Zuerst die Hütte, dann den Büffel und zum Schluss die Frau

Von Lukas Röthlisberger @Adekagabwa

Da stand er, der dunkelhäutige Bursche, er mochte vielleicht achtzehn Jahre alt sein. Er lächelte und ich wunderte mich über die unglaublich leuchtenden, dunklen Augen. Um die Hüfte hatte er ein beiges Lendentuch gebunden, er trug ein verwaschenes, etwas zu kleines Hemd und ein Hütchen.

“Namaskar, mein Name ist Karsing, und der Adakshi (=Dorfchef) schickt mich.” Ja genau, ich hatte den Adakshi gebeten, mir den ärmsten jungen Mann im Dorf zu schicken. Wir brauchten noch jemanden, der uns das Wasser von der Dorfquelle (etwa 30 Min entfernt)  zu unserem Haus bringt. Ich gab Karsing einen Vorschuss, und so stand er am nächsten Tag pünktlich da.

Karsing hatte keine Familie mehr im Dorf, er hatte kein Land und er war von der niedersten Kaste (Paria). Er wohnte in einer Höhle am Dorfrand. Bisher hatte er seinen Lebensunterhalt mit dem Beten von Mantras verdient – wann immer jemand krank war, wurde er gerufen, dann hockte er sich in eine Ecke und murmelte mit dem Rosenkranz in der Hand die heiligen Worte. Ich habe ihn ab und an in seiner Höhle besucht. Sein Hausrat bestand aus einer  dreizinkigen Shiva-Gabel, einem Kochtopf und einem Teller sowie einer zerfetzten Decke. Möbel hatte er nicht. Auch keine Matratze.

Jeden Tag eilte nun dieser schlanke Mann mit dem Gagri (einem Wasserkrug aus Zinn) zum Brunnen und trug ihn auf dem Kopf oder auf der Schulter zu unserem Haus zurück, wo er ihn in unser Plastikfass kippte. Dieses Fass hatte unten ein kleines Hähnchen, und so waren wir die einzigen im Dorf mit fließendem Wasser beim Haus! Allerdings wollte kein Brahmane im Dorf von unserem Wasser, denn für jemanden von einer höheren Kaste war unser Wasser unrein – ein Paria hatte es berührt!

Karsing mochte uns sehr, und einmal brachte er als kleines Präsentchen: einen riesigen Büschel Farnkraut. Wir legten das Grünzeug dankend auf den Küchentisch. Ein Projektmitarbeiter erklärte mir am Abend, dass das ein super Gemüse sei, und die Leute in Hungerzeiten diese Farnstauden kochen und essen würden.

Nun, wir bezahlten Karsing recht ordentlich, sodass er sich nach einigen Monaten bereits aus Lehm ein Haus baute, das er mit Stroh deckte. Er konnte sich auch etwas Land erwerben und bald schon stand ein Büffel vor seinem Haus. Und kurz vor wir dieses Dorf verlassen mussten (wegen den Kämpfen der maoistischen Guerilla) stellte er uns noch strahlend eine hübsche junge Frau vor, mit einem roten Sari und grossen, goldenen Nasenringen. Seine neue Lebensgefährtin.

Es vergeht auch heute noch keine Woche, in der ich nicht an Karsing denke. An seine extreme Armut und an den Stolz und die Aufrichtigkeit, die er ausstrahlte.

Karsing ist im Dorf Jhapra in Nepal zu Hause. Auch wir haben einige Jahre in diesem Ort gelebt. Hier unsere Kinder Astrid und Ariana beim zeichnen auf der Treppe zu unserem Wohn- und Schlafraum. Unser Haus hier erschien Karsing wahrlich als Palast. Auf dem Bild oben ist das Fass auf unserer Terrasse. Vor dem Essen werden die Hände gewaschen.