Zur Ernennung von Verena Bentele zur Bundesbehindertenbeauftragten

Die große Koalition sitzt im Sattel, der Jahreswechsel ist geschafft, nun kommt die Alltagsarbeit. Und es kommt eine neue Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Sie heißt Verena Bentele und ist die erste selbst betroffene auf diesem Posten.

Vor 15 Jahren haben Franz-Josef Hanke und ich mit einer Unterschriftenaktion und einem offenen Brief an das Kanzleramt die Ernennung eines oder einer selbst Betroffenen Behindertenbeauftragten der Bundesregierung gefordert. Damals steckte das Campagnenwesen im Internet noch in den Kinderschuhen, und doch haben wir die Unterschriften teilweise über das world wide web gesammelt. Mehrere hundert Menschen schlossen sich unserem Appell an, als die großen Verbände längst die Ernennung des Bundestagsabgeordneten Karl Hermann Haack akzeptiert hatten, der selbst nicht behindert war. Insofern haben wir heute, 15 Jahre später, unser damaliges Ziel erreicht. Mit der blinden Weltklasse-Biathletin Verena Bentele übernimmt nun ein weithin bekantes Gesicht des Behindertensports die Aufgabe, die Interessen der Menschen mit Behinderung gegenüber der Politik zu vertreten.

Verena Bentele ist eine Frau, die vor kaum einem Abenteuer zurückschreckt, und die auch schon ein paar Erfahrungen auf politischem Gebiet gesammelt hat. 2012 und 2013 war sie Expertin im Wahlkampfteam des bayerischen SPD-Chefs Christian Ude, und schon zwei mal hat sie an Bundesversammlungen teilgenommen. Ihre sportlichen Erfolge sind ebenso bewundernswert wie ihr vielseitiges Engagement für die Behindertenhilfe und -Selbsthilfe. Zu ihr kann man aufschauen, sie hat aus eigenem Willen heraus große Anstrengungen unternommen und große Leistungen erbracht. Eindrucksvoll zeigt die 31jährige vielfache Paralympic-Siegerin, was ein Mensch mit einer Behinderung erreichen kann, wenn er nur will und sich anstrengt. Kein Zweifel: Verena Bentele repräsentiert das wachsende Selbstbewusstsein behinderter Menschen, ihre Leistungsbereitschaft und ihr vielseitiges Können.

Doch ist meine Freude über ihre Ernennung nicht ungetrübt. Und das liegt teilweise genau an diesen großartigen Leistungen, diesem Selbstbewusstsein und an dem berechtigten Stolz über ihre Erfolge. Verena Bentele sagte vor kurzem sinngemäß, ihre Behinderung habe sie noch nie daran gehindert, zu tun, was sie wolle. Das mag auf sie persönlich zutreffen, aber nun ist sie die Beauftragte für die Belange behinderter Menschen, und sie muss deutlich machen, dass ihr eigener Werdegang nicht typisch für Menschen mit Behinderung ist. Ihre Aufgabe wird es sein, sich bei staatlichen Stellen um bessere Rahmenbedingungen für die behinderten Menschen zu kümmern, die mehr Assistenz und mehr Hilfsmittel brauchen als sie selbst. Von ihr wird ein Drahtseilakt verlangt werden: Einerseits soll sie zeigen, und tut das auch durch ihre eigene Person, wozu behinderte Menschen in der Lage sind, andererseits muss sie aber auch vermitteln, dass das Spektrum von Fähigkeiten und Möglichkeiten, von Selbstbewusstsein und
Durchsetzungsvermögen bei Menschen mit Behinderung ebenso groß ist wie bei Menschen ohne Behinderung. Das mag eine Binsenweisheit sein, aber gerade Entscheidungsträger neigen dazu, sich ihr Bild anhand der Vorzeigepersonen einer Gruppe zu machen. Oder vereinfacht gesagt: An Verena Bentele können sie ihre Meinung bestätigen, dass die Inklusion in Deutschland ja bereits an ihrem Ziel angelangt ist, oder dass es nicht so vieler besonderer Hilfen für Menschen mit Behinderung bedarf, wie die Interessensverbände immer wieder fordern.

Der zweite Punkt, den ich mit ein wenig Sorge betrachte, hat mit den Einflussmöglichkeiten der Behindertenbeauftragten zu tun. Jahrelang haben wir uns dagegen gewehrt, dass der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen unbedingt dem Bundestag angehören muss. So war es nämlich in den letzten 33 Jahren. Und doch konnte so manche Änderung zu Gunsten von Menschen mit Behinderung sicher auch dadurch erreicht werden, dass der Behindertenbeauftragte wusste, auf welche Weise er seine Fraktion von einem Gesetz überzeugen konnte. Die Kenntnis interner Machtstrukturen in der eigenen Fraktion war da bestimmt ebenso hilfreich wie die enge Kooperation mit den behindertenpolitischen Sprechern der anderen Bundestagsfraktionen. Das abendliche Bier mit dem Fraktionsgeschäftsführer oder dem Staatssekretär, mit dem man vor 20 Jahren gemeinsam ins Parlament gekommen ist, hat bestimmt so manches Wunder bewirkt. Diese Form der persönlichen Einflussnahme ist mit der politischen Quereinsteigerin Verena Bentele vermutlich geringer geworden. Zwar ist sie in ihren öffentlichen Äußerungen und ihrer Möglichkeit zur öffentlichen Kritik wohl etwas freier als ihre Amtsvorgänger, weil sie sich keiner Fraktionsdisziplin beugen muss und sich ganz auf ihr Amt und ihre Aufgabe konzentrieren kann, aber die Möglichkeit der vertraulichen, persönlichen Einflussnahme dürfte geringer geworden sein.

Und schlussendlich sollte man auch den bisherigen Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe nicht vergessen. Seit mindestens 20 Jahren setzt er sich für die Belange behinderter Menschen unermüdlich ein, stets mit großer Sachkenntnis und unbestrittenem Engagement. Seine jahrelange Arbeit wurde 2009 durch seine Ernennung zum Behindertenbeauftragten gekrönt und honoriert. Ich war damals, Anfang 2010, der erste, der ihn interviewte, und er hat mir gesagt, dass dieses Amt sein Traumjob war. Nach nur 4 Jahren muss er diesen Traumjob wieder verlassen. Anfangs war er damals gar nicht Bundestagsabgeordneter und hat das Amt des Behindertenbeauftragten praktisch als Ehrenamt ausgeübt. So wichtig war ihm diese Aufgabe. Es ist schade, dass Hüppe seinen Posten wegen des Parteienproporz aufgeben muss, denn die SPD hat in der großen Koalition das Recht, den Behindertenbeauftragten vorzuschlagen, der rechtlich dem Arbeitsministerium angegliedert ist. Dem scheidenden Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe gebührt jedenfalls der Dank der Behindertenbewegung für sein großes Engagement.

Hoffen wir, dass Verena Bentele sich schnell in ihre neue Aufgabe einarbeitet und diese mit derselben Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit ausübt, mit der sie ihre sportlichen Erfolge errungen hat. Mit Sicherheit bringt sie frischen Wind, und die Behindertenbewegung kann ebenso ein Aufrütteln vertragen, wie die große Politik, damit Inklusion nicht nur ein Schlagwort bleibt, sondern zu gelebter Wirklichkeit wird.

Viel Glück und Erfolg für Verena Bentele.

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Jens Bertrams Jens Bertrams

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