“Was haben Starbucks, Facebook und Chevron gemeinsam? Richtig, sie zahlen kaum Steuern. Weder in ihren »Heimatländern« noch in denen, wo sie ansonsten Profite generieren. Das wollen die G-20-Staaten verhindern. Wenn am Wochenende im türkischen Badeort Belek nahe Antalya die vermeintlichen Entscheider der 19 »wichtigsten« Wirtschaftsmächte (plus ein paar Funktionäre aus EU-Brüssel) mit gewaltigem Tross einfliegen, dürfte das für den örtlichen Machthaber des 80-Millionen-Einwohner-Landes eine weitere willkommene Marketingaktion werden. Ob es in der Steuersache etwas bringt, ist noch nicht absehbar.
Das Thema selbst kann unterschiedlich betrachtet werden. Für die einen – also die Profiteure und deren gekaufte Meinungsbeeinflusser – ist Steuervermeidung Teil der Gewinnmaximierung. Und sie ist Ausdruck der Freiheit (Freizügigkeit) des Kapitalverkehrs. Es gilt: Was nicht ausdrücklich verboten wurde, ist erlaubt. Schließlich wird weltweit das Mantra repitiert, Investoren kurbelten die Wirtschaft an, schafften Arbeitsplätze und Wohlstand, wären also »gut«.
Für die Masse der Menschen hat die »Steueroptimierung« einen gravierenden Nachteil: Sie haben nichts davon, wenn Topmanager und »Shareholder« genannte Kapitaleigner die Extragewinne untereinander verteilen und mangels sinnvoller Möglichkeiten des Konsums reinvestieren. Dann nämlich beginnt das Spiel von vorn, das Ergebnis bleibt gleich. Steuervermeidung ist also nichts anderes als eines von zahlreichen Instrumenten, die Reiche immer reicher machen.
Wenn sich die 19 Staaten plus EU des Themas annehmen, hat das mindestens zwei Aspekte. Da sind auf der einen Seite die klammen Kassen und die hohe Verschuldung der meisten Länder. Sozialer Ausgleich (so nennen das die Bürgerlichen), staatliche Investitionen in Infrastruktur und Bildung, Militär und Überwachung sowie zunehmende gesellschaftliche Kosten für Umwelt- und Klimaschutz erfordern höhere Staatseinnahmen, die von den Lohnsteuerzahlern allein nicht aufzubringen sind. Auch die permanente Erhöhung der vor allem Geringverdiener belastenden Umsatzsteuer hat Grenzen. Ein höherer Anteil aus den Gewinnen von Multis für das Steueraufkommen scheint da als Ausweg zu locken. Bis zu einem gewissen Grade jedenfalls.
Denn da ist andererseits der Kapitalismus mit seinem Grundgesetz (vulgo: Profitsteigerung oder Untergang). In diesem Kontext – der keine andere Grundlage braucht als die Dominanz privaten Eigentums bei der gesellschaftlichen Produktion – gilt dagegen die Perfektionierung der »Umverteilungsmaschine« von unten nach oben als zentrale Staatsaufgabe. Das Problem ist nicht neu. Bereits in den 70er und 80er Jahren wurde heftig über Profittransfers der damals noch weniger zahlreichen multinationalen Konzerne, zumeist aus der Ölbranche, gestritten. Getan wurde nichts. In den USA und Großbritannien sind seitdem riesige Anwaltskonzerne entstanden, deren wichtigstes Geschäft es ist, Schlupflöcher in den staatlichen Gesetzen aufzuspüren und zwecks Steuervermeidung zu vermarkten. Falls sie nicht selbst die Gesetzentwürfe als »externe Dienstleister« schreiben.
Am Dienstag hat die Hilfsorganisation Oxfam nochmals nachdrücklich auf die Problematik aufmerksam gemacht. Demnach verschieben international tätige Unternehmen jährlich riesige Summen zwischen Ländern, wie eine Untersuchung unabhängiger Experten ergab. Allein US-Konzerne hätten demnach 2012 zwischen 500 und 700 Milliarden Dollar an Gewinnen in andere Staaten transferiert, um dort weniger oder gar keine Steuern zu zahlen, hieß es in einem Bericht von Oxfam. Damit hätten die Multis ein Viertel ihrer Profite von den Ländern, in denen sie erwirtschaftet wurden und wo sie hätten versteuert werden müssen, abgezogen. Zu den großen Verlierern dieses Verschiebebahnhofs gehört der Fiskus der mächtigen Industrieländer selbst.
Die G 20 wollen nun beim Gipfeltreffen eine Initiative beschließen, um weltweit Steuerschlupflöcher für derartige Unternehmen zu schließen. Konkrete Maßnahmen im Rahmen eines Aktionsplans gegen steuersparende Gewinnverschiebungen (unter dem Namen »Base Erosion and Profit Shifting« (BEPS) waren von der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erarbeitet worden. Oxfam nennt die Initiative »einen Meilenstein«. Dennoch seien die Planungen nicht ausreichend. Die Staatengruppe müsse mehr dagegen tun. Steuerflucht und Steuervermeidung seien wesentliche Gründe dafür, dass die wirtschaftliche Ungleichheit in der Welt extreme Ausmaße erreicht habe.
Als die großen Profiteure bei der Gewinnverlagerung von Konzernen nannten Oxfam und die Experten der Gruppe »Tax Justice Network« die Niederlande, Luxemburg, Irland, Bermuda und die Schweiz. Diese Staaten böten den Konzernen besonders vorteilhafte steuerliche Bedingungen. Auf der Verliererliste stehen Länder wie die USA, Deutschland, Kanada, China und Brasilien.”