Zu Ohren gekommen

Jüngst lauschte ich einem Feature über späte Scheidungen. Die würden jetzt immer häufiger vorkommen. Ehepartner trennten sich demnach auch mal nach zwanzig Jahren Ehe. Dann sind beide so um die 50 und immer noch jung genug, um nochmals »durchzustarten«. Dieses Komposition hört man jetzt oft. Wenn etwas vorbei ist, startet man heute durch. Für mich ist das ein Scripted Reality-Wort. Wenn man mal durch das Nachmittagsprogramm der Privaten zappt und das Ende eines solchen Machwerks flankiert, dann wird dort nach erlebten Abenteuer immer neu durchgestartet.

Durchstarten. Nicht einfach nur starten, nein - hindurch, auf der anderen Seite wieder heraus, »den Teil dazwischen« durchschreiten. Wenn jemand nach einer Sache sagt, jetzt wolle er neu durchstarten, denke ich immer an »nicht zurückschauen« oder »Augen zu und durch«, ein bisschen auch an »nach mir die Sintflut«. Dieses Wort hat was von Verdrängung, von bewusster Vergessenmachung. Eine Beziehung ist zu Ende und man startet neu durch. Eine miese Arbeitsplatzerfahrung ist vorbei und man hofft, bald neu durchstarten zu können. Man streift gewissermaßen ab, was sich an Eindrücken manifestiert hat. Der moderne Mensch tritt sprachlich von seiner Empirie zurück und wird ein selbstvergessener Durchstarter, einer, der seinen Neuanfang nicht bedacht angeht, sondern gleich volle Pulle, denn er startet ja nicht bloß, er startet durch, mit den Kopf durch die Wand, mit der Tür ins Haus, mit einen Elefanten in die Porzellanfachhandlung.
Nicht links, nichts rechts gucken. Schon gar nicht zurück. Der Durchstarter putzt sich ab, macht nicht einfach nur weiter, er schließt ab. Er hat keine Herkunft mehr, brennt sich Erfahrungen aus und tut so, als könne man das eigene Leben in abgeschlossene Bereiche betrachten und nicht als eine lose Ansammlung von ineinandergreifenden Abschnitten. Die Phrase hat etwas Dementes, ja auch etwas Aktionistisches. Es ist ein Wort des Zeitgeistes. Präfixiert, wie man das heute gerne hat. »Starten« alleine reicht da nicht mehr; das ist Achtzigerjahresprech. Heute lacht ja auch keiner mehr, heute geht man zum Ablachen. Das hat was von Pleonasmus, von überflüssiger Vorsilbe wie beim Wort »aufoktroyieren«. Und es spiegelt vorallem die Vorstellung wider, dass im Neuen immer der völlige Abschluss mit dem Alten liegt. Aber exakt so funktioniert das Leben ja nicht. Wer in einer neuen Beziehung »durchstartet«, hat immer noch die Erfahrungen der alten Beziehung an der Backe. Das ist auch nicht schlimm, denn das macht den menschlichen Reifeprozess ja aus.
Durchstarten von Null auf Platz eins. Das kennt man aus den Charts. Vielleicht hat man es ja aus dieser Sparte. Als Sinnbild für die Prozesse des Alltags taugt es wenig. Leben ist kein Ranking, keine Rangliste. Mancher Hit klingt verheißungsvoll, aber für eine Platzierung vorne reicht es trotzdem nicht. Und wer durchstartet, der fällt garantiert wieder ab. Kein Nummer-Eins-Hit ist für immer. Für die Fake-Shows im Nachmittagsprogramm ist die Phrase natürlich besonders geeignet. Sie beschwört Einfachheit und gibt den lauen Geschichtchen einen Abschluss. Menschen haben das gerne. Aber im Leben schließt man nie ab, deshalb ist der Durchstart ein eher dümmliches Modewort einer Zeit, die Vergangenheit für einen Zeitraum hält, den man durchaus vergessen darf.
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