Am 4. Oktober ist Welttierschutztag. Dieser geht zurück auf den Todestag von Franz von Assisi, den Begründer des Ordens der Franziskaner und Schutzpatron der Tiere. Anders als viele seiner Zeitgenossen sah Franziskus in den Tieren, die um ihn herum lebten, keinen Rohstoff, den man nach Belieben ausbeuten konnte, sondern gleichwertige Geschöpfe Gottes, als Geschwister der Menschen, nicht als ihr Eigentum oder ihre Sklaven. Laut der Legende soll er ihre Gesellschaft derjenigen anderer Menschen vorgezogen und als Einsiedler viele Stunden im Gespräch mit ihnen verbracht haben. Ob die Tiere geantwortet haben, mag jeder für sich selbst beantworten. Sicher ist jedenfalls, dass die Faszination und das Mitgefühl für ihre Mitgeschöpfe die Menschen seitdem immer begleitet hat.
Auf den Spuren des Tierflüsterers Franziskus wandelte z.B. die US-amerikanische Zoologin Dian Fossey, die in den 1970er und 80er Jahren das Verhalten von Berggorillas erforschte. Durch ihre einfühlsamen und respektvollen Methoden fassten die Tiere so starkes Vertrauen in sie, dass sie mit ihr kommunizierten, Berührungen zuließen und sogar Babygorillas in ihrem Schoß schlafen durften. Dadurch wurden vollkommen neue Einblicke in ihr Verhalten möglich. Fossey kämpfte – mit teilweise umstrittenen Methoden – gegen Wilderer und die Tourismusbranche, die sie als größte Gefahr für die Tiere erkannte. 1985 wurde sie in ihrer Hütte in Ruanda tot aufgefunden, der Mord ist bis heute ungeklärt.
Nicht weniger vehement setzte sich Astrid Lindgren für den Tierschutz ein. Vielen ist sie durch ihre Bücher, manchen auch durch ihr Engagement für Kinderrechte bekannt. Sie erreichte u.a., dass Gewalt an Kindern in der Erziehung 1979 zur Straftat erklärt wurde. Zu ihrem 80. Geburtstag im Jahr 1987 verabschiedete der damalige Premierminister Ingvar Carlsson das „Lex Lindgren“, das bis heute schärfste Tierschutzgesetz weltweit. Demnach haben Kühe ein Recht auf eine Wiese, Schweine das Recht auf frisches Stroh. Tiere dürfen nicht verstümmelt werden, z.B. indem ihnen Schwänze, Flügel oder Schnäbel abgeschnitten werden – und das in den allermeisten Ländern ohne jegliche Betäubung! In Schweden müssen demgegenüber alle Tiere sowohl vor notwendigen chirurgischen Eingriffen als auch vor der Schlachtung betäubt werden. Transportzeiten dürfen 8 Stunden nicht überschreiten und Schlachthöfe werden scharf kontrolliert. Hormonelle Zufütterung an Mastvieh ist eingeschränkt und Schweden hat den niedrigsten Verbrauch an Antibiotika in der ganzen EU. Eine Massentierhaltung wie in Deutschland gibt es in Schweden nicht und nur 1 % der Lebensmittel aus tierischen Erzeugnissen wird weggeworfen. In Deutschland sind es 61 %! Astrid Lindgren selbst ging das Gesetz noch nicht weit genug: „Ich bin keine Vegetarierin, aber echte Menschlichkeit bedeutet auch, andere Lebewesen mit Respekt zu behandeln“. Sie kämpfte bis an ihr Lebensende für eine Tierhaltung, die ohne unnötiges Leiden auskommt.
Direkt auf Franz von Assisi berief sich Charlotte Probst, die erst im vergangenen Jahr verstorben ist. Die in der Steiermark ansässige Volksschullehrerin war davon überzeugt, dass die Achtung der Tiere und Empathie für ihre Bedürfnisse schon bei den Kleinsten eingeübt werden müsse und forderte daher vehement: „Tierschutz gehört in den Unterricht!“. Sie schrieb ein grundlegendes Buch über die Pädagogik des Tierschutzes, gründete den Verein der „Tierbefreier“ und die wissenschaftliche Akademie für Tier-Mensch-Beziehungen. Wortgewaltig trat sie gegen die Jagd, die Pelzindustrie, Tierversuche und die Massentierhaltung auf und setzte sich für eine vegetarische, später auch vegane Lebensweise ein, lange bevor dies gesellschaftlich akzeptiert war. Ihr ist es vor allem zu verdanken, dass Tiere im österreichischen Recht – ganz im Sinne des heiligen Franziskus – seit gut 30 Jahren nicht mehr als „Sache“, sondern als „Mitgeschöpf“ bezeichnet werden.
Deutlich provokativer tritt Ingrid Newkirk auf. Die britisch-amerikanische Aktivistin ist Mitbegründerin und Präsidentin der internationalen Tierrechtsorganisation „People for the Ethical Treatment of Animals“ (PETA). In den 1970er Jahren erlebte sie als Hilfssheriff in Maryland und Columbia, was Menschen auch 800 jahre nach Franz von Assisi den Tieren immer noch anzutun imstande sind. Das grauenvolle Bild, das sich ihr bot, prägte ihre Haltung zum Tierschutz, noch mehr aber ihre Haltung zum Menschen als Quelle von Tierleid. Mit der Arbeit von PETA konnte sie dann einige Erfolge gegen Massentierhaltung, Tierversuche und andere Tierquälereien erreichen. Dabei scheut sie sich nicht, ihren Mitmenschen den Spiegel vorzuhalten und sie, wo immer es geht, mit der grauenvollen Realitätin Schlachthöfen, Tierversuchslaboren oder Tiertransporten zu konfrontieren. Insbesondere die Vorstellung, der Mensch hätte aus welchem Grund auch immer das Recht, Tiere zu benutzen, und sein etwas Besseres als sie, trat sie entschieden entgegen: „Es gibt keine rationale Grundlage für die Behauptung, Menschen hätten besondere Rechte. Eine Ratte ist ein Schwein ist ein Hund ist ein Junge. Sie sind alle Tiere.“ Kritisiert wird sie allerdings für ihre positive Haltung zur gewaltbereiten „Animal Liberation Front“, die u.a. Anschläge auf Laboratorien und Tierfarmen verübt.
Die vier Frauen, die Sie in den Absätzen kennengelernt haben, könnten unterschiedlicher wohl kaum sein. Doch sie alle eint ein gemeinsamer Grundgedanke: Dass kein Unterschied es rechtfertigt, die eigene Empathie an der Garderobe abzugeben, Lebewesen die Würde zu nehmen, sie ihrer Freiheit, ihrer Gesundheit oder ihres Lebens zu berauben, um sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen. Diese grundlegende Erkenntnis gilt natürlich nicht nur für den Umgang mit unseren Geschwistern, um es mit Franz von Assisi zu sagen, sondern auch für den Umgang unterschiedlicher Menschen miteinander. Ob mein Gegenüber einen anderen Geschlecht angehört, das selbe Geschlecht liebt, eine andere Sprache spricht, einen anderen Pass besitzt, anders betet oder sich anders kleidet, ob es spricht, miaut oder grunzt, ich habe ein lebendes, atmendes, fühlendes Geschöpf vor mir, das nichts grundlegend Anderes will als ich: In Freiheit und Würde leben, wahr- und ernstgenommen werden!
Hanna Bludau, ehrenamtliche Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Hardegsen
Artikel erstmals veröffentlicht im Hardegser Stadtgeflüster 10/2020