Zu reich zum überleben

Der folgende Interviewtext ist lang und lohnt sich Wort für Wort. Dem Ökonomen Prof. Richard Wolff gelingt darin etwas außergewöhnliches. Er beschreibt die tieferen Ursachen und historischen Hintergründe unserer weltweiten Krise komplett wertneutral, vergleichbar einem mechanischen Prozess und zeigt dabei klar konturiert auf, weshalb der Kapitalismus nichts anderes vermag, als sich selbst zu zerstören. Ein Muss für jeden, der verstehen will, wie diese Welt funktioniert

Die historischen Wurzeln der gegenwärtigen Krise

by Richard Wolff and Tomasz Konicz.
Published on March 15, 2012

Was sind die Ursachen der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus? Verhält er sich tatsächlich so, dass einige gierige Banker die Krise ausgelöst haben, oder ist diese auf längerfristige systemische Ursachen zurückzuführen?

Zu reich zum überleben

US- Ökonom Prof. Richard Wolff

Richard Wolff: Meiner Ansicht nach sind es die längerfristigen Probleme des Kapitalismus, die die Basis der gegenwärtigen Krise bilden. Der Versuch, die gegenwärtige Krise als eine Finanzkrise oder als eine Krise der Wall Street darzustellen, ist in einer fundamentalen Weise ideologisch, weil er bestrebt ist, die Krise nur in einem Teil des kapitalistischen Systems zu lokalisieren und diese so zu begrenzen. Das ist keine harmlose und unschuldige Bezeichnung. Ich spreche hingegen von einer Krise des Kapitalismus, weil es eine Krise des gesamten Systems ist: Es ist eine Krise der Wall Street wie der Main Street (Mittelklasse), es ist im selben Ausmaß eine Krise des Finanzsektors wie der Industrie, des Exportsektors, des Arbeitsmarkts und aller Teile des kapitalistischen Systems. Lassen Sie mich nun die wichtigsten Dimensionen dieser systemischen Krise darlegen. Zuallererst muss darauf hingewiesen werden, dass in den Vereinigten Staaten in den letzten 30 Jahren die sozialen Programme und Errungenschaften demontiert wurden, die eingeführt wurden, als der Kapitalismus das letzte Mal in einer fundamentalen Systemkrise steckte – nämlich während der “Großen Depression” der 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Damals führten die Vereinigten Staaten umfassende Sozialprogramme für die Masse der Bevölkerung ein.

Zum Beispiel wurde in den 1930er Jahre in den Vereinigten Staaten das System der Social Security eingeführt: Niemals zuvor gab es in den Vereinigten Staaten ein umfassendes Rentensystem, eine systematische Hilfe für Kranke und Verletzte, Hilfsprogramme für Kinder und so weiter. Damals gab es auch erstmals Kompensationen für Arbeitslose. Niemals zuvor haben in den Vereinigten Staaten Arbeitslose, die ihre Arbeitsstelle ohne eigenes Verschulden verloren haben, regelmäßige wöchentliche Zahlungen erhalten. Die dritte Säule dieses Sozialprogramms bildete ein Beschäftigungsprogramm, das die Roosevelt-Regierung auflegte und in dessen Rahmen 12 Millionen Arbeitsstellen entstanden.

Diese drei großen Sozialprogramme wandelten in Wechselwirkung mit Steuererhöhungen für Reiche und Konzerne die Vereinigten Staaten von einer sehr ungleichen Gesellschaft zu einem der egalitärsten kapitalistischen Staaten – dies in Bezug auf die Reichtumsverteilung.

Können Sie mir die Zeitspanne nennen, in der die Vereinigten Staaten solch eine geringe soziale und einkommensmäßige Ausdifferenzierung aufwiesen? Waren es die 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts?

Richard Wolff: Ja, von den späten 40ern bis in die 60er und sogar die frühen 70er. Dies war eine Konsequenz der Programme, die bei dem Versuch eingeführt wurden, mit dem kapitalistischen Kollaps der 30er Jahre fertig zu werden. Dies hat einen relativ egalitären Wohlfahrtskapitalismus geschaffen, der von den späten 40ern bis in die frühen 70er Bestand hatte.

Dieses Programm wurde aber schon immer von einem signifikanten Teil der amerikanischen Unternehmerschaft und der reichsten amerikanischen Bürger abgelehnt und bekämpft. Ab den 70er Jahren wurde ihre Opposition hegemonial. In den 70ern begann der Abbau der Sozialprogramme aus Roosevelts New-Deal-Ära, der dann in den 80ern und 90ern fortgesetzt und abgeschlossen wurde. In der Periode von der Mitte der 70er bis 2007, als die derzeitige Krise begann – in diesen rund dreißig Jahren fand in der US-Ökonomie die Umkehrung der zuvor erreichten Angleichung der Einkommensverteilung und der Lebensverhältnisse statt. In dieser Zeit wurden die Steuern für die Reichen und Konzerne gesenkt und es fand eine umfassende Deregulierung des Kapitalismus statt.

Und nun haben wir wieder einen Kapitalismus in den Vereinigten Staaten, in dem die Abgründe zwischen Reich und Arm, die Unterschiede zwischen Profiten und Einkommen so groß sind, dass der Boden für einen abermaligen Kollaps bereitet war, wie er auch 1929 einsetzte. Der Kapitalismus in den Vereinigten Staaten kollabierte 1929 aufgrund seiner internen Widersprüche, und die von Roosevelt eingeführte Sozialpolitik wurde im ausreichenden Ausmaß revidiert, um erneut ähnliche Bedingungen und eine ähnliche Art von Krise wie 1929 zu reproduzieren.

Wenn ich nun die zentrale, der Krise zugrunde liegende Ursache knapp benennen soll, so ist sie auf ein dem Kapitalismus innewohnendes Problem zurückzuführen, das Karl Marx perfekt verstand und uns erklärte: Wenn Kapitalisten die Möglichkeit haben, ihre Lohnkosten zu reduzieren, entweder durch Lohnkürzungen, oder Entlassungen und Automatisierung der Produktion, dann hoffen sie darauf, höhere Profite zu erzielen. Aber sie vergessen, dass die verringerte Anzahl der Arbeiter mit niedrigeren Löhnen dann nicht mehr das kaufen kann, was Kapitalisten und Arbeiter zusammen produzieren. Ihr Erfolg im Absenken der Löhne wird für die Kapitalisten zum Problem beim Warenabsatz. Der Kapitalismus hat es nie vermocht, diesen fundamentalen Widerspruch zu lösen. Periodisch, wenn es zu weit in Richtung steigender Profite auf Kosten der Arbeiterlöhne geht, kollabiert das System aufgrund dieses Widerspruchs. Und gerade das haben wir jetzt.

Warum die USA zur erfolgreichsten kapitalistischen Großmacht wurden

Welche Umstände führten dazu, dass die Unternehmer und die Reichen es ausgerechnet in den 70ern Jahren vermochten, den Rückbau des amerikanischen Sozialstaates einzuleiten? Seit den 70er Jahren stagnieren ja auch die realen Löhne in den USA, was ja angesichts einer immer weiter ansteigenden Produktivität hochproblematisch ist. Helfen hierbei vielleicht Ansätze, die in dieser Periode eine Krise des Fordismus als vorherrschendem Akkumulationsregime konstatieren? Die 70er waren auch durch die Krisenperiode der Stagflation gekennzeichnet – also einer stagnierenden Wirtschaft mitsamt hoher Inflation.

Richard Wolff: Das sehe ich ein bisschen anders. Ich spreche in Anlehnung an den von Louis Althusser geprägten Begriff der Überdeterminierung von mehreren Ursachen und Entwicklungen, die zu dieser Stagnation des Lohnniveaus in den USA geführt haben. Es wird Ihren deutschen Lesern helfen, die Vereinigten Staaten besser zu verstehen, wenn sie Folgendes betrachten: Während nahezu ihrer gesamten Geschichte verzeichneten die Vereinigen Staaten ein beständiges Lohnwachstum. Von einem Jahrzehnt zum nächsten, angefangen im frühesten 19. Jahrhundert bis zu den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, in einem Zeitraum von 100 bis 150 Jahren, stiegen die realen Löhne in den USA an. Zwei Gründe sind hierfür anzuführen: Der Kapitalismus in den Vereinigten Staaten war sehr profitabel und sehr erfolgreich. Die Europäer, die hier ankamen, nahmen ein riesiges, fruchtbares Land in Besitz. Sie zerstörten die hier lebenden Menschen, die Indianer, und sie fanden sich im Besitz aller Ressourcen, die nötig sind, um einen erfolgreichen Kapitalismus aufzubauen. Hier gab es keine Geschichte des Feudalismus, die sie bremste, keine mächtige Kirche, keine Traditionen. Es gab nur ein Problem in ökonomischer Hinsicht: Es herrschte ein konstanter Arbeitskräftemangel. Die Indianer weigerten sich, für die Europäer zu arbeiten, oder sie waren tot. Die Europäer, die hierher kamen, strebten danach, Farmer oder Unternehmer zu werden, sie wollten eher nicht Arbeiter sein.

Der einzige Weg, diesen Arbeitskräftemangel zu lösen, bestand darin, Arbeitskräfte in die USA zu schaffen. Im Süden der Vereinigen Staaten wurde dieses Problem durch das Kaufen und Stehlen von Afrikanern, durch Sklaverei, gelöst. Im Norden bestand die einzige Lösung für die Kapitalisten darin, Europäer einwandern zu lassen. Und dies geschah durch das beständige Anwachsen der realen Löhne. Die irischen, polnischen, italienischen oder jüdischen Migranten wurden gerade durch dieses beständig ansteigende Lohnniveau angezogen, sodass die Vereinigten Staaten durch endlose Wellen europäischer Migration bevölkert wurden.

Das Problem für die Kapitalisten bestand aber auch darin, dass sie die Löhne weiterhin anheben mussten, nachdem die Immigranten sich an der Ostküste – und später der Westküste – niedergelassen hatten, da im Landesinnern sehr viel billiges Land zur Verfügung stand, das den Indianern weggenommen worden war. Aber der Kapitalismus hier war so erfolgreich, so profitabel, dass hier eine einzigartige Situation herrschte, bei der Kapitalisten fähig und bereit waren, den Arbeitern höhere Löhne zu zahlen, weil die Wachstumsrate ihres Kapitals noch größer war als das Lohnwachstum. Dies war eine einzigartige Konstellation, die die Vereinigten Staaten zu der erfolgreichsten kapitalistischen Großmacht aufsteigen ließ.

Lassen Sie mich nun kurz zusammenfassen, was in den 70ern stattfand. Erstens: Deutschland und Japan erholten sich vom Desaster des Zweiten Weltkriegs und sie stiegen erneut zu mächtigen Rivalen der USA auf. GM und Ford mussten sich mit Volkswagen und Toyota auseinandersetzen. Diese verstärkte Konkurrenz führte dazu, dass die Kapitalisten nicht mehr höhere Löhne zahlen konnten. Zweites setzte die Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch Computer ein. Millionen von Arbeitern wurden ab den 70er Jahren durch Computer ersetzt. Drittens merkten amerikanische Kapitalisten, dass sie Arbeitskräfte in anderen Ländern als billigen Ersatz benutzen können: in Europa, Lateinamerika und schließlich vor allem in Südostasien. In den70ern begann so der Massenexodus von Arbeitsplätzen aus den Vereinigen Staaten in die gesamte Welt. Diese beiden Phänomene – die Verlagerung von Arbeitsplätzen und die Automatisierung der Produktion – ließen die Nachfrage nach Arbeitskräften in den USA signifikant sinken.

Zugleich führten zwei wichtige Entwicklungen zu einem Anstieg des Angebots von Arbeitskräften. Zuerst ist da die fantastische feministische Emanzipationsbewegung, bei der Millionen erwachsener Frauen, die sich zuvor als Hausfrauen oder Mütter definiert hatten, aus dieser Rolle auszubrechen begannen und Zutritt zum Arbeitsleben einforderten. Millionen von Frauen betraten so ab den 70ern den Arbeitsmarkt. Zudem setzte eine erneute massive Immigrationswelle in die USA ein, diesmal aber nicht aus Europa, sondern aus Lateinamerika: aus Mexiko, Guatemala, Nicaragua, Haiti. Das waren ebenfalls Millionen von Menschen, die in die Vereinigten Staaten zogen.

In den 70ern haben wir somit eine Flut von Frauen und Migranten, die auf den Arbeitsmarkt strömen – gerade in einer Zeit, in der Computerautomatisierung der Produktion und die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland einsetzen. Die Kapitalisten waren nicht mehr mit dem Arbeitskräftemangel konfrontiert und sie mussten folglich auch nicht mehr die Löhne erhöhen. Die reellen Löhne in den Vereinigten Staaten liegen heute folglich auf dem Niveau der späten 70er Jahre! Da die Produktivität aber beständig anstieg – wegen des Computers, besserer Maschinerie und der Arbeitsverdichtung -, lieferte jede Arbeitsstunde dem Kapitalisten mehr Produkte, ohne dass dieser mehr Lohn zahlen müsste. Deshalb haben wir in den vergangenen Jahrzehnten einen beispiellosen Profitboom in den Vereinigten Staaten erlebt. Und deshalb hat sich auch der Abgrund zwischen Arm und Reich in den Vereinigten Staaten so seht ausgeweitet.

Es geht hier nicht um einzelne Regeln oder Gesetze, es geht auch nicht um den Neoliberalismus. Dies sind nur Symptome einer ihnen zugrunde liegenden fundamentalen Verschiebung in den Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit in den Vereinigten Staaten – und somit in der Welt.

Der Bruch in den 1970er Jahren und der Gang in die Verschuldung

Wir haben also ein stagnierendes Lohnniveau und eine rasch ansteigende Produktivität. Welche Rolle spielte bei dieser Konstellation der ab den 80ern rasch anschwellende Finanzsektor? Wurde hier die Kredite aufgenommen, mit dem die Lücke zwischen ansteigender Produktivität und stagnierender Nachfrage gestopft wurde?

Richard Wolff: Ja, aber der entscheidende Punkt ist: Wenn ab den 70ern Reichtum von den Lohnabhängigen immer stärker in die Hände einer kleinen obersten Schicht von Konzernen, Managern und Superreichen abfließt, dann wächst der Finanzsektor auch rasch an, um den wachsenden Bedarf an finanziellen Dienstleistungen eines relativ kleinen Teils der Bevölkerung zu decken. Hedgefonds und andere Finanzmarktakteure bieten praktisch für den Finanzsektor einen weiteren Weg, den Leuten zu dienen, die über die enormen Gewinne verfügen, die aus der genannten Konstellation stagnierender Löhne und wachsender Produktivität resultieren.

Zweitens müssen wir uns in Erinnerung rufen, dass die Masse der amerikanischen Arbeiter sich an steigende Löhne gewöhnt hatte. Darauf baute der Glaube an die Einzigartigkeit der Vereinigten Staaten als einem “von Gott auserwählten Land” auf, wo du bei harter Arbeit besser leben wirst als deine Eltern – und wo es deinen Kinder besser als dir gehen wird. Hierzu gehört auch der Glaube an den “American Dream”.

Als all das in den 70ern zu Ende ging, löste dies eine Art psychologisches Trauma innerhalb der amerikanischen Arbeiterschaft aus. Und dieses Trauma äußerte sich in einem sehr ungewöhnlichen und bizarren Verhalten, das niemals zuvor in Amerika in dem Ausmaß zutage trat: Die Ersparnisse wurden aufgezehrt und eine zunehmende Verschuldung setzte ein.

Dies brachte die Banken auf die wundervolle Idee: Durch die beständig anwachsende Schuldenlast der Lohnabhängigen konnten die Kapitalisten, die immer größere Gewinne erzielten, noch zusätzlich profitieren, indem sie ihre Gewinne als Kredite für die Arbeiterschaft reinvestierten. Die aufgrund des stagnierenden Lohnniveaus anschwellenden Unternehmensgewinne brachten so in Form der Kreditzinsen, die bei der ansteigenden Verschuldung fällig werden, weiteren Profit ein. Genau das passierte in den Vereinigten Staaten. Im gewissen Sinne stellten die 80er, die 90er und die ersten Jahre dieses Jahrhunderts eine Periode dar, in der der Kredit es der Arbeiterschaft und dem Kapital ermöglichte, vor den Konsequenzen des besagten Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit zu flüchten, nämlich, dass die Kapitalisten den Lohnabhängigen eigentlich das Geld entzogen, das die gebraucht hätten, um deren Produkte auch kaufen zu können.

Das erklärt auch, wieso die Krise von 2007 so lang andauert und so tief greift. Wir befinden uns im fünften Jahr dieses ökonomischen Abwärtssogs und es ist kein Ende in Sicht. Das liegt daran, dass die Arbeiterschaft weder die Arbeitszeiten verlängern noch mehr Schulden aufnehmen kann, sodass es keinen Weg mehr gibt, die seit den 70ern aufgestaute Krise weiter hinauszuschieben.

Wieso haben aber die Unternehmer ihre Gewinne nicht in die Industrie reinvestiert, wieso floss das Geld überwiegend in den Finanzsektor?

Richard Wolff: Zuerst muss festgestellt werden, dass in den 80er und 90er Jahren enorme Investitionen in der US-Industrie gemacht wurden, die auf zwei Arten erfolgten. Enorme Summen wurden in die Automatisierung der Industrie investiert, weswegen wir nun ein im höchsten Maße computerisiertes Produktionssystem haben. Eine Zeit lang bildete diese Kombination aus Kreditvergabe an die Lohnabhängigen und vermehrter Investitionstätigkeit ein sehr profitables Unterfangen. Es fanden in dieser Zeit auch diese unglaublichen Investitionen in die Computer-, Telekommunikations- und Internettechnologien statt, die sich bis zum heutigen Tag als sehr einträglich erwiesen. Sie waren sehr profitabel, aber auch sehr teuer. Amerikanische Konzerne investieren auch viele ihrer Profite, um in einem sehr kostspieligen Prozess ihre Standorte aus den USA nach China oder Indien zu verlagern.

Die amerikanischen Kapitalisten machten also große Investitionen, aber ihre Strategie beruhte darauf, dass sie nicht mehr primär an der amerikanischen Arbeiterschaft als ihren Konsumenten interessiert waren. Für das amerikanische Business stellt der amerikanische Markt einen “reifen Markt” dar, was eine höfliche Umschreibung für einen stagnierenden Konsumentenmarkt ist. Die Gründe für diese Stagnation liegen gerade in der Strategie der US-Unternehmerschaft und in den sozialen Entwicklungen, die ich bereits dargelegt habe. Ihre Hoffnung besteht darin, dass die Wachstumsmärkte in Europa, Lateinamerika und vor allem in Asien entstehen. Sie glauben viel stärker als die meisten US-Bürger, dass die Ausnahmelage der Vereinigten Staaten, wo die Löhne über mehr als 100 Jahre anstiegen, unwiederbringlich vorbei ist. Die Wachstumsräume liegen für das US-Kapital außerhalb der USA. Die Vereinigten Staaten können deshalb bald genau so aussehen wie die Länder, von denen man sich so fundamental zu unterscheiden glaubte: Mit einer Schicht von 10 bis 20 Prozent reicher oder wohlhabender Bürger und 80 Prozent der Bevölkerung, die ein sehr unangenehmes Leben führen müssen.

Die USA wurden wegen des geringen Zinssatzes zum globalen sicheren Hafen

Kommen wir nun zur aktuellen Lage. Wieso bildet jetzt Europa das Zentrum der Krise? Ist es die expansive Geldpolitik in den Vereinigten Staaten, die die Auswirkungen der Krise dort mindert? Die neuesten Daten bezüglich der Industrieproduktion und der Arbeitslosigkeit in den USA sind ja gar nicht mal so schlecht. Oder sind es die nationalen Antagonismen hier in Europa, wo Deutschland Jahr nach der Hegemonie greift, die zur Eskalation der Krise beitragen?

Richard Wolff: Ich möchte zuerst bemerken, dass gewissermaßen das Zentrum des Sturms in permanenter Bewegung ist. Um wieder auf Marx zurückzukommen, will ich hier an seine Theorie der ungleichzeitigen oder ungleichen Entwicklung erinnern. Der Kapitalismus stellt ja nicht ein System dar, das seine Teile gleichmäßig oder ausbalanciert entwickelt. Der Kapitalismus ist das genaue Gegenteil davon. Wir können genauso die Frage aufwerfen, wieso die Krise in den Vereinigten Staaten und nicht in Europa begann – und wieso in den ersten drei Jahren, von 2008-2010, der Krisenkern sich in den Vereinigten Staaten befand. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit war in den USA viel höher als in Europa. Genauso verhielt es sich mit der Produktion, die hier viel stärker kollabierte als in Europa.

Beginnend mit 2010 und 2011 verschob sich das Krisenzentrum nach Europa. Wir haben eine schwache Erholung in den Vereinigten Staaten, die mit einer Zuspitzung der Lage in Europa einhergeht. Ich denke nicht, dass dies besonders signifikant ist und allzu lange andauern wird. Ich glaube, 2012 werden wir eine leichte Stabilisierung in Europa sehen, sowie eine schwerwiegende Eskalation der Lage in der so genannten Dritten Welt. Bereits jetzt setzt in Brasilien, Indien und China eine wirtschaftliche Verlangsamung ein. Mit anderen Worten: So wie der Kapitalismus sich vor der Krise ungleichmäßig entwickelt hat, so gestaltet sich auch der Krisenverlauf ungleichmäßig. Und ich glaube nicht, dass es viel Sinn hat, hier nach schwerwiegenden einzelnen Ursachen zu suchen.

Die etwas bessere Entwicklung in den Vereinigten Staaten hat nichts mit der fundamentalen ökonomischen Lage zu tun, die sehr schlecht ist – das kann ich Ihnen versichern. Wir waren nicht fähig, die Arbeitslosenquote in den vergangenen drei Jahren signifikant zu senken. Zudem entstand mit Occupy Wall Street zum ersten Mal seit rund einem halben Jahrhundert eine Bewegung, die das kapitalistische System für die gegenwärtigen Verwerfungen verantwortlich machte und dieses in Frage stellte. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme in den USA sind weiterhin enorm.

Es war aber etwas ganz anderes, was den Vereinigten Staaten zur Stabilisierung verhalf: Das war die Möglichkeit, gigantische Geldsummen zu einem sehr niedrigen Zinssatz zu leihen. Und der Grund dafür liegt darin, dass die Unsicherheit in vielen Regionen der Welt – wie in Europa, Asien, Lateinamerika – das Bedürfnis nach einem sicheren Anlagehafen entstehen lässt, den viele reiche Individuen und Konzerne suchen, die nun riskante Investitionen scheuen.

Die Vereinigten Staaten wurden also zu solch einem globalen sicheren Hafen?

Richard Wolff: Nicht so sehr die Vereinigten Staaten, da es den global agierenden Konzernen durchaus klar ist, in welch einem desaströsen Zustand sich die amerikanische Wirtschaft befindet. Der amerikanische Staat, die amerikanische Regierung wurde zu solch einem sicheren Hafen, in dem man in der Krise sein Geld anlegt. Somit konnten die Vereinigten Staaten vom Rest der Welt nahezu unbegrenzten Kredit zu äußerst niedrigen Zinsen gerade zu einer Zeit erhalten, in der sie enorme Ausgaben zur Stimulierung der eigenen Ökonomie machten. Das ist natürlich eine unglaublich vorteilhafte Konstellation, die Ländern wie Griechenland, Irland, Spanien, Portugal oder Ungarn nicht zur Verfügung steht.

Haben nicht auch die exzessiven Programme des “Quantitative Easing”, also der Gelddruckerei durch die amerikanische Notenbank Fed, zur Senkung des Zinsniveaus in den USA beigetragen? Stellt dies nicht einen entscheidenden Unterschied zur Lage in Europa dar, wo ja Berlin sich solchen Maßnahmen verweigerte?

Richard Wolff: Ich denke, diese Programme haben einen eher geringen Einfluss auf die Krisenentwicklung genommen. Was wir beim Quantitative Easing beobachten können, ist das Bemühen der amerikanischen Regierung, hierdurch die Vorteile niedriger Zinsen weiter zu verstärken, indem eine unbegrenzte Bereitschaft signalisiert wird, alle diese Verbindlichkeiten zu monetarisieren. Mit anderen Worten ausgedrückt: Einem ausländischen Investor wird signalisiert, dass er beim Erwerb einer US-Staatsanleihe sich nicht zu sorgen braucht, weil die Fed diese Staatsanleihe aufkaufen wird, wann immer er es wünscht. Die Fed wird neues Geld drucken, um die Liquidität, die Nachfrage hierfür zu generieren. Wenn dies nicht geschehen würde, könnten ja Zweifel an der Sicherheit der US-Staatsanleihen aufkommen. Das Quantitative Easing verbessert also die Bedingungen, unter denen die Vereinigten Staaten sich verschulden können; es hält die Anleihemärkte liquide und stimuliert so die Wirtschaft.

Die daraus entspringende Gefahr, nämlich die Inflation, ist ja durchaus real, aber im Moment fühlt sich der Rest der Welt dadurch beruhigt, dass die Lage in den USA zumindest sicherer ist als irgendwo sonst. Ich glaube also, dass der einzige Grund für die Vorteile der Vereinigen Staaten in den vergangenen zwei Jahren darin zu suchen ist, dass sich die Situation in anderen Regionen massiv verschlechtert hat. Die USA sind somit in der Lage, ihre Verschuldung weitaus einfacher zu finanzieren als alle anderen Staaten. Dies ist aber keine Garantie dafür, dass die Vereinigen Staaten nicht erneut zum “Zentrum des Sturms” werden.

Berlin hat es während der Krise geschafft, die Eurozone gemäß den deutschen Interessen umzugestalten. Wie reagieren die Vereinigten Staaten auf diese deutsche Dominanz innerhalb Europas? Handelte es sich bei der Massenabwertung der Bonität etlicher europäischer Staaten durch die Ratingagentur S&P um einen Versuch, die Formierung eines solchen “deutschen” Europa zu verhindern?

Richard Wolff: Ich habe zwei Antworten hierauf. Erlauben Sie mir zuerst, folgenden Gedankengang auszuführen: Wenn es stimmt, wie von mir ausgeführt, dass eine der Wurzeln der gegenwärtigen Krise der Vereinigten Staaten darin zu suchen ist, dass die steigenden Profite des Kapitals auf Kosten der Arbeiterschaft erzielt wurden (und dass im Endeffekt die relative Verarmung der Masse der Bevölkerung zur Krisenursache für die Kapitalisten wurde, die genau dies bewerkstelligten), dann wird dasselbe Problem auch Deutschland bedrohen und zerstören.

Der deutsche Aufschwung, der in einer Zeit fortschreitender Desintegration in Südeuropa und Osteuropa stattfindet, wird in einen Abschwung umschlagen und die Profitabilität der deutschen Ökonomie ernsthaft unterminieren. Beim Jubel über die relative deutsche Prosperität, während ein Großteil der europäischen Abnehmer deutscher Waren verarmt, werden dieselben Fehler wiederholt, die auch in den USA begangen wurden, als amerikanischer Unternehmer viel Geld machten und sich weigerten, die damit einhergehende Verarmung und Verschuldung einzudämmen.

In den USA nimmt die Angst vor einem vereinigten Europa zu

Der deutsche Erfolg fußt also auf den Schulden Europas.

Richard Wolff: Ja, und dies ist ein sehr gefährliches Fundament, auf dem Deutschland seinen Erfolg errichtet. Für ein Land mit solch einer schrecklichen Geschichte von Versuchen, auf dem Rücken der übrigen Europäer zu Wohlstand zu gelangen, ist dies nicht nur wirtschaftlich gefährlich, sondern auch in politischer und ideologischer Hinsicht. Und ich bin, ehrlich gesagt, verblüfft, dass nicht viel mehr Deutsche sich dieser historischen Parallelen bewusst sind – und dass es nicht viel mehr diesbezügliche Befürchtungen gibt in Deutschland. Die Analogien zu der deutschen Geschichte und zu der Krisenentfaltung der letzten 30 Jahre in den Vereinigten Staaten sind offensichtlich. Es fällt mir sehr schwer zu verstehen, wieso diese offensichtlichen Parallelen von so vielen Deutschen nicht wahrgenommen werden.

Wenn wir uns nun den Beziehungen zwischen Europa und Washington zuwenden, dann muss hier betont werden, dass diese äußerst widersprüchlich waren und sind. Aus der Sicht Washingtons fungierte Europa als ein Alliierter und als ein Schutzwall gegen die Sowjetunion, solange diese Bestand hatte. Nach dem Kollaps der Sowjetunion änderte sich diese Konstellation. Es ist einerseits immer noch so, dass die Vereinigten Staaten durchaus verstehen, dass sie auf ein prosperierendes Europa angewiesen sind, da sie mit diesem sehr eng verflochten sind. Die Vereinigten Staaten brauchen die Europäer aber nicht mehr als ein Gegengewicht zu Russland, zumindest nicht mehr in dem Ausmaß wie früher.

In den USA nimmt aber die Angst vor einem vereinigten Europa, vor den Vereinigten Staaten von Europa, zu, die als ein ernsthafter globaler Konkurrent auftreten könnten. Die amerikanische Politik gegenüber Europa muss vor dem Hintergrund dieses Widerspruchs, dieses andauernden Kampfes betrachtet werden. Ich sehe in Washington bislang keinen Konsens, bei dem die eine oder andere Linie dominant wäre. Und ich glaube nicht, dass die Europäer so naiv wären, dass sie diese widersprüchliche Haltung der Vereinigten Staaten nicht wahrnehmen würden.

Ist es also möglich, dass die Aktionen von S&P aufgrund einer politischen Manipulation erfolgten? Selbstverständlich. Für viel wahrscheinlicher halte ich es aber, dass S&P – und dies gilt auch für Fitch und Moody’s – sein Vorgehen in der europäischen Schuldenkrise dazu nutzt, die schwer beschädigte Reputation von Ratingagenturen zu verbessern, die ja während der Immobilienspekulationen mit einer an Betrug grenzenden Inkompetenz agiert haben. Die Eurokrise ist eine wundervolle Gelegenheit für die Ratingagenturen, sich nun als Akteure zu geben, die unabhängig von politischen Vorgaben agieren. Sie können knallhart gegenüber europäischen Staaten auftreten, da sie ja in den Vereinigten Staaten beheimatet sind, und die europäischen Märkte für diese Agenturen bei Weitem nicht so eine wichtige Rolle spielen. Die Masse ihrer Geschäftstätigkeit vollzieht sich ja in Amerika. Es ist also eine sehr günstige Gelegenheit, das eigene Renommee wieder aufzupolieren.

Lange Stagnation in den USA

Wie werden sich die Vereinigten Staaten in den kommenden Jahren wirtschaftlich entwickeln?

Richard Wolff: Ich denke, dass die Vereinigten Staaten weiterhin mit schweren wirtschaftlichen Problemen konfrontiert sein werden. Ob es ein bisschen besser oder ein bisschen schlechter werden wird, ist schwer einzuschätzen. Aber die fundamentalen Probleme hier werden einfach nicht angegangen. Wir haben weiterhin die hohe Arbeitslosigkeit, die ungeheure Verschuldung der Lohnabhängigen sowie die Unmöglichkeit, durch Mehrarbeit höhere Löhne zu erzielen. Deswegen gibt es auch keinen Ausweg zur Erhöhung des Konsums in dieser Gesellschaft. Selbst wenn es hier nun eine leichte Verbesserung bei der Arbeitslosigkeit gibt, so gehen zugleich die realen Löhne weiterhin zurück. Und es ist kein Ende dieser Situation abzusehen.

Ich glaube also nicht, dass sich in den Vereinigten Staaten ökonomisch viel ändern wird. Und es scheint auch so, als ob dies ganz nach Plan verlaufen würde. Die Überwindung dieser Krise soll scheinbar nach demselben Muster verlaufen, wie auch ansonsten kapitalistische Krisen sich in einen erneuten Aufschwung wandeln: Nämlich dadurch, dass die Arbeitslosigkeit so weit ansteigt, bis die Arbeiterschaft hier es akzeptiert, zu viel niedrigeren Löhnen zu arbeiten. Wenn genügend Unternehmen kollabiert sind, sodass die Kosten der Unternehmenstätigkeit sich rapide verringern, kann ein neuer Aufschwung einsetzen. Aber es kann niemand sagen, wann dies der Fall sein wird und wie robust dieser Aufschwung ausfallen wird.

Dies ist die Prognose hier, es sei denn, es kommt zu einer gewaltigen politischen Explosion. Diese könnte bei der Rechten erfolgen, etwa wenn genügend wütende Menschen Newt Gingrich zum Präsidenten wählen. Oder wir haben eine Erneuerung der Occupy-Bewegung, die noch stärker wirkt als zuvor. Dies ist ebenso möglich, vielleicht sogar noch wahrscheinlicher. Beide potenziellen politischen Explosionen könnten hier alles ändern, während die Wirtschaft weiterhin in einer Art lang andauernder kapitalistischer Depression verharrt.

Um die wahrscheinliche Entwicklung der Vereinigten Staaten zu verstehen, lohnt ein genauerer Blick auf Japan.

Japan erlebte seine Immobilienblase in den späten Achtzigern und nach deren Platzen verblieb ja das Land über Jahrzehnte in Stagnation und Deflation.

Richard Wolff: Genau dies halte ich für das wahrscheinlichste Szenario. Wenn jetzt keine entschiedenen Schritte unternommen werden, werden wir uns über lange Jahre in dieser Situation befinden. So etwas mag ja in Japan über einen längeren Zeitraum gehen, aber in den Vereinigten Staaten ist das nicht möglich. Wir werden hier noch Entwicklungen sehen, die erstaunlich sein werden.

Ich möchte noch an einem Punkt kurz nachhaken: Sie meinen, die Krise könne systemimmanent langfristig dadurch überwunden werden, dass die Löhne so weit fallen, bis die Kosten für Unternehmenstätigkeit extrem abgesunken sind. Mir scheint es so, als ob dieses nur bei einer “normalen” zyklischen Krise möglich ist, aber nicht bei den Tendenzen, die sie zur Erläuterung der Ursachen dieser Systemkrise selbst angeführt haben: namentlich der Computerisierung und Rationalisierung der Warenproduktion und dem “Überangebot” von Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt. Vor allem in Hinsicht auf die ungeheuren Produktivitätspotenziale der Industrie in den kapitalistischen Kernländern scheint dies kaum machbar. Wer soll all das Zeugs denn kaufen, wenn die Löhne so weit abgesenkt wurden, dass kaum noch Nachfrage besteht? Das gesamte System kann ja nicht “zurück” hinter das erreichte Produktivitätsniveau fallen.

Richard Wolff: Der Kapitalismus war immer dem besagten fundamentalen Widerspruch ausgesetzt: Der Wettbewerb veranlasst die Unternehmer, beständig nach Wegen zur Senkung der Lohnkosten zu suchen (durch Betriebsverlagerungen in Billiglohnländer, durch die Ersetzung von Arbeitern durch Maschinen, durch Arbeitsverdichtung, usw.), doch die dadurch erzielten Lohneinsparungen führen dazu, dass dieselben Unternehmern einen Teil ihrer Märkte verlieren. Deswegen lässt dieselbe Handlung, die zur Anhebung der Profite vermittels der Lohnkürzungen führt, auch die Profite aufgrund der schrumpfenden Märkte einbrechen.

Der Kapitalismus fand aber auch Mittel und Wege, die Auswirkungen dieses Widerspruchs zumindest zu verzögern. Wie bereits dargelegt, konnte ab den 1970ern, nachdem die realen Löhne nicht mehr anstiegen, ein wachsender Markt für Konsumgüter und Dienstleistungen durch die Kredite aufrechterhalten werden, die Unternehmer ihren Arbeitern gewährten. Dies hat die Krise von den 1980ern bis 2007 verzögert. Eine weitere Strategie zur Krisenverzögerung in einem Land mit einem stagnierenden Binnenmarkt – der eine Folge des obig dargelegten Widerspruchs darstellt ist – zielt auf die Ersetzung des Binnenmarktes durch eine Expansion der Exporte. Kapitalistischer Kolonialismus und Imperialismus spielten diese Rolle in der Vergangenheit, während heutzutage diverse andere Strategien zur Exportsteigerung angewendet werden.

Offensichtlich kann eine auf Exportsteigerung fixierte Strategie (wie sie derzeit auch von der Obama-Administration gefördert wird) nicht für alle kapitalistischen Ökonomien zur selben Zeit funktionieren, was zu militärischen Auseinandersetzungen führen kann, bei denen inkompatible Exportstrategien in Konfrontation treten. Letztendlich wird der geschilderte grundsätzliche kapitalistische Widerspruch in einer Wirtschaftskrise aufgelöst, und der Prozess startet abermals.

Die Occupy-Bewegung stellt mit der Kapitalismuskritik einen historischen Einschnitt in der Geschichte der USA dar

Wie schätzen Sie politische Situation in den Vereinigten Staaten ein, insbesondere – nach dem Aufkommen der Occupy-Bewegung – die politischen Aussichten für die fortschrittlichen, progressiven Kräfte in den Vereinigten Staaten?

Richard Wolff: Zuerst will ich mich zur Rechten äußern. Die durchaus gegebene Möglichkeit, dass so ein skrupelloser, zynischer und korrupter Machtpolitiker wie Newt Gingrich die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner erringen konnte, legt die Tatsache offen, dass die Regisseure und Dirigenten im politischen Überbau der Republikaner und der Demokraten – die Führungsgremien der Parteien – die Lage nicht mehr unter Kontrolle haben. Dies ist ein Symptom für ein politisches System, das nahe am Bruchpunkt ist.

Zweitens: Meiner Meinung nach stellt die Occupy-Bewegung einen historischen Einschnitt in der Geschichte der Vereinigten Staaten dar. Die Europäer scheinen das nicht zu begreifen. In den vergangenen 50 Jahren hat sowohl die amerikanische Arbeiterschaft, wie auch die amerikanische Linke – ob organisiert oder unorganisiert – es nicht gewagt, das ökonomische System offen und direkt zu kritisieren und in Frage zu stellen. Wir haben also die Emanzipationsbewegungen der Afroamerikaner, der Frauen, der Homosexuellen, der Immigranten und auch Bestrebungen zur Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiter. Aber es fand kein direkter Angriff auf die Grundsätze des ökonomischen Systems und die daraus resultierenden fundamentalen Ungerechtigkeiten statt. Dies ist etwas, wozu wir spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr in der Lage waren. So etwas wurde als illoyal, verräterisch und unamerikanisch gebrandmarkt.

Selbst, wenn Kritik an wirtschaftlicher und sozialer Ungleichheit geübt wurde, so bemühte man sich, sofort unter Beweis zu stellen, dass man nicht den Kapitalismus als Ganzes infrage stellte. In den vergangenen 10 Jahren etwa kritisierte die Linke den Neoliberalismus, als ob nur diese Art von Kapitalismus das Problem wäre und nicht das Gesamtsystem. Deswegen ist es so extrem wichtig, dass Occupy als erste Massenbewegung nach einem halben Jahrhundert nicht nur die ökonomische Ungleichheit, sondern den Kapitalismus als Ganzes ins Zentrum ihrer Agenda rückte und damit in die Offensive ging. Dies führte Millionen ähnlich denkenden Amerikanern vor Augen, dass sie nicht allein sind. Dies ist ungeheuer wichtig zu verstehen. Es führte aber auch dem politischen Establishment in den Vereinigten Staaten vor Augen, dass ein antikapitalistischer Standpunkt in den USA möglich und populär ist. Die Bewegung genießt enorme Unterstützung und sie erzwang sich buchstäblich den Zugang zu den Massenmedien, die anfangs alles unternahmen, um diese zu ignorieren und mundtot zu machen.

Dies sind fundamental transformatorische Errungenschaften. Dies alles geschah unorganisiert, eruptiv und in sehr kurzer Zeit, was die Stärke antikapitalistischer Einstellungen in den Vereinigten Staaten verdeutlicht. Es stellt unter Beweis, dass diejenigen, die behaupteten, dies sei nicht möglich, falsch lagen. Dies zeigte auch den daran beteiligten Menschen, wie stark sie sind, und wie stark sie werden können. Als die Machtstruktur hier die kleinen Camps in den Parks zerstörte, erteilte sie damit auch eine Lektion, nämlich dass die einzige Antwort des Status quo in gewalttätiger Zerstörung besteht. Eine Bewegung, die gewaltfrei vom Anfang bis zum Ende war, musste zerstört werden, weil das System keine andere Antwort liefern konnte. Und dies ist in der Tat eine wunderbare Lektion, weil die Occupy-Leute nun besser als zuvor erkennen, womit sie es zu tun haben. Sie verstehen nun, dass sie sich besser als zuvor organisieren müssen. Dies war also ein sehr wichtiger Durchbruch und ein sehr wichtiger Lernprozess.

Quelle:

Mit freundlichem Dank an:

  • rdwolff


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