Zugucken wird Pflicht

Von Ppq @ppqblog

Wenigstens die Form muss gewahrt werden, auch wenn es keinen Unterschied macht. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einer vielbeachteten Entscheidung zum permanenten Euro-Rettungsschirm ESM entschieden. Danach hätte die Bundesregierung den Bundestag über die beabsichtigten Maßnahmen informieren müssen. Gleichzeitig sei die Regierung immer verpflichtet, dem Parlament mitzuteilen, was es alles nicht zu entscheiden habe. Bei den Verhandlungen über den "Euro-Plus-Pakt" zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik mit allen anderen Ländern der Euro-Zone und weit darüber hinaus habe die Regierung Informationsrechte des Parlaments verletzt, entschied das Verfassungsgericht (Az. 2 BvE 4/11) und bescheinigte dem Kabinett damit ein weiteres Mal einen aktiven Bruch der Verfassung.
Wenigstens Zugucken muss dem Parlament erlaubt sein. Doch wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen verboten werden muss die Bundesregierung allerdings wahrscheinlich trotzdem nicht. Die Entscheidung habe keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Beschlüsse zur Euro-Rettung. Auch wenn das Parlament nicht wusste, was los ist, sei das zu vernachlässigen, so das Urteil, denn die Bundesregierung habe das alleinige Entscheidungsrecht darüber, wem Deutschland mit wieviel Trilliarden hilft. Sie müsse den Bundestag künftig jedoch "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" über völkerrechtliche Verträge mit Bezug zur EU informieren, damit die Abgeordneten nicht alles immer nur aus der Zeitung erführen.
Die Bundestagsfraktion der Grünen hatte in Karlsruhe geklagt, weil Parlamentarier meinten, sie hätten ein Recht darauf, bei der Planung des dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM mitzureden. Dies ist nicht so, widersprach das Verfassungsgericht. Der ESM-Vertrag sei eine Angelegenheit der EU, keine der gewählten deutschen Abgeordneten. Diesen müsse nur Bescheid gegeben werden, wenn neue Verträge der Europäischen Union und dem Europäischen Gerichtshof neue Zuständigkeiten zur Überwachung des Finanzierungsprogramms notleidender Euro-Staaten zuweisen.
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle lobte die Entscheidung als "weiteren wichtigen Baustein zur Stärkung parlamentarischer Verantwortung im Rahmen der europäischen Integration". Der Bundestag könne am ESM zwar nach wie vor nichts verändern, auch wenn er das wolle. Aber die Unterrichtung, die nun vorgeschrieben sei, eröffne dem Parlament „eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung“ und sorge so dafür, dass „das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät." Künftig sei sichergestellt, dass das Zugucken sichergestellt ist. Damit könne niemand sagen, er habe nichts gewusst. Regierungshandeln aber bleibe weiterhin operativ möglich, denn Bundestag und Bundesrat dürfen ähnlichen Vertragswerken auch in Zukunft nur zustimmen. Änderungen daran sind ihnen nicht möglich.