Zum Tage der deutschen Einheit – in stiller Heimatliebe

Meine Generation – Jahrgang 1970 – ist in (West-)Deutschland in einer Zeit groß geworden, da alles Nationale den Generalverdacht des Reaktionären in sich trug. Selbst bei der ‚Studienstiftung des deutschen Volkes‘ erkundigte ich mich erst einmal, ob das nichts Verwerfliches sei. So deutsch und so volksmäßig, wie sich das anhörte.

Wir waren wohl die erste (und letzte) Nachkriegsgeneration, die die DDR hinnahmen, oder hingenommen hätten. Nicht das System, aber das Land. Wir hatten in der Schule gelernt, dass bereits 1848 die groß- und kleindeutsche Lösung diskutiert wurde. Und mit der kleindeutschen Variante die Preußen drinnen, die Österreicher draußen waren. Dass 1949, aus ganz anderen Gründen, eine weitere Kleinklein-Lösung notwendig wurde, so what! Ich möchte jetzt nicht polemisieren, aber der Blick im Jahre 2017 auf zweigeteilte Wahlergebnisse….

Als es dann 1989 ausgehend von Leipzig hieß, „Wir sind das Volk“, jubelten wir Schüler im Westen den demokratischen Nachbarn im Osten zu. Als dieser Slogan sich zu „Wir sind ein Volk“ wandelte, wurde mir bang. Das ist nun schon lange her. Aber damals kamen mir diese Deutschlandfahnen irgendwie gekauft und ökonomisch motiviert vor. „Entweder die D-Mark kommt zu uns, oder wir kommen zur D-Mark“ war ein anderer, um Längen ehrlicherer Spruch dieser Zeit.

Dann kam 2006, die Weltmeisterschaft in Deutschland. Und eine neue Generation schwang unverdrossen die Fahnen. Aus Spaß … an der Freude. Auch wenn das Sommermärchen dann Jahre später korruptionsgetränkte Rostflecken bekam, es war ein Sommermärchen.

Tja, und dann kamen diese Bundestagswahlen 2017, wo die einen nun unverdrossen sagen, wir sind die 87 Prozent. Und die anderen 13 Prozent wollen mit Nationalem wieder die Ernte einfahren: Die Fremden sind böse. Die Fremden sind vor allem schuld, so ziemlich an allem.
Die 13 Prozent wollen sich das Land zurückholen. Und bevor die Sommermärchenfreunde nun wieder alles Deutschlandfreundliche den jagenden Hassdenkern überlassen, tut es (mir) gut, diesen alten Text von Tucholsky aus der Erinnerung hervorzukramen. In seinem Buch „Deutschland, Deutschland über alles“ ist die für mich stärkste Passage am Ende:

„Es ist ja nicht wahr, dass jene, die sich ›national‹ nennen und nichts sind als bürgerlich-militaristisch, dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben. Weder der Regierungsvertreter im Gehrock, noch der Oberstudienrat, noch die Herren und Damen des Stahlhelms allein sind Deutschland. Wir sind auch noch da.

Sie reißen den Mund auf und rufen: »Im Namen Deutschlands … !« Sie rufen: »Wir lieben dieses Land, nur wir lieben es.« Es ist nicht wahr.

Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen – wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemand – nicht einmal von jenen, auf deren Namen das Land grundbuchlich eingetragen ist. Unser ist es.

Und so widerwärtig mir jene sind, die – umgekehrte Nationalisten – nun überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Lande lassen, kein gutes Haar, keinen Wald, keinen Himmel, keine Welle – so scharf verwahren wir uns dagegen, nun etwa ins Vaterländische umzufallen. Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land. Und so wie die nationalen Verbände über die Wege trommeln – mit dem gleichen Recht, mit genau demselben Recht nehmen wir, wir, die wir hier geboren sind, wir, die wir besser deutsch schreiben und sprechen als die Mehrzahl der nationalen Esel – mit genau demselben Recht nehmen wir Fluß und Wald in Beschlag, Strand und Haus, Lichtung und Wiese: es ist unser Land. Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen – weil wir es lieben. Man hat uns zu berücksichtigen, wenn man von Deutschland spricht, uns: Kommunisten, junge Sozialisten, Pazifisten, Freiheitliebende aller Grade; man hat uns mitzudenken, wenn ›Deutschland‹ gedacht wird … wie einfach, so zu tun, als bestehe Deutschland nur aus den nationalen Verbänden.

Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir.

Und in allen Gegensätzen steht – unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leierkasten, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert – die stille Liebe zu unserer Heimat.

Kurt Tucholsky 1929, eine längeren Ausschnitt finden Sie hier

Und wer sich hier bis zum Ende durchgelesen hat und die inhaltliche Frage stellt, was dies auf einem Papablog zu suchen hat, dem antworte ich gleichlautend wie schon bei meinem ersten Beitrag nach der Bundestagswahl: Ich bin es mir und meinen Kindern schuldig.

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