Für uns ist Zukunft vorne
Für uns ist es ganz klar, die Zeit ist ein Strahl, hinter uns ist die Vergangenheit und vor uns die Zukunft. Und so marschieren wir, das Gewesene hinter uns lassend, hinein in das Kommende. Unsere Worte scheinen das zu bestätigen, denn „Zukunft“ ist ja das was auf einen zu-kommt.
Nur: ursprünglich wurde das Wort Zukunft sehr eingeschränkt gebraucht: das „Kommende“ bezog sich auf die Wiederkunft des Gottessohns zum jüngsten Gericht. Genau wie heute mit dem lateinischen Advent = zu-kommen, die Ankunft des Gottessohns gemeint ist.
Die Römer waren da pragmatischer. Ihr Wort „futurus“ ist ursprünglich eine Form des Verbs „esse“ = sein. Futurus heisst damit einfach „sein werdend“.
Bei den deutschsprachigen kommt also die Zukunft auf einen zu und bei den romanischsprachigen (spanisch, französisch, englisch) entsteht sie einfach.
Für die Aymara ist Zukunft hinten
Ganz anders ist es bei den Aymara und Quechua Indianern in den Anden. Das Wort Zukunft wird mit qhipa übersetzt. Aber schon die ersten Jesuiten haben gestaunt, dass dieses Wort auch „dahinter“ bedeutet. Die Erklärung ist folgende:
In der Vorstellung jener Kulturen ist die Zukunft hinter einen und die Vergangenheit vor einem. Man steht also umgekehrt. Eigentlich auch logisch: das Vergangene ist bekannt und liegt klar sichtbar: vor einem. Daher heisst die Vergangenheit auch „davor“ (in jenen Sprachen „nawpa“).
In die Zukunft geht man bei den dortigen Indianern also rückwärts, man sieht auch nichts davon und daher ist sie hinter einem.
Ein bisschen spiegelt sich das noch in unserer Wendung „Wenn du das tust, wirst du’s hinterher bereuen“ – Das „hinterher“ ist genau genommen noch ferner in der Zukunft!
Für den Homo Officius ist die Zukunft rechts
Für den Büromenschen bei uns ist es nochmals anders. Durch den Gebrauch der Agenda (vor allem so ein Zeitplaner an der Wand) hat man sich an die Vorstellung gewöhnt, dass die Vergangenheit links ist und die Zukunft rechts. In Leserichtung. Und alle Tätigkeiten werden auf die Art in den Kalender gestreuselt. Nichts mehr mit vorne oder hinten.
Im Zyklischen Denken kommt alles wieder
Und last but not least – in vielen Traditionen findet man das zyklische Denken und Weltbild. Da kehrt alles wieder und was Zukunft ist, ist immer zugleich und selbstverständlich auch Vergangenheit: jeder Sommer ist sowohl zukünftig wie auch vergangen.
Ähnliche Themen auf diesem Blog:
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- Reflektion über die Zeit (+mehr noch von den Aymaras): Ist Zeit knapp?
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Fernes Zauberland / 45cm x 30cm / Collage mit Objekten, Acryl auf MDF / 2012, N°12-032 , Das Bild kann man kaufen, es kostet 350.- CHF