zwischen Akzeptanz und Hasspropaganda massiv hin und her zu schwanken.
Während die einen über eine breite Aufnahme von Flüchtlingen in der Bundesrepublik sprechen, sind, so die Amadeu Antonio Stiftung, nahezu tägliche rassistisch motivierte Kundgebungen und Attacken gegen Flüchtlinge und Flüchtlingsheime zur erschreckenden Normalität geworden.
Schaut man sowohl in die Presseberichte, als auch in die Socialmedia-Foren, so schocken einen zusätzlich das nichtvorhandene Wissen über die vielschichtigen Ursachen von Flucht und Migration. Über die Ursachen ihrer Lebensumstände, über Organisationsformen etc, herrscht “gefährliches Halbwissen”, welches sich in Kombination mit steigender sozialer Ungerechtigkeit in der Bundesrepublik zu einer explosiven Kombination vermischt.
Können wir noch sicher leben in Deutschland?
Eine Frage, die sich Migranten vermehrt stellen.
Wir stehen heutzutage merkwürdigen und gefährlichen Phänomenen gegenüber: Neonazis, Rechtsextreme und normale Bürger marschieren unter dem Label von Bürgerbewegungen zusammen und gemeinsam auf Demonstrationen. Höhepunkte eines massiven Erstarken der rechten Szene waren natürlich auch die Hogesa-Demo in Köln und Hannover, welche zumindest in Köln zu schweren Ausschreitungen geführt hat. Nimmt man den massiven Anstieg von Anschlägen gegen Moscheen in Deutschland, die erschreckenden Wahlerfolge von Rechtspopulisten in ganz Europa und die Farce um die NSU-Morde (wo bis heute ungeklärt ist, wie Menschen mit Migrationshintergrund ungestraft jahrelang ermordet werden konnten) hinzu, dann stellt sich natürlich die Frage für uns Menschen mit Migrationshintergrund, wie lange es in Deutschland noch möglich ist sicher zu leben. Dies kann in den Ohren vieler als paranoid gelten – jedoch ist diese Frage, meiner Meinung nach, legitim. Wenn es nahezu täglich Kundgebungen und Attacken gegen Flüchtlinge gibt, mehrmals wöchentlich Angriffe gegen Moscheen und Muslime, Ausschreitungen aus dem rechten Spektrum regelmäßig sich wiederholen: Wann, so frage ich mich, werden sich die Ausschreitungen von Rechten in Progrome verwandeln? Dass Progrome in der Bundesrepublik möglich sind, beweisen die frühen Neunziger im wiedervereinigten Deutschland. Und vergessen wir eins nicht: Migranten mit Pass oder ohne – gibt es letztendlich für das rechte Spektrum da einen Unterschied?
Die Debatte muss bei den Vernünftigen und Gemäßigten gehör finden!
Die Flüchtlingsdebatte muss, damit der Frieden in unserer Gesellschaft erhalten bleibt, verantwortungsvoll und gesamtgesellschaftlich debattiert werden. Sie darf nicht den Rechtesextremen unserer Gesellschaft überlassen bleiben und für Aufmärsche instrumentalisiert werden. Die Gemäßigten und die Vernünftigen brauchen ein starkes Gehör für diese Debatte. Wir müssen über die Gestaltung und die Zukunft unseres Landes endlich gesamtgesellschaftlich sprechen. Zusätzlich müssen wir die steigende Ungerechtigkeit in diesem Land entgegengehen. Soziale Missstände und ein massives Erstarken der rechten Szene – das war nie eine gute Kombination. Wir dürfen nicht warten bis unsere Situation verantwortungslos eskaliert und aus Ausschreitungen Progrome werden.
Dan Thy (1. von Links) zu Besuch beim Bundespräsidenten- Foto: © Dan Thy Nguyen
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Quellen – weiterführende Links
Dan Thy Nguyen ist freier Theaterschaffender, Schriftsteller und Sänger und lebt in Hamburg.
Homepage: www.danthy.net
Kurzvita: Nach seine Ausbildung zum Schauspieler an der Celan-Theaterschule, arbeitete an diversen Produktionen am Staatstheater Karlsruhe, Stadttheater Düren, Theater TAS, dem „letzten Kleinod“ , Mousonturm Frankfurt und auf Kampnagel Hamburg und veranstaltete mit der Company Hamburg und dem PEN-Club Deutschlands diverse Lesungen und Performances. 2010 veröffentlichte er sein Buch „Dezember. Matrose“ und war Mitbegründer von Schaufenstheater und platform84. 2012 erhielt er das Förderstipendium der Nachwuchsplattform „Debuntates Ballroom“ und produzierte sein dokumentarisches Theaterstück „Le Chantier“ im Museum für Völkerkunde in Hamburg, welches, unter anderem, auf dem Festival „150% Made in Hamburg“, dem Bundesfachkongress Interkultur in der Freien Akademie der Künste und auf dem Deutschen Entwicklungstag in Hamburg präsentiert werden konnte.
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Foto: Rettung vietnamesischer Boatpeople durch ein Schiff der US-Marine (1979) © Gemeinfrei, Department of Defense. Department of the Navy. Naval Photographic Center – National Archives/ ARC Identifier 558537 / Local Identifier 428-N-1175389, South China Sea….A Vietnamese Refugee with his belongings secured in between his teeth, climbs a cargo net to the deck of the combat store ship USS White Plains, AFS-4. The ship is picking up twenty-nine refugees from a 35 Foot wooden Boat., 07/30/1979