(Zu) selbständig

Von Beautifulvenditti

Es bringt durchaus auch Nachteile mit sich, wenn man die Kinder zur Selbständigkeit erzieht. Zum Beispiel, wenn Mama und Papa ein paar Minuten zu spät dran sind, um Luise von der Jungschar abzuholen und das Mädchen dann auf die Idee kommt, den Weg zu Fuss zurückzulegen. 4,6 Kilometer, teilweise entlang der Bahnschiene, teilweise am Waldrand, teilweise an der Hauptstrasse und das alles kurz vor der Dämmerung.

Solange es noch Wege gab, die wir absuchen konnten, blieb ich noch halbwegs ruhig. Besorgt ja, aber auch ziemlich gewiss, dass wir sie bald finden würden. Doch als alle Strecken abgefahren waren und Luise noch immer vermisst blieb, als es zu dämmern begann, als “Meiner” schliesslich die Polizei anrief und beschreiben musste, wie sie aussieht, was sie trägt, wo sie sein könnte, da brannten alle Sicherungen durch, ich konnte nur noch heulen. Und mich auf die Jugendlichen verlassen, die den Jungscharnachmittag organisiert hatten und die nun innert kürzester Zeit einen Suchtrupp auf die Beine stellten und die es auch schafften, eine zutiefst besorgte Mama halbwegs zu beruhigen und zu trösten.

Tief in mir drinnen wusste ich zwar, dass Luise sich durchzuschlagen weiss, ich wusste, dass sie weiss, was man auf gar keinen Fall tun darf, doch irgendwann spricht nicht mehr die Vernunft, sondern nur noch die nackte Angst. Gott sei Dank musste ich nicht erfahren, wie ich reagiere, wenn ein polizeilicher Suchtrupp die Gegend nach meiner Tochter absucht, denn der erlösende Anruf von Karlsson, Luise sei wohlbehalten zu Hause angekommen, setzte der Aufregung nach 90 schlimmen Minuten ein abruptes und überglückliches Ende.

Ich bin dankbar, dass Luise selbständig genug ist, einen solchen Weg unbeschadet und ohne sich zu verlaufen zurückzulegen. Noch dankbarer bin ich aber, dass sie, als ihr dämmerte, was geschehen war, einsehen konnte, wie unsinnig es gewesen war, keine drei Minuten warten zu können, bis Mama und Papa zur Stelle waren, um sie abzuholen.